Kumm wiast willst, nur g’schneuzt und kampelt“, sagte Bruno Kreisky zu seinem künftigen Handelsminister, der ihm eben gestanden hatte, dass er weder einen Frack, Smoking, Stresemann oder Cut besitze und daher im dunklen Anzug zur Angelobung beim Bundespräsidenten erscheinen müsse. Im Bruno-Kreisky-Archiv lagert ein Schatz, den es zu heben galt. Josef Staribacher, der dem Kabinett Kreisky vom ersten bis zum letzten Tag angehörte, hat aus dieser Zeit ein 15.000 Seiten (!) umfassendes Tagebuch hinterlassen, das mir das Kreisky-Archiv zur Verfügung stellte. Es zeigt die mitunter kuriosen Details am Rande der Politik in der RegierungKreisky auf.
Der Handelsminister diktierte seine Erlebnisse von 1970 bis 1983 auf Tonband, „weil ich ab 4.30 Uhr früh nicht mehr schlafen kann. Die Ursache dieses Zustandes, der mir vollkommen neu ist: Meine Berufung als Minister.“
Regierungsbildung
Zwei Tage nach den ersten gewonnenen Nationalratswahlen vom 1. März 1970 wurde Bruno Kreisky von Bundespräsident Jonas mit der Regierungsbildung beauftragt. „Die Verhandlungen“, notiert Staribacher, „zogen sich einige Wochen hin. Der Bundespräsident plädierte für eine Große Koalition“, in der Staribacher zunächst als Finanzminister ins Spiel gebracht wurde. Der war verzweifelt: „Dieses Ministerium ist ein furchtbares; besonders bei der jetzigen Budgetsituation. Außerdem ist eine Unzahl von Detailkenntnissen für dieses Ressort notwendig, die in Wirklichkeit nur ein einziger Mann besitzt – den letzten Endes auch das Schicksal erreichte – nämlich Hannes Androsch.“
Staribacher wusste nichts
Kurz danach wurde Josef Staribacher von seiner Nominierung als Handelsminister überrascht. Nachdem die Regierungsverhandlungen mit der ÖVP am 20. April 1970 gegen Mittag nach 17 Gesprächsrunden gescheitert waren, legte Kreisky dem Bundespräsidenten noch am selben Abend die Ministerliste für eine Minderheitsregierung vor, mit Androsch als Finanz- und Staribacher als Handelsminister, der seinem Tagebuch anvertraut: „Ohne dass mich jemand befragt hatte oder auch meine Stellung dazu bekannt war. Ich musste also in die Schlangengrube (gemeint ist das Handelsministerium, Anm.). Hätte mich nicht um 22 Uhr Hrdlitschka (damals Arbeiterkammerpräsident) angerufen, dann hätte ich wahrscheinlich eine sehr dumme Antwort gegeben, als zwei Minuten später ein Journalist für den nächsten Tag ein Interview von mir verlangte.“
Kreisky am Telefon
Spätabends meldete sich Kreisky telefonisch bei seinem künftigen Handelsminister, um ihn doch noch über seine mittlerweile ohnehin schon bekannt gewordene Berufung zu informieren. Das war auch der Moment, da StaribacherKreisky mitteilte, dass er über keine entsprechende Kleidung für die Ernennung der Regierung verfügte. Damals kam es tatsächlich noch vor, dass Minister zur Angelobung im Stresemann erschienen. Jedenfalls kam Staribacher, dem Wunsch Kreiskys entsprechend, „g’schneuzt und kampelt“.
Noch vor der Angelobung der RegierungKreisky I am 21. April 1970 fand die erste Regierungsbesprechung statt, die laut Staribachers Aufzeichnungen „nur in einer Unterweisung von Kreisky über die Gepflogenheiten in finanziellen Fragen bestand. Da wir nur ein Drittel des Monats im Amt waren, den Ministergehalt aber für das ganze Monat bekommen, beschlossen wir, einen Teil sozialen Zwecken zu spenden. Mein Versuch, auf meine Dienstautos – jedem Minister stehen zwei zu – zu verzichten, findet nicht die Zustimmung. Androsch meint, der Vorschlag bringt nichts.“
Der erste Ministerrat
Nach der Angelobung durch den Bundespräsidenten schritt die neue Regierung unter dem Beifall vieler Passanten von der Präsidentschaftskanzlei über den Ballhausplatz ins Kanzleramt. Im Sitzungszimmer wurden – nach einer vorher schon bestimmten Sitzordnung – die Plätze eingenommen. Der erste Ministerrat der Bundesregierung begann.
Dabei ging’s auch wieder recht österreichisch zu. Denn als erster Tagesordnungspunkt der neuen Regierung war laut Josef Staribachers Tagebuch angesetzt: „Sektionschef Jiresch teilt nun die Autonummern zu.“ (Bundeskanzler W 1, Vizekanzler Rudolf Häuser W 2, die Minister folgten mit W 3, W 4, W 5…). Nach leisen Protesten bezüglich der Dringlichkeit der Nummernvergabe erklärt der Sektionschef, dass dies notwendig sei, da in früheren Regierungen „großer Streit“ bezüglich dieses Themas geherrscht habe. „Mir völlig unverständlich“, kommentiert Staribacher, der aufgrund seiner Frohnatur bald „Happy Pepi“ genannt wurde.
Für die Schlagzeilen
Der später oft als „Sonnenkönig“ und „Journalistenkanzler“ apostrophierte Bruno Kreisky beherrschte die Zusammenarbeit mit den Medien vom ersten Tag an. „Er wünscht“, so Staribacher, „dass womöglich von jedem Ministerrat eine neue Meldung hinausgeht, die den Wert hat, die Headlines in den Zeitungen zu bekommen, und dass nicht sogenannte Hofberichte über die Tagesordnung erscheinen.“
Termin bei Kardinal König
Das gelang dem Regierungschef schon mit seinem ersten Antrittsbesuch, der ihn ins Erzbischöfliche Palais zu Kardinal Franz König führte. Eine neue Form des Umgangs zwischen katholischer Kirche und Sozialdemokratie bahnte sich damit an.
Es gab aber auch Gegenwind: Simon Wiesenthal kritisierte heftig, dass vier Minister in Bruno Kreiskys Kabinett der NSDAP, der SS oder der SA angehört hatten: Innenminister Otto Rösch, Bautenminister Josef Moser, Verkehrsminister Erwin Frühbauer und Landwirtschaftsminister Hans Öllinger. Nur Öllinger wurde (am 22. Mai 1970) seines Postens enthoben. Öllingers Nachfolger war Oskar Weihs, der – wie sich bald herausstellen sollte – ebenfalls Mitglied der NSDAP war.
Ex-Kanzler Josef Klaus
Während Bundeskanzler Josef Klaus und sein Nachfolger Bruno Kreisky einander im Wahlkampf des Jahres 1970 nichts schuldig geblieben waren, sah die Welt nach ihrer aktiven Zeit ganz anders aus. Kreisky schreibt in seinen Memoiren: „Was immer man über die RegierungKlaus sagt oder über die in ihr maßgebenden Persönlichkeiten, es handelte sich um untadelige Politiker.“ Und Ex-Kanzler Klaus erklärte nach Kreiskys Tod: „Er konnte mit seiner Begabung und seiner Persönlichkeit die Politik ganz auf sich konzentrieren… Ich habe ihn seit 1970 nur zwei Mal kurz gesehen. Es tut mir heute leid, dass ich eine Einladung von ihm nicht angenommen habe. Denn er war, bei allem, was uns politisch trennte, ein großer, ein außergewöhnlicher Mann.“
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