Intime Tagebücher: Vor 150 Jahren traf Kaiser Franz Joseph zum ersten Mal seine langjährige Geliebte Anna Nahowski, mit der er höchstwahrscheinlich eine Tochter namens Helene hatte.
Der Kaiser ist knapp 45 Jahre alt, als ihm bei einem Spaziergang im Schönbrunner Schlosspark eine bildhübsche junge Frau begegnet. 150 Jahre sind vergangen, seit der Traum eines Wiener Mädels wahr wurde, die Geliebte des mächtigsten Herrschers Europas zu werden.
Da Anna Nahowski penibel Tagebuch führte, wissen wir, dass sie und der Kaiser 14 Jahre lang ein Paar waren und dass sie eine Tochter zur Welt brachte, von der praktisch feststeht, dass der Kaiser ihr Vater ist.
Das erste Treffen
Franz Joseph ist seit 20 Jahren verheiratet und leidet unter der ständigen Reisetätigkeit seiner Frau Elisabeth. Obwohl die aus einfachen Verhältnissen stammende Anna erst 15 Jahre alt ist, ist sie auf Wunsch ihrer Mutter bereits mit dem Seidenfabrikanten Johann Heuduk – sehr unglücklich – verheiratet.
Am frühen Morgen des 8. Mai 1875 erlebt Anna im öffentlich zugänglichen Kammergarten von Schönbrunn das erste ihrer schicksalhaften Treffen mit dem um 30 Jahre älteren Monarchen: „Der Kaiser, auf den ich einen großen Eindruck gemacht haben muss“, notiert sie in ihr Tagebuch, „versuchte mich von allen möglichen Seiten zu begegnen“. Noch findet keine Annäherung statt.
Dafür bezeichnet Anna den 24. Juni desselben Jahres als „den glücklichsten Tag meines Lebens“, denn da spricht sie der Monarch, wieder im Schönbrunner Schlosspark, erstmals an. Er trägt Generalsuniform, salutiert und sagt: „Sie gehen aber fleißig spazieren.“ Eintragung zwei Tage danach: „Ich trat um 4 Uhr (früh, Anm.) meine Wanderung nach Schönbrunn an. Der Kaiser kommt mir im heftigen Regen entgegen. Wir sprachen über vieles … Gleich darauf umschlang er meine Taille, schnell machte ich mich los und reichte Ihm meine Hand, welche Er herzlich drückte… Er überhäufte mich mit Zärtlichkeiten, drückte u. küsste mich zum Ersticken. Ich schwamm in einem Meer von Glückseligkeit.“
So kitschig ihr Inhalt auch scheinen mag, gibt es an der Echtheit der Aufzeichnungen keinen Zweifel. Die Schilderungen in zwei dicken, handgeschriebenen Tagebüchern belegen, dass Anna und der Monarch ein intimes Verhältnis hatten.
Ein Jahr nach der ersten Begegnung notiert Anna: „Der Kaiser übergibt mir in einem Couvert eine größere Geldsumme, um unsere Verhältnisse zu ordnen.“
Im September 1878 weilt Annas Ehemann Johann Heuduk längere Zeit außerhalb Wiens. Da fragt sie der Kaiser, ob er sie in ihrer in der Wallgasse 28 in Wien-Gumpendorf gelegenen Wohnung besuchen dürfe. Sein Begehr ist eindeutig: „Wenn ich komme, werden Sie das lästige Mieder nicht haben. Wissen Sie was, fuhr er fort, wenn Sie mich lieb haben, erwarten Sie mich im Bett.“
Tage danach ist es so weit. Des Kaisers Besuche erfolgen bald regelmäßig. Annas Ehe wird immer unerträglicher, schließlich lässt sie sich scheiden, um aber bald danach den Beamten der k. u. k. Südbahngesellschaft Franz Nahowski zu heiraten. Der Kaiser ist laut Annas Aufzeichnungen mit der neuerlichen Ehe einverstanden, und auch Nahowski weiß vom weiterhin andauernden Verhältnis seiner Frau zum „Allerhöchsten Herrn“. „Was mich mein Mann gequält hat, spottet jeder Beschreibung. Mit seiner Eifersucht marterte er mich furchtbar.“
Im Mai 1880 wird Franz Nahowski „auf Befehl von ganz oben“ dienstlich nach Galizien geschickt, Anna bleibt in Wien: „Die Besuche des Kaisers werden sehr häufig. Er hat sich bei mir eingewöhnt, und ich gehe jetzt seltener hinüber, da der Kaiser lieber zu mir kommt.“
Franz Joseph spricht ganz offen über seine Zuneigung. „Er ist täglich verliebter. Auch ich bin Ihm gut, und wenn Er bei mir ist, vergesse ich fast auf Nahowski.“
Schließlich wird dem Kaiser die oftmalige lange Anreise zu seiner Mätresse zu mühsam. Er übergibt ihr im Herbst 1883 ein Kuvert mit 50.000 Gulden (heute rund 650.000 Euro), mit denen Anna die in Gehweite von Schönbrunn gelegene Hietzinger Villa Maxingstraße 46 kauft. Franz Joseph ist jetzt ihr Nachbar, besucht sie meist vor fünf Uhr früh, es gibt Kaffee und Kipferl.
Am 29. Juli 1885 bringt Anna ein Mädchen namens Helene zur Welt, das später den weltberühmten Komponisten Alban Berg heiraten wird. Es besteht kaum ein Zweifel, dass Helene ein Kind des Kaisers ist, meint der Wiener Rechtsanwalt Maximilian Eiselsberg, Präsident der Alban Berg Stiftung: „Ich habe Helene Berg noch gekannt, sie jedoch nie nach ihrer Herkunft gefragt. Aber man weiß, dass sie nie dementiert hat, wenn sie gefragt wurde, ob der Kaiser ihr Vater war.“
Tatsächlich vermerkt Anna Nahowski, dass sie am 12. Oktober 1884 vom Kaiser in ihrer Villa „beglückt“ wurde. Und am 29. Juli 1885, etwas mehr als neun Monate später, kam Helene zur Welt. Annas Ehemann befand sich zum Zeitpunkt der Empfängnis beruflich im Ausland. Anna hatte drei weitere Kinder, die jedoch nicht vom Kaiser abstammen können (obwohl ein Sohn Franz Joseph hieß).
Ende des Jahres 1886 kommt es zur Krise zwischen Anna und dem Kaiser. Ganz Wien spricht davon, dass er sich in die Schauspielerin Katharina Schratt verliebt hätte. Anna ist verzweifelt, spioniert ihm nach, überrascht die beiden im Schönbrunner Park, sie stellt ihn zur Rede, doch er leugnet. Sein seltener werdendes Erscheinen begründet der jetzt 56-jährige Kaiser damit, „langsam älter“ zu werden.
„Jederzeit schweigen“
Und dann das unwürdige Ende. 1889 – kurz nach der Tragödie von Mayerling – lässt ein Hofbeamter Anna Nahowski in die Hofburg kommen. Nicht der Kaiser macht „Schluss“, sondern ein Beamter! Anna will den langjährigen Geliebten sprechen, wird aber nicht vorgelassen. Sie trifft ihn nie wieder, wird aber neuerlich mit einer großzügigen Summe abgefunden. Am 14. März 1889 bestätigt sie den Erhalt des Geldes, „ferner schwöre ich, dass ich über die Begegnung mit Seiner Majestät jederzeit schweigen werde“. Der Beziehung des Kaisers mit Katharina Schratt steht somit nichts mehr im Wege.
Anna Nahowski stirbt 1931 im Alter von 71 Jahren in Wien, ihre Tochter Helene erbt die Tagebücher. Sie sind heute im Besitz der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Helenes Testament
Helene war seit 1911 mit Alban Berg, dem Schöpfer der Opern „Wozzeck“ und „Lulu“, verheiratet. Sie stirbt 1976 im Alter von 91 Jahren. In ihrem Testament verfügte sie, dass die intimen Tagebücher ihrer Mutter drei Jahre nach ihrem Tod, also 1979, der Öffentlichkeit übergeben werden dürften. 1986 gab die Österreichische Nationalbibliothek die Tagebücher frei.
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