„Ich schlepp ihn über die Runden“
Leomare Qualtinger war 30 Jahre mit Helmut Qualtinger verheiratet. Die Schriftstellerin und Journalistin hat als seine erste Frau viele Höhen und Tiefen im Leben des Ausnahmekünstlers mitgemacht. Fast ein Jahrzehnt, von 1964 bis 1973, hat sie ihrer engen Freundin Anastasia Hacker in mehr als 50 Briefen Privates über ihren genialen, aber nicht ganz einfachen Mann geschrieben.
Anastasia Hacker hat mir Leomares Briefe vor ihrem Tod im Jahr 2015 anvertraut, die ich hier zum ersten Mal veröffentliche. Frau Qualtinger schreibt in einer Art Tagebuch über die Alkoholprobleme ihres Mannes, die Qualen des Schauspielberufs, über Depressionen, einen mysteriösen Selbstmord und schließlich über sein Fremdgehen und das Scheitern ihrer Ehe.
Wochenlange Proben
Am 21. 10. 1964 feiert Helmut Qualtinger als Knieriem in Nestroys „Lumpazivagabundus“ Premiere im Theater an der Wien. Leomare berichtet ihrer Freundin Anastasia „Stasi“ Hacker, die als Frau des weltberühmten Psychiaters Friedrich Hacker in den USA lebte, von den Ängsten und dem Kräfteverschleiß, denen ihr Mann während der wochenlangen Probenzeit ausgesetzt war. Noch steht die Liebe zu ihm im Vordergrund:
„Liebe Stasi ... Mein Mann, plagt sich mit Depressionen und mich damit, am liebsten zwischen drei und vier Uhr morgens: da holt er mich, friedlich Schlafende, aus dem Bett, um mir auseinanderzusetzen, wie vertan sein Leben ist und wie ihn alles ankotzt. Nicht, dass mir das neu ist, aber unausgeschlafen bin ich trotzdem. Und davon abgesehen, deprimiert es mich auch, weil ich mir sage, dass ich mich jetzt 13 Jahre mit ihm abschinde, und das Leben freut ihn noch immer nicht ...“
Laut Leomares Brief vom 27. 1. 1965 stellen sich beim 37-jährigen Helmut Qualtinger gesundheitliche Probleme ein: „Heute wissen wir laut Röntgen, dass der Helmut ein Zwölffingerdarmgeschwür hat ... Da ich nicht sage: ,Na, hab ich nicht recht gehabt, du Trottel, dass du dich noch ins Grab saufen wirst?’, bezeichnet er sich gelegentlich selbst als Trottel“.
Schreckliche Verfassung
8. 11. 1965: „Helmut in einer wirklich schrecklichen Verfassung an Leib und Seele. Drehen den ganzen Tag, abends Vorträge und dazwischen Hin- und Herfliegen. Unser Sohn (Christian, Anm.) bekam Scharlach, was Helmut als Zumutung und Demütigung auffasste, dann bekam ich eine Grippe, lauter Gemeinheiten, die ich meinem Mann antu ... aber er hat sich zu der Großzügigkeit durchgerungen, mir zu verzeihen.“
3. 12. 1965: „Helmut könnte in Deutschland spielen und lesen und Ruhm und Geld scheffeln, soviel ihn freut, aber jetzt hab ich ihn glücklicherweise doch so weit, dass er übermorgen ins Sanatorium geht nach Großgmain bei Salzburg. Er geht hin wie ins KZ, kannst Dir nicht vorstellen, was er sich antut wegen dieser ,Freiheitsberaubung‘. Die vergangenen Wochen hat er natürlich häufig über die Stränge geschlagen, mit der Begründung, dass er ,ohnehin ins Spital’ geht, und heute und morgen Nacht wird sich auch einiges abspielen, hier in Wien, wo die Haberer auf allen Ecken lauern!“
5. 12. 1965: „Gefreut haben uns die bösartigen Verrisse des „Lumpazivagabundus“-Films, der wirklich nicht gut ist. Sie verrissen ihn nicht, weil er schlecht ist, sondern aus persönlichen Bosheiten. Helmut wird nächstes Jahr hauptsächlich in Berlin und München spielen (und leben), da ihm diese Scheißstadt wirklich zum Hals heraushängt: Euer Wien!“
In Leomares Brief vom 21. 2. 1966 tauchen erstmals ernsthafte Eheprobleme auf: „Er gestand mir ungefragt den berühmten Ehebruch, an dem wir voriges Jahr so lang herumlaborierten ... Ich glaub nicht, dass es heuer Geständnisse geben wird, weniger aus Mangel daran, als dass er draufgekommen ist, dass man so etwas fairerweise für sich behält.“
Selbstmord des Freundes
Anfang des Jahres 1967 geht ein Schock durch Wiens Theaterwelt: Der renommierte Regisseur Erich Neuberg ist durch Selbstmord aus dem Leben geschieden. Das Ehepaar Qualtinger trifft die Nachricht besonders, nicht nur weil Neuberg der Regisseur des „Herrn Karl“ und Qualtinger mit ihm eng befreundet war, sondern auch weil sie eine sehr persönliche Geschichte verbindet ...
18. 1. 1967: „Verflucht, der Erich ist tot! Was haben wir zusammengeredet in dieser Woche! Und wie oft in diesem letzten Jahr hab ich zum Helmut gesagt: ,Ich möchte mich mit dem Erich zusammensetzen, vielleicht bring ich die Sache zwischen euch in Ordnung ...‘ Ich bin auch nicht so vertrottelt zu glauben, der Erich hätte sich umgebracht, weil seine Frau mit dem Helmut geschlafen hat … Ich weiß doch, wie lange ich gebraucht hab, es zu verkraften – und ich bin ein einigermaßen gesunder Mensch. Und ein Hiniger wie der Erich, dem die Frau mit dem ältesten Freund fremdgeht … Entsetzlich, wird man als Beteiligter in sowas verwickelt. Der Helmut ist davon furchtbar angeschlagen, doch ich schlepp ihn über die Runden.“
Große Aufregung
„Der Herr Karl“, Regie: Erich Neuberg, wurde erstmals 1961 im österreichischen Fernsehen gesendet und sorgte sofort für heftige Reaktionen. Sieben Jahre später wird Qualtingers inzwischen klassisch gewordener Monolog eines Mitläufers im ORF wiederholt, und die Aufregung ist mindestens so groß wie damals.
1. 4. 1968: „Als die ,Herr-Karl‘-Wiederholung im Fernsehen lief, hat bei uns ständig das Telefon geklingelt. Zuerst hab ich abgehoben und mir das Geschimpfe angehört, dann hab ich den Anrufern so ordinäre Sachen gesagt, dass sie perplex abgehängt haben.“
Im Frühjahr 1969 feiert Qualtinger am Thalia-Theater in Hamburg Premiere als Dorfrichter Adam in Kleists „Der zerbrochne Krug“. Er lernt dort seine Kollegin Vera Borek kennen und beginnt eine Beziehung mit ihr.
Die große Verbitterung
Für Leomare setzt nun die Phase der großen Verbitterung ein. 1. 3. 1973: „Der Qualtinger hat sich – wenn auch gestört – derrappelt und saust durch die Bundesrepublik, teils Roth, Horvath, Nestroy und sich selber lesend, teils Hitlers ,Mein Kampf’. Er pendelt privat zwischen mir und der Vera in Hamburg. Mehr ist er bei ihr. Das bringt mir Pein und Freiheit. Sehr lustig ist es aber nicht.“
16. 3. 1973: „Nur eins mach ich nicht: mir mit einem Mann was anzufangen. Denn ich weiß jetzt endlich, dass ich eine schlechte Hand für Mannsbilder habe und sofort wieder ein Monster erwischen würde ... Wenn der Helmut anruft, merk ich, wie versoffen und verblödet er ist. Das ist jetzt aber nicht mehr mein Problem, sondern das der Vera … Wie’s in Zukunft wird, weiß ich in keiner Weise. Aber eins weiß ich schon: dass ich nie mehr so beschissen leben möchte wie in den letzten Jahren. Wenn ich ihn jemals wieder zurücknehme, dann muss er eine anständige Kur machen und sich völlig regenerieren … Ich möchte nicht in meiner Haut stecken, aber in der von der Vera, die sich das alles viel einfacher vorgestellt hat, noch weniger“.
Am 9. 5. 1973 schreibt Leomare „Mädi“ Qualtinger den letzten Brief an ihre Freundin Anastasia: „Die Männer haben alle einen Kopfschuss, der Ruhm und der Glanz haben sie verblödet und eitel gemacht. Anzunehmenderweise kriegen wir sie alle im psychischen oder physischen Rollwagerl wieder zurück, es fragt sich nur, ob wir die Krätzen dann noch haben wollen ... Ich möchte sie alle abschießen, weil sie so blöd und eitel sind. Ich schreib Dir bald wieder, heute nur ein Bussi … Dein Mädi.“
Hochzeit mit Vera
Leomares Ehe mit Helmut Qualtinger wird 1982 geschieden, danach heiratet er Vera Borek. Leomare Qualtinger (sie war einige Jahre KURIER-Kolumnistin) stirbt 1984, Helmut Qualtinger zwei Jahre später. Vera Borek und Christian Qualtinger leben in Wien.
Das Buch
Der KURIER bringt Auszüge aus dem neuen Buch von Georg Markus, in dem er außergewöhnliche Geschichten erzählt. Aus dem Inhalt: Das private Testament Kaiser Franz Josephs, Die bisher unveröffentlichten Briefe über Helmut Qualtinger,
Die Erzherzogin, die ihre Schwägerin liebte, Die größte Witzesammlung der Welt, Im Schatten der „Sträusse“, u. v. m.
Bestellung
„Zwischen den Zeiten, Momente, die Geschichte schrieben“ von Georg Markus, Amalthea Verlag, 304 Seiten, viele Fotos, € 27,- Erhältlich im Buchhandel. Im KURIER VorteilsCLUB bestellen: versandkostenfrei und handsigniert vom Autor: Infos & Bestellung KURIER VorteilsCLUB:
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