Hugo Portisch - Erinnerungen an eine Legende
Es war vor einem halben Jahr, als ich Hugo Portisch das letzte Mal traf. Wir gingen zwischen zwei Lockdowns zum Mittagessen in ein kleines Lokal, das sich in seinem Wohnhaus am Wiener Rochusmarkt befindet. Körperlich war er geschwächt, aber sein Geist war hellwach und sprühend wie eh und je. Und so erzählte er, wie nur er erzählen konnte. Von seiner Frau, deren Tod er nur schwer verkraftet hatte, und von den glücklichen Zeiten, die er mit ihr im gemeinsamen Haus in der Toskana verbracht hatte. Wir kamen aber auch auf Donald Trump zu sprechen, auf dessen Abwahl er damals hoffte. Er erinnerte sich an alte Zeiten, sprach aber auch über Projekte, die er trotz seines hohen Alters noch in Planung hatte.
Seelisch betreut
Nach dem Mittagessen gingen wir in seine Wohnung, wo uns Jutta Lang mit Kaffee und Kuchen erwartete. Die beiden kannten einander seit 52 Jahren, sie war seit dem Tod seiner Frau Traudi für ihn da, sie war Assistentin, kümmerte sich um seinen Haushalt, hat ihn seelisch betreut. Frau Lang war schon 1968, als er für den ORF von den Arbeiter- und Studentenrevolten in Paris berichtete, seine engste Mitarbeiterin. „Er hatte so einen wunderbaren Humor“, erinnert sie sich jetzt, nach seinem Tod, „wir haben in den letzten Jahren seines Lebens viel miteinander gelacht, Lieder gesungen, abends gemeinsam ferngesehen. Natürlich haben ihn vor allem die Zeit im Bild, die History-Sendungen auf ORF III, aber auch Spielfilme interessiert.“ Jetzt kümmert sie sich um die letzten Angelegenheiten, ehe er in einem Ehrengrab der Stadt Wien seine letzte Ruhe findet.
Portisch am Polizeifunk
Ich kannte Hugo Portisch seit den 1970er-Jahren, als er Geschäftsführer des KURIER und ich ein junger Reporter war. Zum ersten Mal sah ich ihn an dem Tag, als die berühmt gewordenen Ausbrecher der Strafanstalt Stein
(„I bin’s dei Präsident“) mit mehreren Geiseln durch Wien fuhren. Wir Reporter lauschten dem Geschehen am Polizeifunk, plötzlich trat Portisch ein, setzte sich zu uns und verfolgte mit uns die Kriminalstory. Wir waren fassungslos: Der große Hugo Portisch am Polizeifunk! Er war eben Journalist durch und durch.
„Er durchschaute alles“
Heinz Nußbaumer war damals Chef der außenpolitischen Redaktion. „Portisch durchschaute alles“, erinnert sich Nußbaumer. Portisch hatte ihn 1967, kurz vor Ausbruch des Sechstagekrieges, als jungen außenpolitischen Redakteur des KURIER nach Israel geschickt. „Als ich in der Negev-Wüste einige Mirage-Kampfflugzeuge fotografierte, wurde ich wegen Spionageverdachts festgenommen. Sobald die Militärs den Film aus meiner Kamera geholt und erkannt hatten, dass die Aufnahmen harmlos waren, ließen sie mich wieder frei.“
Nußbaumer schrieb die Geschichte seiner Verhaftung nieder, musste sie aber, ehe er sie an den KURIER schicken wollte, der Militärzensur in Tel Aviv vorlegen. Der Zensor sagte: „Das geht viel freundlicher. Verhaftung und Verhör – das klingt nicht wirklich positiv.“ Nußbaumer schrieb die Story auf Anordnung des Zensors dreimal um, wobei sie immer milder wurde, bis sie einem Werbetext glich, in dem stand, dass „die hilfsbereite israelische Armee uns Journalisten sogar die Filme entwickelte“.
Chefredakteur Hugo Portisch las das Manuskript und erkannte sofort: „Der Nußbaumer ist verhaftet worden – und darf’s nicht schreiben!“
So stand es am nächsten Tag dann auch im KURIER.
Portisch war der erste Journalist, der im Vietnamkrieg ein Interview mit dem nordvietnamesischen Außenminister Nguyen Duy Trinh erhielt. Die Geschichte, wie es dazu kam, erzählte Portisch oft und gerne: Der Minister hielt sich 1968 in Paris auf, wo er mit Henry Kissinger verhandelte. „Ich bat bei den Nordvietnamesen um das Interview und erhielt über die österreichische Botschaft in Paris die Nachricht, dass es wahrscheinlich zustande kommen würde. Es sei aber nicht ganz sicher, es bedürfte noch der Zusage aus der nordvietnamesischen Hauptstadt Hanoi.“
Kamerateam nach Paris
Hugo Portisch informierte ORF-Chefredakteur Franz Kreuzer, dass das Interview vermutlich klappen würde: „Bitte sorge dafür“, sagte Portisch zu ihm, „dass ein Kamerateam nach Paris kommt, aber schick es erst, wenn ich ganz sicher weiß, ob ich das Interview wirklich bekomme“.
Ausgerechnet an diesem Tag war im ORF kein Kamerateam frei. Bis auf eines, das aber die Sendung des Fernsehkochs aufzeichnete. Franz Kreuzer rief in der Koch-Sendung an: „Ihr müsst’s sofort abbrechen, wenn es heißt, dass das Team nach Paris fliegt.“ Nach einiger Zeit meldete sich der Kameramann bei Kreuzer und fragte: „Wir sind mit der Hauptspeis fertig, jetzt kommt die Mehlspeis dran. Können wir die Zwetschgenknödeln noch filmen oder nicht?“
Daraufhin Kreuzer: „Was für a blöde Frag. Ob ihr die Zwetschgenknödeln noch filmen könnt’s oder nicht, wird in Hanoi entschieden.“
Ich selbst habe diese Portisch-Schnurre erlebt: Als er mir 2002 im Radiokulturhaus vor Publikum für Ö1 aus seinem Leben erzählte, ließen wir u. a. die Staatsvertragsbilder aus seiner Fernsehserie Österreich II zuspielen. Danach unterbrach eine Dame im Publikum – sie war die Witwe eines ehemaligen ÖVP-Ministers – die Sendung und schrie „Zensur des ORF!“, weil Außenminister Leopold Figl ihrer Meinung nach nicht lang genug gezeigt worden sei. Es war eine eigenartige Situation, dass sich eine Zuhörerin laut in eine Liveaufzeichnung einschaltete.
Leopold Figl
Portisch reagierte ebenso professionell wie charmant: „Liebe gnädige Frau, hier wird keine Zensur geübt. Das war der kurze Auszug aus einer 90-Minuten-Sendung, in der Leopold Figl ausführlich zu Wort kommt. Aber ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Wortmeldung, es ist ganz wichtig, dass Sie einen so großen Mann wie Leopold Figl ausdrücklich erwähnen.“
Applaus aus dem Publikum, und auch die Zuruferin war zufrieden.
„Der Portisch-Lacher“
„Sollte ich jemals ein Lexikon des Lachens schreiben“, sagt Heinz Nußbaumer, „würde ich darin unbedingt den Portisch-Lacher aufnehmen. Das war etwas ganz Besonderes – nur wenige Menschen lachen so viel und so gerne wie er.“
Seinen Humor hat sich Hugo Portisch bis zuletzt bewahrt. Doch am 21. Februar – zwei Tage nach seinem 94. Geburtstag – begann sich sein Gesundheitszustand rapide zu verschlechtern und er wurde ins Wiener Rudolfinerhaus eingeliefert, erzählt Michael Kraus, einer seiner engsten Freunde, der wie Heinz Nußbaumer bis zuletzt an seinem Krankenbett saß. Am vergangenen Donnerstag ist Hugo Portisch im Rudolfinerhaus ruhig eingeschlafen.
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