Qualtingers Wohnzimmer: Wie ein Wiener Kult-Lokal zum Promi-Magnet wurde

In Wien machte im Jahr 1967 das Gerücht die Runde, dass Helmut Zilk neuer Fernsehdirektor werden solle. Als dies Teddy Podgorski, damals noch ein einfacher ORF-Redakteur, zu Ohren kam, sagte er: „Was, der Zilk? Der Trottel!“
Tage später war Zilk Fernsehdirektor, und Podgorski begann sich ernsthafte Sorgen um seinen Job zu machen. Da trafen die beiden Herren zufällig im Gutruf aneinander. Zilk ging auf Podgorski zu: „I hör, Sie sagen, i bin a Trottel?“
Podgorski: „Ja, es is meine Überzeugung.“
Daraufhin streckte Zilk die Hand aus: „Wissen S’ was? Samma per du!“ Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.
Vorbild für den „Herrn Karl“
Eine von zahllosen Geschichten aus dem Gutruf, dem zweiten Wohnzimmer prominenter Wiener, deren uneingeschränkter Star Helmut Qualtinger war. Das Gutruf in der Milchgasse, gleich beim Graben, wurde 1906 von Leopoldine Gutruf als „English House“ gegründet, in dem „feine Konserven, Biskuits, Whiskys und Thees“ zum Verkauf gelangten. Frau Gutruf führte das Delikatessengeschäft bis 1947, womit wir schon zur ersten Qualtinger-Schnurre kommen. Denn Käufer der Spezerei war das Wiener Original Hannes Hoffmann, ein verhinderter Operettensänger, der als Vorbild für die Figur des „Herrn Karl“ gilt.
„Des mit’n Herrn Karl“, erklärte Hoffmann später in einem Radiointerview, „ich hab im Gutruf immer meine G’schichten erzählt, die ich erlebt hab.“ Als der „Herr Karl“ vor der TV-Premiere stand, lud Qualtinger den Gutruf-Chef ein, sich das Stück anzusehen. „I geh hin“, sagte Hannes Hoffmann, „und siech, des san die G’schichten, die san exakt von mir. Sag i hearst, i lass des sperren, des san doch meine G’schichten.“ Herr Hoffmann ließ den bald berühmt gewordenen Monolog dann doch nicht sperren, da er erkannte, dass er eine einzigartige Reklame für sich und das Gutruf war. Es gab allerdings noch ein Original, von dem ebenfalls behauptet wird, als Vorlage für den opportunistischen Mitläufer gedient zu haben. Vermutlich ist der „Herr Karl“ eine Mischung aus beiden.

Vom Stammgast zum Mitbesitzer: Podgorski im Gutruf.
Der Polizeipräsident war Kunde
Während nach dem Krieg kaum ein Delikatessengeschäft hochwertige Produkte anbieten konnte, erwarb Herr Hoffmann am Schwarzmarkt Lebensmittel und alkoholische Getränke. Da er lediglich eine Konzession als Greißler hatte, hätte er um 18.30 Uhr zusperren müssen, doch gerade da trudelten seine liebsten Gäste, die nachtschwärmenden Künstler, erst ein. „Nun is aber der Polizeipräsident Joschi Holaubek a mei Kundschaft g’wesen“, so Hoffmann. „Eines Tages san zwa Wachebeamte kommen und sehen die Leut im Lokal, jeder mit an Glasl in der Hand. ,Was is des für a Greißlerei, was tuat si da?‘, ham’s g’fragt. ,Schenken Sie aus?‘ Da is der Holaubek aus’n Hinterstüberl kommen und hat g’sagt: ,Was woits?‘ Die haben salutiert: ,Nix, Herr Präsident!‘ – Na alsdann, is ja alles in Ordnung.“
Hannes Hoffmann verkaufte das Gutruf 1972 an den Geschäftsmann Rudi Wein. Ob der wirklich Spion in Diensten der DDR war, wie gemunkelt wurde, weiß man nicht so genau, aber dass er sich politisch sehr weit links positionierte, hat er selbst bestätigt, indem er sich gerne als „Rudi Rotwein“ vorstellte.
Rudolf Wein erhielt die Schankkonzession fürs Gutruf und ließ in der winzigen Küche Mahlzeiten zubereiten, die durch den indisch-chinesischen Koch Bernhard Chung in Wien weltberühmt wurden. Hauptanziehungspunkt blieb freilich Helmut Qualtinger, in dessen Windschatten stets ein gewisser Otto Kobalek segelte. Kobalek nannte sich „Arbeiterdichter“, obwohl er in seinem Leben weder je gearbeitet noch gedichtet hatte. Ein anderer Stammgast war der Maler Hugo Schönborn, der laut „Gutruf“-Buch einmal seinen Sohn, den späteren Kardinal, mitbrachte.
Lokalverbot im Gutruf
„Prominente Gäste wollen hier nicht bestaunt werden“, philosophierte Hörfunkintendant Ernst Grissemann, „wenn jemand ins Gutruf käme und von Otto Schenk oder Teddy Podgorski oder Gerhard Bronner ein Autogramm verlangen würde, zöge das ein sofortiges Lokalverbot auf Lebenszeit nach sich.“
Apropos: Louise Martini und Erni Mangold waren im Gutruf wohlgelitten, den Ehefrauen der Gäste wurde hingegen während Rudi Weins strenger Regentschaft der Zutritt in das 50-Quadratmeter-Lokal verwehrt, in dem an acht Tischen in zwei kleinen Räumen maximal 30 Personen Platz finden.
Als Teddy Podgorski 1990 als ORF-Generalintendant (durch den Gutruf-Gast Gerd Bacher) abgelöst wurde, fuhr Niki Lauda eigener Aussage zufolge „sofort auf Verdacht ins Gutruf, um ihn zu trösten. Wir haben ein bissl was getrunken und geredet, wie schlecht die Welt ist“.
Der Journalist Helmut A. Gansterer schuf hingegen das Wortspiel vom „guten Ruf“ des Gutrufs – obwohl der Ruf nicht immer so gut war. Nicht nur, weil sich der Lokalbetreiber gerüchteweise als Spion betätigte, sondern vor allem weil der stets bewaffnete und später wegen sechsfachen Mordes verurteilte Demel-Chef Udo Proksch in der Milchgasse ein und ausging.
- Kabarettisten: Helmut Qualtinger, Gerhard Bronner, Joesi Prokopetz, Werner Schneyder.
- Schriftsteller: Wolfgang Bauer, H. C. Artmann, Peter Handke. Elfriede Gerstl, Felix Mitterer.
- Musiker: Gottfried von Einem, Fatty George, Uzzi Förster.
- Schauspieler: Helmuth Lohner, Otto Schenk, Kurt Sowinetz, Heinz Marecek, Fritz Muliar, Louise Martini, H.-J. Kulenkampff.
- Kammersänger: Heinz Holecek, Harald Serafin.
- Maler & Bildhauer: Adolf Frohner, Hundertwasser, Maria Lahr, Eduard Angeli, Alfred Hrdlicka.
- Karikaturisten: Erich Sokol, Rudolf Angerer.
- Wiens Polizeipräsident Josef Holaubek.
- Journalisten: Gerd Bacher, Teddy Podgorski, Gerhard Zeiler, Hans Mahr, Hellmuth Andics.
- TV-Produzenten: Otto Pammer, Rudolf Klingohr.
- Politiker: Helmut Zilk, Karl Blecha, Michael Häupl, Michael Ludwig, Norbert Steger.
- Solotänzer: Michael Birkmeyer, Rudolf Nurejew.
- Formel-1-Weltmeister Niki Lauda.
- Theaterleiter: Günter Rhomberg, Robert Jungbluth, Ioan Holender, Christian Kircher u. v. a.
Podgorski rettet das Gutruf
Als das Gutruf 1992 pleitezugehen drohte, kauften es die Stammgäste Teddy Podgorski, Herbert Völker und Peter Allmayer-Beck, um es zu retten, was tatsächlich gelungen ist.
Auch wenn die legendäre Qualtinger-Ära längst vorbei ist, bittet der Austro-Amerikaner Max Strauss immer noch einmal in der Woche zur „Bubenrunde“, die von nicht mehr ganz jungen Buben frequentiert wird: Otto Schenk kam bis wenige Wochen vor seinem Tod, Anwälte, Ärzte und Theaterleute wie Ioan Holender, Günter Rhomberg und Harald Serafin finden sich nach wie vor ein. Und der Journalist Armin Holenia kommt fast jeden Tag zum Essen. Und das seit 40 Jahren!
Nachdem die Gutruf-Eigentümer Podgorski, Allmayer-Beck und Völker vor Kurzem binnen weniger Monate verstarben, plant die Mitinhaberin, Geschäftsführerin und Meisterköchin Anca Zah das Gutruf in Zusammenarbeit mit den Erben ihrer Teilhaber weiterzuführen. Und die Stammgäste jubeln über ihren Satz: „Alles bleibt so, wie es ist!“
georg.markus
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