„Rechts“ und „links“
Was die Zweite Republik betrifft, haben wir schon alle nur möglichen (und unmöglichen) Regierungsformen erlebt. Unsere bisherigen Koalitionen waren u. a. schwarz-rot, rot-schwarz, rot-blau, schwarz-blau, schwarz-orange, türkis-blau, türkis-grün. Und jetzt kommt – so die Mitgliederversammlung der Neos mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmt – eine neue Farbschattierung à la „Zuckerl“ in Türkis-Rot-Pink hinzu.
Noch ehe die Parteifarben ins politische Spiel kamen, dachte man schon in den Kategorien „rechts“ und „links“. Genau genommen seit dem Jahr 1860, als der Reichsrat (das heutige Parlament) geschaffen wurde, in dem sich die Minister erstmals nicht nur dem Kaiser, sondern auch Abgeordneten gegenüber zu verantworten hatten. Hier saßen, als Vorgänger unserer Parteien, auf der einen Seite die liberalen „Zentralisten“, auf der anderen die konservativen „Föderalisten“. Die Liberalen wurden bald „Linke“ genannt, die Konservativen „Rechte“, weil die einen im Reichsrat ihre Plätze links und die anderen rechts (vom Blickwinkel des Ministerpräsidenten aus gesehen) hatten.
Sturz der Regierung
Als die konservative Regierung im Jahr 1893 gestürzt wurde, kam es zur ersten „großen Koalition“ zwischen rechts und links – wobei Letztere noch nichts mit den Sozialdemokraten zu tun hatten, obwohl die damals schon existierten.
Bei den ersten freien Wahlen im Jahr 1907 (bei denen Frauen noch nicht wählen durften) wurden die Sozialdemokraten zur stärksten Partei, gelangten aber nicht in die Regierung, weil sich Christlichsoziale und Katholisch-Konservative zusammenschlossen. Und auch in der Ersten Republik gehörten die Roten dem Kabinett – unter Staatskanzler Renner – nur von 1918 bis 1920 an.
Kreisky & Breisky
Bekannt ist, dass Bruno Kreisky Österreichs längstdienender Kanzler war. Weniger bekannt ist, dass der kürzestdienende Kanzler fast ebenso hieß: Breisky. Der christlichsoziale Jurist war nur einen Tag Regierungschef. Und zwar am 26. Jänner 1922, als der parteilose Johannes Schober nach Auseinandersetzungen mit den Großdeutschen als Regierungschef zurücktrat. Am nächsten Tag hatte sich Schober mit dem Koalitionspartner geeinigt – und Walter Breisky wurde nach eintägiger Kanzlerschaft wieder entlassen.
Knappe Mehrheiten
Aber die Probleme blieben. Und so waren auch die Tage Schobers gezählt, sein Nachfolger war der Priester Ignaz Seipel. Die Christlichsozialen koalierten in diesen Tagen meist mit den Deutschnationalen. Dass der Sozialdemokrat Otto Bauer 1930 das Angebot Seipels in eine große Koalition zu gehen, ablehnte, führte in der Folge zu den eingangs erwähnten knappen Mehrheiten. Doch dass Ignaz Seipels Tod Dollfuß 1932 die Regierungsmehrheit rettete, brachte dem Kanzler kein Glück: Engelbert Dollfuß wurde knapp zwei Jahre später im Kanzleramt am Ballhausplatz Opfer eines Mordanschlags.
Wirtschaftswunder
Nach autoritärem Ständestaat und der Ausschaltung Österreichs durch die Nationalsozialisten bildeten 1945 ÖVP, SPÖ und KPÖ die bisher einzige Dreiparteien-Regierung des Landes. Sie wurde im November 1947 durch die von Leopold Figl und Adolf Schärf gegründete große Koalition abgelöst. Und diese schaffte trotz Postenschachers und Packelei, was in den Nachkriegsjahren keine andere Regierungsform für Österreich zustande gebracht hätte. Volkspartei und Sozialisten handelten Staatsvertrag und Neutralität aus, ermöglichten Sozialpartnerschaft und Wirtschaftswunder und legten damit den Grundstein für den Wohlstand in der Zweiten Republik. Auch der EU-Beitritt wäre – viel später dann – ohne „Große“ kaum möglich gewesen.
Als Josef Klaus 1966 der ÖVP zur absoluten Mehrheit verhalf, schlug die Stunde der ersten (schwarzen) Alleinregierung. 1970 ließ Bruno Kreisky seine Minderheitsregierung im Parlament von Friedrich Peters FPÖ unterstützen. Ein Jahr später schaffte der „Sonnenkönig“ dann die „Absolute“. Sie hielt bis 1983, als Fred Sinowatz die Blauen unter ihrem Obmann Norbert Steger ins Kabinett holte. Es folgten Rot-Schwarz unter den Kanzlern Vranitzky und Klima sowie Schwarz-Blau (bzw. Orange) unter Schüssel. Dann regierten Gusenbauer, Faymann und Kern wieder in großen Koalitionen, ehe Sebastian Kurz und Karl Nehammer es mit Blau und Grün versuchten. Dazwischen gab’s noch eine Expertenregierung unter Brigitte Bierlein und zwei Interimskabinette mit Kanzler Alexander Schallenberg.
„Große“ plus Neos
Nun soll also morgen, Montag, eine Art „große Koalition plus“ (Neos) angelobt werden.
Apropos „Große“. Sie führte in den 1960er-Jahren zu einer Konstellation, von der man heute nicht mehr so genau weiß, ob sie ein politischer Witz oder Realität war: Als in den ehemals kaiserlichen WC-Anlagen von Schönbrunn eine rote Klofrau beschäftigt wurde, musste aus Gründen des Proporzes auch eine mit schwarzem Parteibuch angeheuert werden.
Bleibt zu hoffen, dass wir in der neuen „Zuckerl“-Koalition nicht auch noch eine dritte Klofrau brauchen.
Kommentare