Doch sogar im Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker werde der Charakter einzelner Stücke nicht korrekt wiedergegeben. Prominentestes Beispiel: Im Walzer aller Walzer plätschert die Donau, von Streich- und Blasinstrumenten begleitet, zwischen lieblich und reißend vor sich hin und das, obwohl die Komposition ursprünglich nichts mit der Donau zu tun hatte: Der Fluss kommt in der ersten Strauss-Fassung gar nicht vor. Der Text lautete damals nicht „Donau so blau… durch Tal und Au“, sondern „Wiener seid froh. Oho, wieso?“ Norbert Rubey zufolge waren die Worte des Polizeibeamten Josef Weyl ironisch gemeint, die Wiener hatten 1866/67, als ihre künftige Hymne entstand, absolut keinen Grund „froh“ zu sein: Österreich hatte eben erst den Krieg gegen Preußen verloren sowie eine Wirtschaftskrise, eine Choleraepidemie und einen eiskalten Winter durchlebt. Somit klang die von Strauss erdachte Musik nicht wie das Dahinfließen des Donaustroms, sondern wie die tristen Verhältnisse im damaligen Wien.
Eduard Strauss dazu: „Die Leute sagen, spielt’s die Strauss-Musik wie sie immer gespielt wird, sie ist eh schön. Ich bin sicher, dass den Menschen die Originalversion noch besser gefallen würde.“ Ziel müsse sein, eine historisch korrekte Interpretation aller Werke zu ermöglichen.
Der Radetzky-Marsch
Dass unterschiedliche Versionen ihrer Walzer, Polkas und Märsche existieren, „liegt daran, dass die Strauss-Brüder ihre Partituren an Musikverleger verkauften, die damit deren Eigentümer wurden und mit ihnen machen konnten, was sie wollten. Viele Orchester übernahmen die fehlerhaften oder sogar verfälschten Musikdrucke und Arrangements, die dadurch anders klingen als von den Komponisten vorgesehen.“
Auch der Radetzky-Marsch werde laut den Professoren Strauss und Rubey „heute nicht so gespielt wie von Strauss Vater geplant“. Norbert Rubey war es, der die Originalpartitur entdeckte, derzufolge das Meisterwerk ursprünglich einen zum Teil anderen melodischen Verlauf nahm.
Verbrannte Handschriften
„Fake“ ist auch die kolportierte Annahme, der Radetzky-Marsch sei von Strauss Vater in Anwesenheit Felsmarschall Radetzkys aufgeführt worden. Das ist gar nicht möglich, weil Radetzky, als Strauss den Marsch am 31. August 1848 in Wien zum ersten Mal dirigierte, noch an der Front in Italien war. Und als Radetzky nach Wien zurückkehrte, war Strauss bereits tot.
Strauss Vater wird übrigens, so sein Ururenkel, unrecht getan: „Er hinterließ 250 Kompositionen, gespielt wird aber fast immer nur der Radetzky-Marsch.“
Oft verbreitet wird, dass Eduard die Originalhandschriften seines Bruders Johann verbrannt hätte. Hat er nicht, sehr wohl aber diverses Notenmaterial der Strauss-Kapelle.
Für falsch hält Eduard Strauss die meist verwendete Schreibweise „Strauß“, gibt es doch Dokumente, die beweisen, dass seine Ahnen das Doppel-S verwendeten. Eduard Strauss ist froh, dass „immer mehr Institutionen dem Wunsch der Familie folgen und den Namen korrekt mit Doppel-S schreiben“.
Die weltweit größte Verfälschung fand die Geschichte der Musikerfamilie durch die 1990 gedrehte Fernsehserie „Strauß Dynastie“, einer Seifenoper Made in Hollywood, in der die Strauss-Biografien verlogen dargestellt werden:
Verfeindete Brüder
Johann Strauss Sohn hat in der 25 Millionen Dollar teuren österreichisch-amerikanischen Koproduktion ein Verhältnis mit der Tochter Joseph Lanners, dem Konkurrenten seines Vaters. Diese Liaison ist ebenso frei erfunden wie die Behauptung, Lanner sei Alkoholiker gewesen.
In dieser Verfilmung werden Johann und Eduard Strauss als verfeindete Brüder dargestellt. Das waren sie keineswegs, im Gegenteil, Eduards Orchester spielte Johanns Melodien und trug damit viel zu ihrer Popularisierung bei. Wahr ist, dass Eduard unter dem Genie seines Bruders litt.
Nicht im Gefängnis
Es stimmt zwar, dass die Brüder Johann und Josef den Revolutionären des Jahres 1848 nahestanden, komplett „Fake“ ist hingegen, dass sie deswegen im Gefängnis saßen. Alle damals noch lebenden Nachfahren der Familie Strauss haben sich vom Inhalt dieser TV-Serie distanziert.
Auch in dem von Franz Antel 1986 gedrehten Film „Johann Strauß – der König ohne Krone“ schlichen sich Ungenauigkeiten ein: Der „Walzerkönig“ war zwar nach der Scheidung seiner zweiten Ehe tatsächlich Bürger des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha geworden und zum protestantischen Glauben übergetreten. Falsch ist jedoch, dass er auf Einladung Kaiser Franz Josephs nach Wien zurückkehrte und dass seine Witwe Adele die Veröffentlichung einer von Bruder Eduard verfassten Biografie verhinderte.
Fälschungen richtig stellen
Nachfahre Eduard Strauss will die verfälschten Darstellungen der Familien- und der Musikgeschichte mit einem Team von Musikforschern richtig stellen. „Das Strauss-Jahr 2025 wäre eine gute Chance für einen Anfang.“ Er hofft dabei auf Unterstützung durch die Stadt Wien
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