Der Mann, der die Intensivstation erfand
Es ist neben „Corona“ und „Impfung“ das wohl meistgebrauchte Wort unserer Zeit: die „Intensivstation“. Das Leben Hunderttausender Menschen in aller Welt hängt davon ab, ob in diesen Hochleistungszentren der Medizin genügend Betten und genügend Personal vorhanden sind.
Die Intensivstation ist jünger, als man denkt, die erste wurde vor etwas mehr als 60 Jahren in den USA errichtet. Von einem Arzt aus Österreich.
Anästhesist statt Chirurg
Peter Safar ist in einem medizinischen Wiener Umfeld aufgewachsen, sein Vater war Augenarzt, die Mutter Kinderärztin. Er selbst wurde 1924 in Wien geboren und wollte eigentlich Chirurg werden. Bis er 1947, noch als Medizinstudent, einen Vortrag von Otto Mayrhofer, dem Begründer der modernen Anästhesie in Wien, besuchte.
Die Thematik faszinierte Safar dermaßen, dass er beschloss, Anästhesist zu werden. Nachdem er sein Studium an der Universität Wien abgeschlossen hatte, erhielt er ein Stipendium, das es ihm ermöglichte, in den USA die Facharztausbildung zum Anästhesisten zu absolvieren.
Er blieb in Amerika, arbeitete an mehreren Klinken, ehe er 1958 im City Hospital in Baltimore die weltweit erste zentrale Intensivstation gründete.
Der Arzt, der ihn durch seinen Vortrag zur Anästhesie brachte, lebt heute hoch betagt in Wien. „Peter Safar“, erzählt der 101-jährige Prof. Otto Mayrhofer, „war ein bedeutender Arzt, ganz im Sinne der Wiener medizinischen Schule. Sein Wirken in Amerika hat in die ganze Welt ausgestrahlt.“
Unhaltbare Zustände
Patienten nach einem Herzinfarkt, Schlaganfall, schweren Unfall oder mit Nierenversagen „wurden vor Errichtung der Intensivstationen aus dem Operationssaal kommend, in ihren Betten auf den Gang gelegt, weil dort regelmäßig Schwestern und Ärzte vorbeikamen“, erinnert sich der Wiener Anästhesist und Medizinhistoriker Franz Lackner, der Safar ebenfalls noch gekannt hat.
„Ich habe das als junger Arzt selbst noch gesehen. Das waren unhaltbare Zustände.“
Peter Safar spezialisierte sich als Lehrstuhlinhaber für Anästhesie an der Universität Pittsburgh auf Schmerztherapie und Wiederbelebung und erzielte mit der Entwicklung der Mund-zu-Mund-Beatmung herausragende Erfolge.
Er schreckte nicht davor zurück, freiwillige Mitglieder seines Ärzteteams mit einem indischen Pfeilgift zu narkotisieren, um seine Wiederbelebungsmaßnahmen testen zu können.
Intensivtherapie
So wurde er als „Vater der modernen Reanimation“ und als „Pionier der Notfallmedizin“ weltberühmt. „Und weil man einen wiederbelebten Patienten nicht einfach in ein Bett auf der Normalstation legen kann“, erklärt Professor Lackner, „ist Peter Safar zur Intensivtherapie übergegangen“.
Während auf Normalstationen pro diplomierter Pflegerin bis zu 20 Patienten betreut werden, überwacht und behandelt eine speziell ausgebildete Pflegefachkraft auf Intensivstationen gleichzeitig nur ein bis drei Patienten. Auch muss immer ein Arzt anwesend oder in kürzester Zeit abrufbar sein. Verpflichtend ist auch der Einsatz modernster Geräte.
Peter Safar war nicht der Erste, der sich über eine intensivmedizinische Betreuung Gedanken machte. Florence Nightingale, die Begründerin der modernen Krankenpflege, schlug bereits 1855, während des Krimkrieges, die Einrichtung spezieller Räume für die unmittelbare Zeit nach einer Operation vor.
Weiters hatte der dänische Arzt Björn Ibsen als Vorstufe zu Safars Intensivstation 1954 in Kopenhagen den Aufwachraum entwickelt.
Peter Safar wurde für seine herausragenden Leistungen mit Ehrendoktoraten ausgezeichnet, an der Universität Pittsburgh ist das Safar-Zentrum für Reanimationsforschung nach ihm benannt, und er wurde dreimal für den Nobelpreis nominiert.
Obwohl Safar auch in Österreich mehrfach geehrt und im Jahr 2009 im dritten Wiener Gemeindebezirk eine Gasse nach ihm benannt wurde, ist er in seiner Heimat weitgehend vergessen.
Dramatische Zunahme
Österreichs erste Intensivstation wurde 1963 im Wiener AKH ins Leben gerufen. Während in kleineren Krankenhäusern auch heute noch oft nur eine gemeinsame Intensivabteilung besteht, gibt es in größeren Spitälern auf verschiedene Fachrichtungen eingerichtete Intensivstationen u. a. für Chirurgie, Herzchirurgie, Neurologie, Pädiatrie und Innere Medizin.
Infolge von Covid-19 kam es weltweit zu einer dramatischen Zunahme an intensivmedizinischen Patienten, von denen die meisten künstlich beatmet werden müssen.
Zu jung, um zu sterben
Peter Safars lebenslanges Ziel war es, „die Herzen und Gehirne jener zu retten, die zu jung sind, um zu sterben“. Und gerade ihn traf das Schicksal mit dem plötzlichen Tod seiner Tochter Elisabeth, die 1966 mit elf Jahren nach einem Asthma-Anfall starb.
Selbst diese Tragödie blieb für den medizinischen Fortschritt nicht ohne Folgen: Peter Safar gründete danach in den USA einen nationalen Rettungsdienst, setzte Standards für die Aus- und Weiterbildung von Sanitätern und die Ausstattung von Intensivkrankenwagen.
Darüber hinaus erkannte er, dass für eine effektive Herz-Lungen-Wiederbelebung Übungsmöglichkeiten fehlten, worauf er eine Puppe in Form eines menschlichen Körpers entwickelte, an der die Reanimation trainiert werden kann.
Im Jahr 1989 trat Peter Safar in den Ruhestand, den er in den USA verbrachte. Er kam aber immer wieder nach Wien, wo er die geliebten Philharmonischen Konzerte besuchte, schließlich war er selbst ein begabter Pianist. „Er war ein liebenswerter Mensch, dem es leicht fiel, Freundschaften zu schließen“, erinnert sich Professor Mayrhofer, „und der auch mir im Lauf der Jahre zum Freund wurde“.
Wiederbelebung
Peter Safar starb am 3. August 2003 mit 79 Jahren in Pittsburgh. Er hinterließ seine Frau Eva, die wie er aus Wien stammte, und zwei Söhne.
„Selten hat ein Einzelner die Medizin so beeinflusst wie er“, meinte anlässlich seines Todes sein Schüler, der Notfallmediziner Fritz Sterz. „Die Wiederbelebung von Menschen mit Herz-Kreislauf-Stillstand ist jenes Fachgebiet, mit dem Safar weltberühmt wurde.“
Der große Arzt fand am Grinzinger Friedhof in Wien seine letzte Ruhe.
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