Der zweite Mann: Alexander Korda, der Produzent.
Der dritte Mann: Carol Reed, der Regisseur.
Alle drei arbeiteten als Agenten für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 und waren wohl nicht nur zum Filmemachen nach Wien geschickt worden.
Assistentin am Set
Die Historikerin Karina Urbach hat die Spionage sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, besser gesagt: mit der Vatermilch. Denn ihr Vater Otto Urbach, ein gebürtiger Wiener, arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg als Nachrichtenoffizier der US-amerikanischen Spionageabwehr.
Diese Herkunft war wohl der Grund für Karina Urbach, sich intensiv mit der Geschichte der Geheimdienste zu befassen. Und so lernte sie in London Angela Allen, die letzte lebende Mitarbeiterin des „Dritten Mannes“, kennen.
Die heute 95-jährige Britin war bei den Dreharbeiten des erfolgreichsten Films, der je in Österreich gedreht wurde, gerade 19 Jahre jung und arbeitete als Scriptgirl und Assistentin am Set.
Echter Geheimgang
Angela Allen hatte nach Fertigstellung des Films erfahren, dass die Herren Greene, Korda und Reed für den MI6 tätig waren und erzählte das Karina Urbach, die gerade für ihr neues Buch „Das Haus am Gordon Place“ recherchierte. Angela Allen berichtete ihr auch von einer vierten MI6-Mitarbeiterin am Filmset, der bereits verstorbenen britischen Aristokratin Elizabeth Montagu.
Während sich die Schauspieler des „Dritten Mannes“ 1948 im Wiener Kanalsystem eine perfekt inszenierte Verfolgungsjagd lieferten, gruben Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes einen ganz anderen Tunnel durch das unterirdische Wien. Doch dieser Tunnel war keine Filmkulisse, sondern ein realer Geheimgang, in dem Abhörspezialisten saßen, die die Telefonleitungen des sowjetischen Hochkommissars im Hotel Imperial anzapften.
Mithilfe dieses „Abhörtunnels“ konnten mit Beginn des Kalten Krieges sämtliche Gespräche der Sowjets belauscht werden. Diese „Operation Silber“ lieferte den Westmächten bis zum Ende der Besatzungszeit in Österreich wertvolle Hinweise.
In der russischen Zone
„Es ist bestimmt kein Zufall, dass Autor, Regisseur und Produzent darauf bestanden, wichtige Szenen des ,Dritten Mannes‘ in der sowjetischen Zone Wiens zu drehen“, meint Karina Urbach. Als Kulissen dienten das Riesenrad, der damalige Wiener Südbahnhof und Teile der Inneren Stadt, die von allen vier Besatzungsmächten verwaltet wurde.
„Viele Indizien deuten darauf hin, dass die Filmleute im Auftrag des MI6 während der Dreharbeiten eine Operation in der Sowjetzone durchzogen. Was genau lief, ist bis heute nicht bekannt geworden, es ist möglich, dass sie Kabel für weitere Abhörtunnels anzapften oder auch, dass sie Personen aus den russisch besetzten Wiener Bezirken schmuggelten. Der Auslandsgeheimdienst MI6 gibt prinzipiell keine Akten frei. Wir wissen jedoch, dass bei den westlichen Geheimdiensten große Angst vor den weiteren Plänen der sowjetischen Besatzer herrschte, zumal Stalin im Juni ’48 die Blockade Berlins angeordnet hatte. Die Angst war, dass auch Wien abgeschnitten und am Ende kommunistisch werden könnte. Das wollte man unter allen Umständen verhindern und schickte daher die kreativsten MI6-Leute nach Österreich.“ Auch die vom ,Dritten Mann‘.“
Es scheint sicher, dass Orson Welles, Joseph Cotten, Alida Valli und die anderen Schauspieler des weltberühmt gewordenen Films von der „nebenberuflichen“ Agententätigkeit des Trios Greene-Korda-Reed keine Ahnung hatten. Das kongeniale „Harry-Lime-Thema“ des bei einem Wiener Heurigen angeheuerten Zitherspielers Anton Karas überdeckte alles.
Fiktion und Fakten
Die habilitierte Historikerin Karina Urbach (55), die in London und Princeton lehrte, hat den Spionage-Hintergrund zum „Dritten Mann“ in einen auf historischen Begebenheiten basierenden Kriminalroman gepackt, der im London von heute und im Wien der Nachkriegszeit spielt*. Die zwischen Fiktion und Fakten angesiedelte Handlung: Eine britische MI6-Agentin ist 1948 in Wien tätig. Um unbemerkt in den sowjetischen Sektor der Stadt zu gelangen, schließt sie sich der Filmcrew des „Dritten Mannes“ an. Als Jahrzehnte danach in ihrer Wohnung am noblen Gordon Place in London ein Mord passiert, beginnt eine spannende Reise in die Vergangenheit …
Im Solde des MI6
Bei den Recherchen zu der Story stieß Karina Urbach auf Angela Allen, die ihr von der Spionagetätigkeit ihrer ehemaligen Chefs erzählte. Von Graham Greene und Alexander Korda wusste man bisher schon, dass sie im Solde des MI6 standen, nicht bekannt war, dass sie bei den Dreharbeiten zum „Dritten Mann“ Geheimdienstmaterial sammelten. Carol Reeds Agententätigkeit war bisher überhaupt unbekannt.
Was immer auch Graham Greene und die anderen Filmleute dazu beigetragen haben, eines ist tatsächlich gelungen: Wien ist nicht kommunistisch geworden!
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