Als die Ukraine noch bei Österreich war

Als die Ukraine noch bei Österreich war
Prominente Schriftsteller, Schauspieler, Sänger, Unternehmer, ein Papst und ein Spion der ehemaligen Donaumonarchie stammen aus Galizien

Viel Wienerischer als „Die Kapuzinergruft“ kann der Titel eines Romans nicht sein. Doch der Autor Joseph Roth stammte nicht aus Wien, sondern aus Galizien, das damals Teil der Ukraine und ein Kronland der österreichisch-ungarischen Monarchie war. Tatsächlich wanderten im 19. und frühen 20. Jahrhundert viele Galizier nach Wien aus und machten hier Karriere. Einer von ihnen – und er zählte zu den berühmtesten – war der Schriftsteller Joseph Roth.

Das Fehlen des Vaters

Geboren in dem ostgalizischen Schtetl Brody als Sohn eines jüdischen Getreidehändlers, verleugnete Roth stets seine Herkunft, indem er behauptete, sein Vater sei ein k. u. k. Offizier gewesen. Der Hintergrund dazu war, dass sein Vater viele Jahre in einer Anstalt für Geisteskranke verbringen musste.

Das Fehlen des Vaters führte dazu, dass Roth in Kaiser Franz Joseph seinen Ersatzvater sah und ihn in seinem Hauptwerk „Radetzkymarsch“ als Garant für Sicherheit und Stabilität erscheinen ließ.

Weniger prominent, aber nicht minder bekannt war der als Sohn eines Eisenbahners in Lemberg, der damaligen Hauptstadt Galiziens, geborene Spion Oberst Alfred Redl, der die militärischen Geheimnisse Österreich-Ungarns an Russland, Italien und Frankreich verkaufte, womit der spätere Feind im Ersten Weltkrieg über die wichtigsten Informationen der Donaumonarchie verfügte. Dazu gehörten auch die im Kriegsfall bedeutenden Aufmarschpläne.

Als die Ukraine noch bei Österreich war

Redl hatte in Lemberg die Realschule besucht und es später in Wien und Prag zum Generalstabsoffizier gebracht. Für seinen zwölf Jahre andauernden Verrat soll er 500.000 Kronen (heute 1,3 Millionen €) erhalten haben, die er dazu verwendete, Beziehungen mit jungen Männern zu finanzieren. Nach neueren Erkenntnissen stimmt es aber nicht, dass er vom zaristischen Geheimdienst „Ochrana“ infolge seiner Homosexualität zur Spionagetätigkeit erpresst wurde. Nach seinem Auffliegen 1913 wurde er vom Generalstab gezwungen, sich zu erschießen.

Aus Lemberg kam auch der in den 1930er-Jahren weltberühmte Hollywoodschauspieler Paul Muni, der mit seinen Eltern früh in die USA ausgewandert war und sich dort schon als Kinderstar einen Namen machte. Er erhielt sechs Oscar-Nominierungen und einen Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Darstellung des französischen Chemikers Louis Pasteur.

Als die Ukraine noch bei Österreich war

Mozarts Sohn in Lemberg

Den Großteil seines Lebens in Galizien verbrachte Franz Xaver Mozart, der jüngere Sohn des Musikgenies. 1791 in Wien geboren, war er sechs Monate alt, als sein Vater starb. Er übersiedelte 1808 nach Lemberg, wo er als Klavierlehrer tätig war und sich in eine verheiratete Aristokratin verliebte, deretwegen er 30 Jahre in Galizien blieb. Mozarts Sohn, dessen Kompositionen vergessen sind, starb 1844 während einer Kur in Karlsbad mit 53 Jahren.

Zwölf Tiegel Creme

Die in Krakau geborene Helena Rubinstein ging mit 22 Jahren nach Wien, wo sie als Verkäuferin in einem Pelzgeschäft arbeitete, ehe sie nach Melbourne auswanderte, um mit zwölf Tiegeln Creme, die ihr ihre Mutter in Krakau mitgegeben hatte, den ersten Schönheitssalon Australiens zu gründen. In New York schuf sie ab 1914 dann das größte Kosmetikunternehmen der Welt.

Als Pole kam der aus Wadowice bei Krakau stammende Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II., zur Welt, doch sein Vater Karol, ein gelernter Schneider, hatte im Ersten Weltkrieg noch als Unteroffizier der k. u. k. Armee gedient. Krakau gehörte zwar zu Galizien, nicht jedoch zur Ukraine.

Umgekehrt verhält es sich bei der am Schwarzen Meer gelegenen ukrainischen Millionenstadt Odessa, in der der Wiener Performancekünstler Peter Weibel das Licht der Welt erblickte. „Ich habe keine Erinnerungen an Odessa“, sagt Weibel, „weil ich drei Monate alt war, als ich mit meinen Eltern nach Oberösterreich übersiedelte‚. Aber ich habe starke emotionale, altösterreichische Bindungen, da mir meine Mutter viele Geschichten aus Odessa erzählt hat. Es beeindruckt mich, wie viele russische Künstler aus Odessa stammen“ – der berühmteste war wohl der Geiger David Oistrach. Der Ukraine-Krieg bereitet Peter Weibel „großen Schmerz, auch weil ich Verwandte in Odessa und Kiew habe“.

Das größte Kronland

Galizien war zwischen 1772 und 1918 das größte Kronland der Habsburgermonarchie. In dieser Zeit wurden Schulen, Universitäten und eine funktionierende Bürokratie errichtet, allerdings hat man es verabsäumt, die industrielle Entwicklung voranzutreiben, und auch Handwerk und Gewerbe blieben veraltet.

Duldsame Fanatiker

Als die Ukraine noch bei Österreich war

Aus Czernowitz, der Hauptstadt der einst zu Galizien gehörenden Bukowina, stammte der Schriftsteller Gregor von Rezzori, der durch seine „Maghrebinischen Geschichten“ weltberühmt wurde. Seiner Heimatstadt setzte er ein literarisches Denkmal, als er über die anhaltenden Kleinkriege der zahlreichen ethnischen Gruppen – Ruthenen (=Ukrainer), Deutsche, Polen, Ungarn, Christen und Juden – spöttelte: „Da leben ein Dutzend der verschiedenartigsten Nationalitäten und ein gutes halbes Dutzend einander grimmig befehdender Glaubensbekenntnisse in der zynischen Eintracht gegenseitiger Abneigung und wechselseitigen Geschäftemachens beieinander. Nirgendwo sind die Fanatiker duldsamer, nirgendwo die Toleranten gefährlicher als bei uns.“

Wenn Wladimir Putin die Ukraine angreift, dann greift er auch ein Stück österreichischer Geschichte an.

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