Causa Kampusch: "Roter Teppich bis zur Anklage“
Im September 2010 brachte Johann Rzeszut, 71, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofes, neue Dynamik in den Fall Kampusch. In einem Schreiben an die Parlamentsparteien offenbarte das Mitglied der Evaluierungskommission zahlreiche Ungereimtheiten und warf den leitenden Staatsanwälten vor, wesentliche Ermittlungsergebnisse ignoriert zu haben. Die Ankläger dementierten vehement und wurden auf Anraten der Innsbrucker Staatsanwaltschaft nicht angeklagt. Nun hat das Parlament Untersuchungen eingeleitet. Fazit: Der Fall Kampusch wird neu aufgerollt.
KURIER: Herr Dr. Rzeszut, Sie und Ihr Mitstreiter Ludwig Adamovich wurden von mehreren Seiten als Verschwörungstheoretiker abgestempelt. Nun wird der Fall Kampusch tatsächlich neu aufgerollt. Verspüren Sie Genugtuung?
Johann Rzeszut: Nein, Genugtuung verspüre ich nicht. Ich habe damals reagiert, weil ich das dem 2010 plötzlich verstorbenen Ermittler Franz Kröll schuldig war. Er hat so viele Erkenntnisse, auch in Bezug auf Mittäter, zusammengetragen und wurde letztlich dazu gebracht, die Sache fallenzulassen. Sein tragischer Tod hat mich dazu getrieben, offensiv zu werden. Heute stelle ich erfreut fest, dass die Demokratie funktioniert. Was nun herauskommt, werden unabhängige Gerichte klären und nicht die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft. Was nämlich im Fall Kampusch passiert ist, grenzt an Willkür.
Vor ein paar Tagen sorgte ein Polizist für Aufregung, der behauptete, von Ihnen den Auftrag erhalten zu haben, privat zu ermitteln und DNA von einer angeblichen Kampusch-Tochter zu besorgen ...
Das ist absurd. Es sind viele Menschen an mich herangetreten, auch Polizisten. Die haben sich meistens bedankt, weil ich im Sinne des Polizisten Kröll keine Ruhe gebe. Was dieser Polizist jetzt sagt, ist frei erfunden. Ich sehe mit Zuversicht einer Gegenüberstellung entgegen. Offenbar hat der Mann Erklärungsnot, deshalb hat er mich ins Spiel gebracht. Aber das wird ihm nichts helfen.
"Da greift man sich an den Kopf"
Kernpunkt aller Diskussionen rund um die Causa ist die Möglichkeit von Mittätern an der Entführung ...
Wichtig ist: Es handelt sich nicht um eine Einzeltätertheorie oder Mehrtätertheorie. Es ist eine Gegenüberstellung von zwei Beweis-Ergebnissen. Es geht um die Abwägung von Darstellungen. Nun haben wir zwei Darstellungen, die einander widersprechen. Das hat man zu prüfen.
Es gab eine Zeugin der Entführung. Sie behauptet bis heute felsenfest, zwei Täter im Entführungsauto gesehen zu haben. Warum glaubt ihr die Justiz nicht?
Interessant ist, dass die Staatsanwaltschaft gar nicht das Recht hat, eine Zeugin für unglaubwürdig zu erachten und das Verfahren einzustellen. Dennoch ist es geschehen. Noch dazu wurde die Zeugin von der Staatsanwaltschaft nicht einmal befragt. Das hat nur die Polizei getan. Dann erklärt die Zeugin vor Kurzem vor Gericht in Innsbruck erneut, sie habe zwei Täter gesehen und immer von zwei Tätern gesprochen – auch da sagt die Staatsanwaltschaft, die Zeugin sei unglaubwürdig. Da greift man sich an den Kopf.
Also muss es einen zweiten Täter gegeben haben?
Mit Fug und Recht lässt sich den Ausführungen der unbeteiligten Tatzeugin folgen. Dann muss man sich nur noch das Umfeld des Priklopil anschauen.Gibt es jemanden, der als Komplize infrage kommt? Und siehe da, da gibt es jemanden, der sich quasi selber auf dem Tablett serviert.
Sie meinen Ernst H.?
Ja. Da gibt es gut zwei Dutzend Gründe. Das beginnt bei den falschen Angaben bei der Polizei und bei einer Pressekonferenz. Warum gibt ein angeblich Unbeteiligter überhaupt eine Pressekonferenz? Dann tischt er immer neue Versionen auf. Lauter Widersprüche. Ein roter Teppich bis zur Anklage. Noch dazu sagt die Staatsanwaltschaft Innsbruck, dass man Ernst H. nichts glauben kann. Das hat auch Ermittler Kröll so gesehen, der H. befragt hat. Die Justiz aber hat H. nie einvernommen. In einem neuen Verfahren wird H. sicher eine Hauptrolle spielen.
"Das müsste man die Staatsanwälte fragen"
Die Staatsanwälte, die alle Vorwürfe bestreiten, haben bis heute nur eine Person befragt – Natascha Kampusch. Zudem sollen sie, so Ihr Vorwurf, wichtige Ermittlungsergebnisse ignoriert haben. Wieso sollten sie das tun?
Das müsste man die Staatsanwälte fragen. Man könnte Überlegungen anstellen, die in verschiedenste Richtungen gehen. Es könnte sich um persönliche Naheverhältnisse handeln. Oder um den Schutz von diversen Personen. Ein gezieltes Vorgehen liegt jedenfalls auf der Hand, wenn man sich vergegenwärtigt, wie Ermittler Kröll unter Druck gesetzt wurde.
Kröll vermutete hinter dem Verbrechen einen Pornoring. Wie beurteilen Sie diese Version?
Wenn eine Entführung ohne Sorgerechtsstreit oder Lösegeldforderung vor sich geht, dann liegt der Verdacht nahe, dass ein Sexualdelikt dahintersteckt. Es ist eigentlich die einzige Erklärung. Dann gab es ja auch einen Offizier, der im Handy von Priklopil-Freund H. unter einem seltsamen Pseudonym abgespeichert war. Gegen ihn gab es Verdachtsmomente wegen Pädophilie. Doch wurde das Verfahren gegen den Offizier schon eingestellt, noch bevor eine terminlich festgesetzte Einvernahme durchgeführt wurde. Zudem haben sowohl der Offizier als auch H. unglaubwürdige Angaben gemacht. Da muss man sich fragen, ob die Staatsanwälte nicht ihren Beruf verfehlt haben. Oder ob nicht doch andere Gründe dahinterstecken.
Causa Kampusch: 14 brisante Jahre
Entführungsfall Natascha Kampusch beschäftigt seit 14 Jahren Öffentlichkeit und Justiz. Am 2. März 1998 wurde die damals Zehnjährige in Wien auf dem Weg zur Schule entführt und nach Strasshof verfrachtet. Am 23. August 2006 tauchte das Mädchen wieder auf, Entführer Priklopil starb – er wurde von einem Zug erfasst. Eine 2008 installierte Evaluierungskommission, geleitet von den ehemaligen Höchstrichtern Ludwig Adamovich und Johann Rzeszut, stellte zahlreiche Ungereimtheiten fest und hatte konkrete Hinweise auf einen zweiten Täter. Die Staatsanwaltschaft stellte den Fall im Jänner 2010 dennoch ein. Chefermittler Franz Kröll recherchierte auf eigene Faust weiter, bis er im Juni 2010 plötzlich starb – offiziell durch Selbstmord. Auf politischen Druck wurde ein Verfahren gegen fünf Staatsanwälte wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs eingeleitet. Das Verfahren wurde im November 2011 eingestellt. Seitdem beschäftigt sich ein Unterausschuss mit dem Fall. Ende März werden die Parlamentarier Justizministerin Beatrix Karl empfehlen, den Fall neu aufrollen zu lassen.
Kommentare