Zeitkapsel aus dem Jahr 1905 in Frauenkirchen entdeckt
In Frauenkirchen wurde ein Fenster in das Jahr 1905 geöffnet. Es war versteckt – ganz oben auf der Kirchturmspitze.
Gefunden hat es Pater Thomas Lackner. Mit seiner Video-Drohne – der Franziskaner-Priester hat ein Faible für moderne Technik – fliegt er regelmäßig um die Basilika herum. Bei einem seiner „Kontrollflüge“ sind ihm unlängst Haarrisse an den Gloriolen aufgefallen – das sind die vergoldeten Aufsätze ganz oben auf den Kirchtürmen.
Pater Thomas erkannte sofort: Eine Restaurierung der Gloriolen ist längst überfällig. Waghalsige Spengler aus Stegersbach nahmen sie bei einer aufwendigen Kletteraktion Mitte Juli ab.
Danach wurden die Ei-förmigen Mittelteile auseinandergenommen. Einer davon entpuppte sich als „Überraschungsei“: Darin befand sich die Zeitkapsel aus dem Jahr 1905, versiegelt in einer Dose.
Es war ein nicht gänzlich unerwarteter Fund, wie Pater Thomas im KURIER-Gespräch erklärt: „Wir haben es vermutet, denn solche Zeitkapseln in Kirchtürmen sind gang und gäbe. Wir haben nur nicht gewusst, wo sie ist und aus welchem Jahr sie stammt.“
Das war in der Kapsel
Nach 117 Jahren an der Spitze der Basilika wurde die Frauenkirchner Zeitkapsel geöffnet. Der Inhalt: zum Beispiel ein in Latein verfasster Brief, unterschrieben von Nikolaus Esterhazy (1869–1920).
Dieses und weitere Schriftstücke werden im Moment übersetzt. Der KURIER darf einen ersten Auszug aus einem der Briefe veröffentlichen. Dabei handelt es sich offenbar um die Beschreibung von Renovierungsarbeiten im Jahr 1905: „Dieser Turm, einer von beiden, deren hölzerne Teile vor zwei Jahrhunderten errichtet, durch Blitzschlag beschädigt worden sind, wurde im Jahr des Herrn 1905 erneuert und renoviert. Die heiligen Reliquien, ehrfurchtsvoll eingeschlossen, wurden unverletzt vorgefunden“.
In der Zeitkapsel befanden sich auch verschiedene Gegenstände, darunter eine Heiligenfigur, ein Bild von Papst Pius X. und beschriftete Wachs-Stückchen. Möglicherweise handelt es sich dabei um die im Brief beschriebenen Reliquien. Nächstes Jahr soll der Inhalt der Zeitkapsel bei einer Ausstellung in der Basilika gezeigt werden.
„Nicht öffnen vor 2122“
Noch im Sommer 2022 wird eine neue Zeitkapsel befüllt. Für eine Mindestspende von 100 Euro kann jedermann und -frau ein individuell gestaltetes Pergamentstück hineingeben. Der Preis errechnet sich aus der Aufbewahrungszeit in der Zeitkapsel, erklärt Pater Thomas: ein Euro pro Jahr. Die Einnahmen werden für die Renovierung der Gloriolen verwendet, die Kosten liegen im fünfstelligen Bereich.
Wallfahrtsort
Frauenkirchen ist mit der Basilika „Mariä Geburt“ seit dem 14. Jahrhundert ein beliebter Wallfahrtsort im Seewinkel. Sowohl bei der ersten, als auch bei der zweiten Wiener Türkenbelagerung wurden das Dorf und die Kirchen zerstört .
Kirchenbau
Die heutige Basilika wurde vom italienischen Architekten Francesco Martinelli innerhalb von sieben Jahren geplant und gebaut. Fertig gestellt wurde sie im Jahr 1702. Bauerherr war Paul Esterhazy (1635–1713).
53 Meter
hoch sind die zwei Kirchtürme der Basilika, genau so lange ist auch das Gebäude. Der Innenraum ist 18 Meter breit und 23 Meter hoch. Die Basilika Frauenkirchen ist damit die größte Kirche im Burgenland.
Zum Erntedankfest am 18. September soll die neue Zeitkapsel dann in ihr Zuhause für das nächste Jahrhundert einziehen – in lichten Höhen über dem flachen Seewinkel, im Inneren der frisch vergoldeten Gloriolen. „Wir bieten die Möglichkeit an, dass man sich im Kirchturm für die über-übernächste Generation verewigt. Jeder, der möchte, kann mit uns ein Stück Kirchturmgeschichte schreiben“, sagt Pater Thomas.
Voraussichtlich im Jahr 2122 wird die nächste Renovierung an den Gloriolen in Frauenkirchen nötig sein – und eine neue Generation wird über die Zeitkapsel aus dem fernen Jahr 2022 staunen.
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