Missbrauchsopfer bricht Schweigen: "Ich will anderen Mut machen"
Viele Jahre schwieg das Opfer (Symbolbild), die psychische Belastung hatte Folgen.
Von Gernot Heigl
Als Volksschulkind wurde eine inzwischen 21-jährige Burgenländerin zum Opfer sexuellen Missbrauchs. Gepeinigt vom Stiefvater, der das Mädchen gegen entgeltliche „Gefälligkeiten“ auch an Freunde und Bekannte „vermittelte“.
Im Gespräch mit dem KURIER spricht die junge Frau über Vergewaltigung und Gewalt. Mit ihrem „Outing“ will sie anderen Opfern Mut machen, ebenfalls das Schweigen zu brechen.
„Opfern Mut zusprechen“
Im Alter von fünf Jahren trat, nach der Scheidung der Eltern, der Stiefvater ins Leben von Susi (Name von der Redaktion geändert). Zum Einstieg gab es vom neuen „Papa“ eine große Tafel Schokolade und von Beginn an auffällig innigen Körperkontakt. „Er wollte immer, dass ich mich auf seinen Schoß setze. Oft streichelte er mir über meine Oberschenkel. Für mich, ich ging damals in den Kindergarten, war das unangenehm. Als ich es meiner Mutter sagte, nahm sie mich nicht ernst.“
Im Laufe der Zeit kam es immer öfter zu Berührungen, vor allem wenn sie alleine mit dem Stiefvater war. Verbal folgten „blöde, schmutzige Kommentare“, erinnert sich Susi. „Eines Tages, da war ich sechs Jahre alt, folgte er mir ins Badezimmer. Zuerst starrte er mich an. Dann …“ Nach einer kurzen Pause sagt die Burgenländerin: „... dann kam es zu ersten sexuellen Übergriffen.“
Dass sie heute mit ihrem schockierenden Fall an die Öffentlichkeit geht, ist ihr ausdrücklicher Wunsch – verbunden mit Zuspruch an andere Opfer: „Das ist vermutlich auch ein Teil meiner emotionalen Aufarbeitung. Vor allem aber will ich anderen Opfern Mut zusprechen, ihr Schweigen ebenfalls zu brechen und sich an Vertrauenspersonen zu wenden. Solche Straftaten dürfen nicht ungesühnt bleiben.“
Tatsächlich sind die Schilderungen der Frau nur schwer zu ertragen: „Er hielt mich fest und drohte mir, falls ich mich wehre oder laut werde. Ich war verängstigt und völlig hilflos“, erinnert sich Susi. „Dass ich geweint habe, hat ihn nicht aufgehalten.“
Mutter glaubte Kind nicht
Nach einiger Zeit vertraute sich das Volksschulkind der Mutter an. „Doch statt Hilfe und Verständnis erntete ich den Zorn meiner Mama. Weil sie der Meinung war, dass ich das alles erfinde, um der Beziehung zwischen ihr und ihm zu schaden. Weiters unterstellte sie mir, dass ich ihr Glück verhindern möchte, und sagte, dass sie mich lieber hätte abtreiben sollen. Seither verteidigte sie meinen Stiefvater vehement.“
Das von der Mutter geschenkte Vertrauen habe der Stiefvater „schamlos ausgenutzt“, sagt sie. Die Übergriffe hätten sich über Jahre hinweg gesteigert und immer wieder ereignet – sowohl im gemeinsamen Zuhause als auch an anderen Orten. „Ich war diesem Martyrium ausgeliefert und musste es ertragen.“ Mit brüchiger Stimme erzählt Susi weiter, dass ihr Stiefvater sie auch fotografiert und gefilmt habe. „Ich weiß, dass er dieses Material weitergegeben hat“, sagt sie.
Doch das war nicht das Ende der Demütigungen: „Er zwang mich, Dinge zu tun, die kein Kind jemals erleben sollte – auch im Beisein anderer.“ Erst im Alter von etwa 14 Jahren endete dieses jahrelange Leid, als sich ihre Mutter vom Stiefvater trennte und sie in getrennten Wohnungen lebten.
„Es ist ein verdammt gutes Gefühl, diese Belastung nicht weiter herumschleppen zu müssen", sagte die 21-Jährige nach der Übergabe des Falls an Rechtsanwalt Gerhard Ederer.
Susi schwieg eisern über ihr Schicksal, bis sie im heurigen Sommer ihre neue Liebe kennenlernte. Dem Burgenländer vertraute sie sich schließlich an und verfasste mit ihm ein umfassendes Schriftstück über ihren Leidensweg. Dieses „Tagebuch ihrer Vergangenheit“ übergab sie Rechtsanwalt Gerhard Ederer aus Oberwart, der die Burgenländerin vor Gericht vertreten wird.
Die Folgen
„Natürlich bin ich von meinen furchtbaren Erlebnissen gezeichnet und brauche psychologische Hilfe. Ich leide besonders unter Konzentrationsschwäche und bekomme immer wieder Flashbacks. Daher bin ich auch nicht in der Lage, einen Beruf auszuüben“, erzählt die 21-Jährige über die Folgen. „Aber es ist ein verdammt gutes und erleichterndes Gefühl, diese psychische Belastung nicht weiter als schreckliches Geheimnis mit herumschleppen zu müssen.“
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