Reinhold Messner hat als erster Mensch alle 14 Achttausender ohne Sauerstoffmaske bestiegen. Zu Fuß durchquerte er die Antarktis und die Wüste Gobi. Heute schöpft der 80-jährige Südtiroler seinen Lebenssinn daraus, sein Wissen weiterzugeben. Sein „15. Achttausender“ sei die Summe all seiner Erfahrungen, sagt er. Nach sechs Bergmuseen plant er nun gemeinsam mit seiner Frau Diane (45) die Gründung eines Instituts für traditionellen Alpinismus.
Im März gastiert Messner mit seiner neuen Vortragsreihe „Nanga Parbat – mein Schicksalsberg“ unter anderem in Eisenstadt (siehe Infobox weiter unten). Vorab sprach Reinhold Messner mit dem KURIER über traumatische Erinnerungen, die Sterblichkeit, was Alpinismus heute für ihn bedeutet – und warum er kein amerikanisches Auto mehr kaufen will.
KURIER: Sie haben die letzten drei Wochen als Lektor auf einer Kreuzfahrt durch die Antarktis verbracht. Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen?
Reinhold Messner: Es ist entschieden wärmer geworden. Die Eiskappe in der Mitte der Antarktis ist vier Kilometer dick, die ändert sich nicht so schnell. Das dauert Jahrhunderttausende. Aber die Gletscher am Rande, die ins Meer ragen, die haben sich wesentlich verändert in den letzten Jahrzehnten.
Treibt Sie die Sorge um die Gletscher um?
Dass die Gletscher in den Alpen immer schneller, fast galoppierend, schmelzen, ist natürlich eine dramatische Geschichte für uns. Weil wir dadurch mit der Zeit Wasserkraft verlieren und das Süßwasser. Man muss ja bedenken, dass die Alpen das Süßwasser für die Großstädte liefern. Da kriegen wir Probleme. Aber die Probleme weiter weg von den Alpen sind noch größer. In der Antarktis sind fast 90 Prozent des Süßwassers der Erde gespeichert. Was in den Alpen schmilzt, ist fast nichts dagegen, was in der Antarktis liegt.
Das klingt nicht nach Klimawandel-Verharmlosung, die Ihnen ja schon vorgeworfen wurde.
Beim Klimawandel bin ich sowieso anderer Meinung. Schon das Wort finde ich sonderbar, denn Klima ist gleich Wandel. Da sollten wir in Zukunft auch die Erdgeschichte mit einbeziehen und nicht nur die momentane Veränderung. Es ist natürlich, durch die globale Erwärmung, eine Veränderung eingetreten, das Klima ändert sich, da gibt es keinen Zweifel. Als kleiner Bub konnte ich das Wetter ziemlich genau abschätzen. Heute kann ich das nicht mehr.
Über Ihre Expeditionen haben Sie einmal gesagt: ‚Ich gehe freiwillig in die Hölle‘. Warum erklimmen die Menschen Berge, wenn man es herunten so gemütlich haben kann?
Also die allermeisten, die zum Bergsteigen in die Alpen gehen, machen es sich eigentlich recht gemütlich. Heute ist Alpinismus fast eine Konsumangelegenheit. Man kann inzwischen sogar den Mount Everest buchen, mit allen möglichen Hilfen. Aber das ist nicht mein Thema. Mein Thema ist der extreme, traditionelle Alpinismus. Dabei geht es im Grunde darum: Wir gehen in Eigenverantwortung dorthin, wo wir umkommen könnten, um nicht umzukommen. Die Kunst beim traditionellen Bergsteigen ist das Nicht-Umkommen. Wenn ich das rausnehme, beim Konsumbergsteigen, ist das Tourismus. Ist alles legitim, gut und recht, aber es ist was anderes. Es ist kein wirklicher Alpinismus.
Wenn ich etwas mache, das lebensgefährlich ist, dann erscheint das nicht nur dem Außenstehenden, sondern auch mir selbst absurd. Was wir dieser Absurdität entgegensetzen, ist der Sinn des Ganzen. Der Sinn ist das Gegengewicht zur Absurdität – und der ist individuell verschieden. Diese Aussage gilt übrigens für alle Menschen. Auch im ganz normalen Leben. Wenn ich nicht fähig bin, meinem Tun Sinn einzuhauchen, dann verzweifle ich an meiner Aufgabe, zu steigen. Die grundlegende Erkenntnis, dass wir Menschen sterblich sind, die früher oder später alle trifft – die meisten viel zu spät – ist Teil des Alpinismus.
In Ihren aktuellen Vorträgen widmen Sie sich dem Nanga Parbat – Ihrem „Schicksalsberg“, auf dem 1970 Ihr Bruder Günther ums Leben kam. Welche Gedanken kommen auf, wenn Sie diese Geschichte heute erzählen?
Ich kann diese Geschichte auf der Bühne nur erzählen, weil ich nach 55 Jahren Abstand dazu gewonnen habe. Und ich erzähle diese Geschichte auch, weil sie von Außenstehenden immer wieder als Verschwörungstheorie vorgetragen wird – weil die der Meinung sind, das sei nicht überlebbar. Aber ich bin noch da, ich habe das überlebt
1978 schaffte es Reinhold Messner im Alleingang auf den Gipfel des Nanga Parbat.
Ärgert es Sie, wenn Ihre Version der Ereignisse angezweifelt wird?
Alle Gegnerschaften, die ich in meinem Leben zu ertragen hatte, habe ich inzwischen gestrichen. Ich werde nie mehr auf irgendeine Schimpftirade oder Verschwörungstheorie antworten.
Gibt es in Ihren aktuellen Vorträgen auch neue Details über Ihre zwei Expeditionen zum Nanga Parbat?
Ich erzähle im Vortrag nicht nur meine Geschichte. Ich erzähle auch von der Historie und generell die Zugangsweise an diesen Berg. Es sind ja die besten deutschen und öterreichischen Bergsteiger in den 1930er-Jahren am Nanga Parbat gestorben. Als Günther und ich dort waren, waren schon mehr als 30 Leute ums Leben gekommen.
Reinhold Messner: "Nanga Parbat - mein Schicksalsberg". Die Österreich-Termine:
12. März, 16 Uhr: Dornbirn Kulturhaus
13. März, 19.30 Uhr: Salzburg Congress
14. März, 19.30 Uhr: Leonding Kürnberghalle
15. März, 19.30 Uhr: Gleisdorf ForumKloster
16. März, 18 Uhr: St. Pölten VAZ
17. März, 19.30 Uhr: Eisenstadt Kultur Kongress Zentrum
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie von Fällen wie dem der 33-jährigen Salzburgerin hören, die im Jänner am Großglockner ums Leben kam? Die Geschichte ist sonderbar. Mehr sage ich dazu nicht.
Was treibt Reinhold Messner im Jahr 2025 an? Ich habe heute die Erkenntnis, dass das Narrativ ebenso wichtig ist wie das Tun. Alpinismus ist Erleben und Erzählen in Summe. Die großen Erfahrungen, die wir machen, wollen erzählt werden.
Reinhold Messner ist heute vor allem als Lektor und Erzähler unterwegs.
Von 1999 bis 2004 saßen Sie auf einem Ticket der Südtiroler Grünen im EU-Parlament. Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal politisch aktiv zu werden?
Nein, ich bin zu alt, um Politiker zu werden. Ich habe das eine Periode lang gemacht, allerdings ohne einer Partei beizutreten. Ich bin im Grunde ein grünliberaler Denker und habe das fünf Jahre lang auch so gehalten. Aber ich war ein Hinterbänkler und hatte keine große politische Erfahrung. Als Erzähler habe ich heute zu ökologischen Fragen viel mehr Glaubwürdigkeit als ein Politiker.
Reinhold Messner wurde am 17. September 1944 in Brixen, Südtirol geboren. Zwischen 1970 und 1986 hat Messner alle 14 Achttausender bestiegen.
Nanga Parbat
Laut der „Himalayan Database“ ist der Nanga Parbat im Westhimalaya der tödlichste Berg der Welt: Bis 2018 wurden 400 erfolgreiche Besteigungen erfasst – und 86 Todesfälle. Die Todesrate pro erfolgreicher Besteigung liegt damit bei etwa 22 Prozent.
Wie sehen Sie die aktuellen politischen Entwicklungen in Europa und weltweit?
Wir sind in einer ziemlich schlimmen Lage, weil Europa sich sehr schwertut, in dieser Krise endgültig zusammenzufinden. Ich persönlich habe kein nationales Selbstverständnis. Ich bin kein Italiener, kein Österreicher, kein Deutscher. Ich bin Südtiroler und Europäer und ich würde mir wünschen, dass sich die Europäer mehr als Europäer empfinden und dementsprechend auch die Parlamente zusammenstellen. Aber was im Moment passiert, mit dem Einfluss aus Russland bei unseren Wahlen und was mit Amerika passiert... es ist schwer zu ertragen. Das hat mich auch zu der Entscheidung gebracht, kein amerikanisches Auto mehr zu kaufen.
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