Reinhold Messner gewährt Einblick in seine private Schloss-Bibliothek

Reinhold Messner gewährt Einblick in seine private Schloss-Bibliothek
Reinhold Messner, der im September 80 wurde, besitzt auf Schloss Juval die wohl größte und wertvollste private alpin-historische Bibliothek weltweit. Dem KURIER hat er Einblick gewährt – und seine persönliche „Must-Read“-Liste verraten.

Er ist jetzt 80. Und liest und schreibt noch immer. Beinahe täglich, wie ein Besessener. Weil er Angst hat. Vor der Demenz, der geistigen Umnachtung. „Mein Hirn“, sagt er, „war in der Höhe so oft sauerstoffarmer Luft ausgesetzt. Da muss ich aufpassen und geistig aktiv bleiben.“

Das war allerdings schon in jungen Jahren der Ehrgeiz von Reinhold Messner. Denn er wusste: Berühmt als Bergsteiger wird nur, wer es auch schafft, seine Abenteuer in eine Sprache zu übersetzen, die Laien verstehen. Darin ist er ebenso ein Meister, wie er es jahrzehntelang in Fels und Eis war. Mehr als fünftausend Bücher haben sich bei ihm angesammelt, darunter viele Originalausgaben mit persönlichen Widmungen, die heute sehr wertvoll und selbst im Antiquariat nicht mehr zu bekommen sind. Messner liest sie in drei Sprachen: Deutsch, Italienisch, Englisch. Wenn man ihn auf einzelne Werke anspricht, findet er sie schnell und zielsicher. Er hat sie sortiert: Hier die Alpen, dort zig laufende Meter Himalaya, die heiligen Berge, die Polarregionen. Allein zum Mount Everest reihen sich mehr als fünfzig Bände in dem hohen und kühlen, aber dennoch einladenden Raum aneinander.

Reinhold Messner gewährt Einblick in seine private Schloss-Bibliothek

Kein Sport habe mehr Kontroversen ausgelöst und in der Folge Bücher produziert als das Bergsteigen, erklärt er: „Dabei zähle ich gewöhnliche Expeditionsberichte gar nicht mit. Das ist für mich keine alpine Literatur.“ Er selbst hat mehr als fünf Dutzend Bücher geschrieben, viele weitere als Herausgeber veröffentlicht. Einen Ghostwriter, wie es heute oft üblich ist, hat er nie engagiert: „Eine schreckliche Mode.“ Auf einem Tischlein stapeln sich Notizen, Skizzen und vergilbte Wälzer fast einen halben Meter hoch – seine Stoff-Sammlung für neue Buchprojekte, von denen er viele im Kopf habe. Ob er die selbst noch alle schaffe, wisse er nicht: „Zur Not macht das eben ein anderer“, sagt er ganz pragmatisch. Messner, der Unvollendete …

Der erste Aufsatz

Bereits als junger Bub im Villnößtal begann er, die Berichte der besten Bergsteiger und der mutigsten Abenteurer zu verschlingen. In der Schule schrieb er einen Aufsatz über Landsmann Walter Bonatti, der einen Wettersturz am Frêney-Pfeiler des Mont Blanc sechzig Stunden lang in einem Notbiwak überlebte. Bonatti war ganz nach Messners Geschmack: einer wie er, der nicht nur klettern, sondern auch schreiben konnte, der über den Tellerrand der Alpentäler hinausblickte und an den schwierigen Bergen Neutouren wagte, anstatt anderen hinterher zu steigen. Nicht immer, schränkt Messner ein, sei es jedoch ratsam, die Originale der Zeitzeugen und Protagonisten zu lesen. „Schummeleien und falsche Behauptungen gab es immer schon. Dazu kommt oft die schwer erträgliche, pathetische Sprache aus der Zeit, als Erstbesteigungen noch ein nationales Ansinnen waren.“

Gefragt, ob auch Karl M. Herlingkoffer, Leiter der Nanga-Parbat-Expedition, bei der Messners Bruder Günther ums Leben kam, zur Feder gegriffen habe, sagt er so knapp wie vernichtend: „Nicht einmal das konnte er.“ Keine Frage: Messner wäre als Kritiker ein unterhaltsamer Mann für das Literarische Quartett gewesen. Als Autor ist er dagegen ein literarischer Solist, der nur selten mit Co-Autoren zusammenarbeitete.

Reinhold Messner

Reinhold Messner hat selbst viele Bücher geschrieben. 

Über die Jahre türmte sich Messners Bücherberg zu einem Everest auf. Bevor er Schloss Juval kaufte, stand die gesammelte Lektüre bei ihm zu Hause im Villnößtal und in seinem Meraner Domizil. Heute platzt auch die Bibliothek in Juval aus allen Nähten. Viele Werke lagern deshalb in Firmian, der „Zentrale“ der Messner Mountain Museen (MMM) in Bozen. Andere Bände mussten wieder ins Villnößtal zurück. Nein, er kaufe für die Bibliothek und die Museen keine neuen Bücher mehr an, nur noch Reliquien wie zum Beispiel Ausrüstungsgegenstände berühmter Alpinisten. Besonders stolz ist Messner allerdings auf Original-Aquarelle von Theodore Howard Somervell, einem englischen Chirurgen, Maler und Bergsteiger, der in den 1920er-Jahren selbst Mitglied zweier Everest-Expeditionen war. Ihr Wert: unschätzbar; ihr Status: unverkäuflich.

Offenes Vermächtnis

Er wisse es nicht genau, sagt Messner: Aber ziemlich sicher beherbergt Juval die größte private Alpinbibliothek weltweit. Dahinter könnte die Sammlung des österreichisch-schweizerischen Höhenmediziners und Expeditionsbergsteigers Oswald Oelz folgen. Den größten Schatz an Alpin-Literatur überhaupt verwaltet die altehrwürdige „Alpine Library“ des „British Alpine Club“ in London: dreißigtausend Bücher, fünfunddreißigtausend Fotos.

Reinhold Messner ist sich nicht sicher, was mit seiner Kollektion nach seinem Tod einmal passieren wird: „Sie sollte eigentlich Teil des Museums bleiben. Wir werden sehen.“ Es gibt in seiner „Schatzkammer“ keine Karteikarten, sie wurde nie digitalisiert. Messner ist da etwas altmodisch: „Ich bin auch kein E-Book-Nutzer“, gibt er zu. „Nicht einmal auf Reisen.“ Auf seinen Expeditionen habe er ohnehin nie alpine Literatur gelesen, sondern lieber Fachfremdes. Im Hochlagerzelt auf sechstausend Metern braucht auch der „Gröbaz“, der größte Bergsteiger aller Zeiten, einmal Ablenkung oder leichte Kost. Wieder zu Hause, habe er sich dann umso intensiver in die alpinen Klassiker vertieft.

Dem KURIER hat Messner verraten, welche Werke aus seinem Fundus man als echter Alpinist und Abenteurer oder auch als Couch-Kartoffel gelesen haben sollte.

Reinhold Messners Buchtipps

  1. Walter Bonatti: „Berge meines Lebens“

Der italienische Alpinist Walter Bonatti (1930-2011), der selbst mehr als zwanzig Bücher schrieb, faszinierte Messner schon als Junge. „I giorni grandi“ und „Un mondo perduto“ heißen seine Werke im Original, auf Deutsch erschienen: „Berge meines Lebens“ 

Buchcover Walter Bonatti The Mountanis of My Life
  1. Antarktis-Expeditionen

„Die Eroberer der Pole konnten allesamt gut schreiben“, lobt Messner: Robert F. Scott, Roald Amundsen, Ernest Shackleton. Im Herbst 2017 veröffentlichte er ein Buch über Shackleton: „Wild – oder Der letzte Trip auf Erden.“ 1989 erreichte Messner selbst den Südpol by fair means, zusammen mit Arved Fuchs. Die beiden zofften sich dabei ordentlich. Messners passender Buch-Titel dazu: „Antarktis. Himmel und Hölle zugleich“.

  1. Das Ende des goldenen Zeitalters

Der Brite Edward Whymper gewann den Zweikampf um die Erstbesteigung des Matterhorns, doch der Abstieg endete mit einer Tragödie, die noch immer nicht ganz aufgeklärt ist. Mit dieser Geschichte ging 1865 das „goldene Zeitalter des Alpinismus“ zu Ende. Messners Beitrag zu Whymper: „Absturz des Himmels“.

  1. Emil Zsigmondy: „Die Gefahr der Alpen“ 

1885 stürzte der junge Wiener Alpinist Emil Zsigmondy an der Meije-Südwand in den Tod. Seine Erläuterungen zum führerlosen Bergsteigen waren laut Messner wegweisend und der Zeit weit voraus: Wer den Gipfel nicht „aus eigener Kraft“ erreichen kann, „soll unten bleiben“, schrieb Zsigmondy in „Die Gefahren der Alpen“. Ebenfalls lesenswert und noch erhältlich: „Im Hochgebirge. Wanderungen“, 1929.

Cover die Gefahren der Alpen
  1. Gottfried Merzbacher: „Aus den Hochregionen des Kaukasus“ 

Teuer (rund 900 Euro für die beiden Bände), aber ein Lesegenuss: Gottfried Merzbacher: „Aus den Hochregionen des Kaukasus“ – Der deutsche Geograph, Alpinist und Forschungsreisende verbuchte zahlreiche Erstbesteigungen. Für Messner einer, der sich als echter Abenteurer qualifiziert hat.

  1. Paul Preuß-Biografie von Messner

Der Österreicher Paul Preuß, der mit nur 27 Jahren abstürzte, ist heute noch Vorbild vieler Dolomiten-Kletterer. Messners Biografie dazu: „Der Philosoph des Freikletterns: Die Geschichte von Paul Preuß“.

  1. Heinrich Harrer: "Die weiße Spinne“

Händeschütteln mit Hitler, Teetrinken mit dem Dalai Lama – Heinrich Harrer, einer der vier Erstbesteiger der Eiger-Nordwand, war ein Günstling der Nazis. Sein Buch „Die weiße Spinne“, sollte man dennoch lesen, sagt Messner, trotz der pathetischen Sprache. Wem das zu viel ist: Harrer hat mit seinen drei Seilschafts-Kollegen von damals ein gemeinsames Buch veröffentlicht: „Um die Eiger Nordwand“, gebundene Ausgabe, 1942.

  1. Biografie über Hermann Buhl 

Der Nanga Parbat gilt als der deutsche Schicksalsberg. Reinhold Messner verlor hier seinen Bruder Günther. Hermann Buhl, der Erstbesteiger des Achttausenders in Pakistan, gilt als Pionier des Alpinstils. Er verunglückte 1957 an der Chogolisa. Die ultimative Biografie über Buhl von Horst Höfler und Messner (Hg.): „Hermann Buhl – am Rande des Möglichen“.

Cover Hermann Buhl
  1.  Reinhard Karl: „Erlebnis Berg. Zeit zum Atmen"

Einer, der laut Messner, eine „mutige Sicht auf die Berge“ hatte, war der Deutsche Reinhard Karl, der 1982 am Cho Oyu umkam. Karl hatte wie auch Messner eine Vorliebe für Bergbücher, weshalb ihn seine Mutter in die Sektion Heidelberg des Alpenvereins schickte. Der erste Deutsche auf dem Everest war für Messner ein Bruder im Geiste, vor allem aber ein Vorkämpfer für das Freiklettern ohne Bohrhaken. Seine Autobiografie: Reinhard Karl: „Erlebnis Berg. Zeit zum Atmen“; ebenfalls lesenswert: Tom Dauer: „Reinhard Karl. Ein Leben ohne Wenn und Aber".

  1. Bücher über den Mount Everest

Und was sollten Everest-Fans schmökern? Messner: „Der Fast-Erstbesteiger aus den 1920er Jahren, George Mallory, hat selbst leider kein Buch darüber veröffentlicht, aber er war ein guter Schreiber – ein Dandy natürlich auch.“ Edmund Hillary, der erste auf dem Gipfel? „Ist als Berg-Philosoph nicht wichtig.“ Die Tragödie von 1996? „John Krakauer ist ein guter Autor, Anatoli Boukreev war es leider nicht.“ Über ihre Pioniertat am Everest ohne Flaschensauerstoff haben Messner und Peter Habeler übrigens getrennte Bücher geschrieben. Habelers Titel lautet: „Der einsame Sieg“. Messner hat die Erlebnisse in gleich mehreren Werken verarbeitet.

  1. Pionierinnen und Gipfelstürmerinnen

Eine der wichtigsten Frauen an den hohen Bergen ist für Messner die Britin Alison Hargreaves, die 1995 beim Abstieg vom K2 zu Tode stürzte. Nur drei Monate zuvor hatte sie solo und ohne Sauerstoff den Everest bezwungen. Die Biografie dazu: David Rose und Ed Douglas: „Die Gipfelstürmerin: Triumph und Tragödie der Alison Hargreaves“ – Und was ist mit Gerlinde Kaltenbrunner? Die tut Messner an einem schlechten Tag schon mal als „Konditionsmädel“ ab, Prädikat: nicht lesenswert.

  1. Last-Minute-Rettung in Peru

Respekt als Bergsteiger und Autoren zollt Messner bekannten britischen Alpinisten wie Joe Tusker oder Sir Chris Bonington. Auch Joe Simpsons Drama und Last-Minute-Rettung am Siula Grande in Peru findet er lesenswert: „Sturz ins Leere“.

  1. Literatur aus den Staaten

Und was ist mit den US-amerikanischen Kletterern? „Viele kamen zu spät an die hohen Berge, um Großes zu leisten“, urteilt Messner. Er empfiehlt Werke von John Muir, dem „Erfinder“ der Nationalpark-Idee, und von Steve House, einem der aktuell besten Allround-Bergsteiger aus den Staaten: „Beyond the Mountain“.

Cover Beyond the Mountain
  1. Speed-Begehungen und Karwendel

Nie näher beschäftigt habe er sich mit Hermann von Barth, dem Erstbesteiger vieler Gipfel des Karwendelgebirges, bekennt Messner: „Weil ich dort selten beim Klettern war.“ Im Gegensatz zu seinem Sohn Simon, der in Innsbruck studierte und ständig im Karwendel unterwegs sei. Selbstverständlich sei von Barth ein großer Entdecker gewesen, der zudem meist ganz allein loszog. Wer ihn näher kennenlernen möchte: „Aus den nördlichen Kalkalpen. Ersteigungen und Erlebnisse“, antiquarisch erhältlich.

Schneller, höher, weiter … das hat Messner nie so sehr interessiert. Über Ueli Steck sagte Messner vor dessen Tod einmal: „Er ist fraglos einer der besten Bergsteiger der Welt. Seine Speed-Begehung der Annapurna ist beeindruckend und eine große Leistung. Ein Abenteuer ist es aus meiner Sicht aber nicht.“ Wer das letzte Buch des Schweizers lesen will (mit Co-Autorin Karin Steinbach): „Der nächste Schritt: Nach jedem Berg bin ich ein anderer“, Oktober 2016

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