11 Stunden für 40 Kilometer: 280 Jahre Geschichte an einem Stahlseil

Der Sondertransport war von der ersten bis zur letzten Minuten nervenaufreibend.
Von Gernot Heigl
Staunen war bei Autofahrern und Fußgängern angesagt, bewegte sich doch diese Woche ein jahrhundertealtes Baujuwel im Ganzen quer durchs Südburgenland. Ziel dieses Blaulicht-Sondertransportes war das Freilichtmuseum in Gerersdorf.
Ein sogenannter Kitting, ein frei stehender Speicherbau der bäuerlichen Bevölkerung des 18. Jahrhunderts, war das Ziel einer seit zwei Jahren vorbereiteten Großaktion. Sollte dieses historisch wertvolle Gebäude doch von Unterschützen ins Freilichtmuseum nach Gerersdorf verfrachtet werden.
Die große Frage im Vorfeld: Wie soll das gelingen, ohne das Bauwerk zu zerstören?
Denn das Baujuwel, das unter dem Schutz des Bundesdenkmalamts steht, befand sich in einem sehr schlechten Bauzustand. Somit schied die übliche Vorgangsweise – Zerlegen an Ort und Stelle mit anschließendem Zusammenbau am neuen Standort – von vornherein aus. Blieb also nur die Überführung im Ganzen mit Spezial-Lkw und Schwerlastkran übrig.

Eine Herausforderung, die Mensch und Gerät an die Grenzen des Möglichen brachte. Elf Stunden lang dauerte der spektakuläre Sondertransport vom Auf- bis zum Abladen. Dazwischen lag eine rund 40 Kilometer lange Fahrt vom Bezirk Oberwart in den Bezirk Güssing – immer in Begleitung von vier Fahrzeugen mit Blaulicht.
Kitting: Baujahr 1748
Der „Kitting“ ist bereits das 36. Objekt im 1970 gegründeten Freilichtmuseum Ensemble Gerersdorf von Gerhard Kisser und ergänzt die bisherige Sammlung historischer Wohnhäuser, Wirtschaftsgebäude und Werkstätten aus dem Südburgenland. Das große Ziel ist, sie alle vor dem Verfall zu retten.
„Vor der Übertragung wurde das Gebäude wissenschaftlich untersucht. Aufgrund von Holzanalysen konnte das Baujahr mit 1748 eruiert werden“, erzählt Eveline Niederbacher-Kisser.
„Von außen kann der Kitting in etwa zehn Tagen zu den jeweiligen Öffnungszeiten des Museums besichtigt werden“, sagt Museumsmitarbeiterin Astrid Kropf, die über das historische Objekt bestens informiert ist. „Es handelt sich um einen frei stehenden Speicher mit einer Bauweise, die nur in Unterschützen zu finden ist. Gedacht und geeignet war das Gebäude zur Lagerung sämtlicher in der Landwirtschaft hergestellter Lebensmittel und benötigter Verarbeitungsgeräte.“
Lehm als Brandschutz
Typisch für dieses Gebäude ist die Holzblockbauweise. „Dabei bildet ein Holztonnengewölbe den oberen Abschluss. Die Außenmauer besteht aus einer geschlossenen Hülle, die mit Lehm verputzt wurde. Bei diesem Kitting ist übrigens noch alles im Original vorhanden“, so die Mitarbeiterin des Freilichtmuseums.
„Der Lehm hatte einen wichtigen Zweck. Er schützte nämlich den Speicherinhalt gut gegen Feuer. Denn direkt über dem Gewölbe befindet sich das eigentliche Dach, ein Satteldach, das früher mit Stroh gedeckt war. Und falls das Strohdach einmal Feuer fing, etwa durch Funkenflug, konnte man das brennende Stroh herunterreißen und der wertvolle Inhalt im Inneren blieb dank des Tonnengewölbes und der Lehmschicht unversehrt.“
Der Innenraum des Kittings wird in den kommenden Monaten renoviert. Danach kann auch dieses Gebäude mit seiner ganzen Geschichte besichtigt werden.
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