Ein Dorf, das Geschichte schrieb
Wenn sich der Präsident des Wiener Landesgerichts Friedrich Forsthuber, Richter Alfred Ellinger vom Landesgericht Eisenstadt, der Schusswaffen-Sachverständige Ingo Wieser, Burgenlands früherer Kripo-Chef Johann Grafl, der ehemalige Leiter des Wiener Sicherheitsbüros Max Edelbacher und andere zum Lokalaugenschein nach Schattendorf begeben, muss was Schlimmes passiert sein. Ist es auch, allerdings bereits vor 85 Jahren.
Am 30. Jänner 1927 wurden auf der Hauptstraße ein Kriegsinvalide und ein sechsjähriges Kind erschossen. Der folgende Prozess gegen drei Schattendorfer endete mit Freisprüchen, was zum Brand des Justizpalastes führte.
Fehlurteil?
Auch wenn diese tödlichen Schüsse schon lange her sind, hat der Vorfall Schattendorfer Familien bis in die 1970-er Jahre entzweit. „Diese Gräben gibt es heutzutage zum Glück nicht mehr. Aber mir ist es trotzdem ein Anliegen, unsere Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten“, meint Bürgermeister Johann Lotter, SPÖ, denn in der Bewertung der Ereignisse von damals hätten sich verschiedenste Varianten im Ort gehalten.
„Laut dem alten Gutachten, das hervorragend ist, waren es keine gezielten Schüsse.“ Ingo Wieser, Schusswaffen-Gutachter
Bis heute ist auch in den Geschichtsbüchern vom „krassen Fehlurteil“ nach den Schüssen von Schattendorf zu lesen. Landesgerichtspräsident Forsthuber hat heuer im Sommer, zum Jahrestag des Prozesses, ein interessantes Projekt initiiert. Das „Schattendorfer Urteil“ wurde am Originalschauplatz, dem Landesgericht für Strafsachen Wien, mithilfe der Originalakten nachgestellt.
Nachstellung
„Das Interesse war so groß, dass wir die Nachstellung des Prozesses am 17. November wiederholen mussten“, berichtet Forsthuber. 500 Zuseher haben sich an beiden Terminen eingefunden, darunter rund 50 Schattendorfer. „Das hat mich besonders gefreut, dass sowohl Kinder und Enkelkinder der damaligen Angeklagten, als auch die Nachkommen der Opfer gekommen sind“, sagt Forsthuber. Unter den Besuchern fand sich auch Staatssekretär Josef Ostermayer – der damals getötete Bub Josef Grössing war der Bruder von Ostermayers Großmutter.
Nach dem Schauprozess bewertet der Gerichtspräsident dieses „Fehlurteil“ neu: „Wenn man die Prozessakten liest, kann man das Urteil nachvollziehen.“ Man dürfe nicht vergessen, dass es sich um ein Geschworenengericht handelte. „Acht der zwölf Geschworenen waren Arbeiter“, erläutert Forsthuber, „die Geschworenen hatten 7 : 5 für einen Schuldspruch gestimmt. Für eine Verurteilung hätte es aber damals einer Zweidrittelmehrheit bedurft, also nur eine Stimme mehr.“
„Die Gendarmerie von damals gibt in der rückblickenden Betrachtung kein gutes Bild ab.“ Max Edelbacher, Ex-Chef des Sicherheitsbüros
Der „Mörder-These“ erteilt aus heutiger Sicht der bekannte Gerichtsgutachter Ingo Wieser eine Absage: „Beide tödlichen Schüsse wurden vom Schrotgewehr des Johann Pinter abgegeben. Es waren aber keine gezielten Schüsse. Er dürfte über die Menge geschossen haben.“ Das alte Gutachten „würde auch einer heutigen Überprüfung standhalten.“
Nicht so gut kommt die Gendarmerie in der historischen Betrachtung weg. „Die gibt kein gutes Bild ab, war offenbar überfordert und hat zu spät Verstärkung angefordert“, meint Kriminalist Max Edelbacher nach Durchsicht der Akten.
Allgemeine Zustimmung findet dagegen das „Urteil“, das Forsthuber nach dem Besuch der Delegation aus Wien im Burgenland fällte: „Das heutige Schattendorf ist aufgeschlossener, toleranter und mit dem der 1920-er Jahre überhaupt nicht mehr vergleichbar.“
KURIER: Die Schüsse von Schattendorf finden sich in jedem Geschichtsbuch. Wie ist man in der Gemeinde selbst damit umgegangen?
Erwin Kurz: Sehr unterschiedlich. Manche haben sich jahrzehntelang geweigert, das Gasthaus der „Arbeitermörder“ zu betreten. Die Nachkommen der damals Angeklagten haben, vermutlich aus Selbstschutz, lange an der Theorie festgehalten, dass die zwei Opfer in dem Tumult von den Schutzbündlern selbst erschossen wurden.
Ist das heute noch ein Tabu in Schattendorf?
Nein, in den letzten Jahren hat sich bei der Aufarbeitung der Geschichte doch einiges getan. Aber als ich noch in die Schule gegangen bin, ist das einmal kurz behandelt worden, dann nie wieder. Erst als ich zum Arbeiten nach Wien gekommen bin, hat man mich immer wieder auf die Schüsse von Schattendorf angesprochen.
Hätte das in jedem anderen Dorf im Burgenland passieren können oder war Schattendorf damals ein „gefährliches Pflaster“?
Nein, das nicht, aber die Zeiten waren damals einfach andere, viel radikaler. Da ist keiner ohne ein Feitel im Hosensack ins Wirtshaus gegangen.
Warum ist dieses Ereignis vor 85 Jahren immer noch so interessant für Sie?
Ich bin leidenschaftlicher Schattendorfer und will einfach die Wahrheit herausfinden, soweit das jetzt noch möglich ist. Es ist wichtig fürs Dorf, die Ungereimtheiten gerade zu biegen.
Das politische Leben der 1. Republik war durch verschiedene bewaffnete Verbände geprägt. Dazu zählten u.a. die rechtsgerichteten Frontkämpfer und der linke Schutzbund. Am 30. Jänner 1927 luden die Frontkämpfer zur Vollversammlung ins Gasthaus Tscharmann in Schattendorf. Die Sozialdemokraten setzten eine Gegenveranstaltung an. Als sie erfuhren, dass die Frontkämpfer Unterstützung von Gruppen aus Wien erwarteten, wurden Schutzbundgruppen aus Schattendorf, Baumgarten, Draßburg und Klingenbach mobilisiert.
So versammelten sich rund 120 Schutzbündler in Schattendorf, weit mehr als Frontkämpfer. Bereits am Bahnhof gab es Schlägereien. Der tragische Höhepunkt der Zusammenstöße passierte mitten im Ort, beim Gasthaus Tscharmann. Nachdem Schutzbündler ins Gasthaus eingedrungen waren, gaben die Wirtssöhne Josef und Hieronymus Tscharmann sowie deren Schwager Johann Pinter aus einem Fenster Schüsse in Richtung der vorbeiziehenden Menge ab.
Mehrere Menschen erlitten Verletzungen. Der sechsjährige Josef Grössing und der Kriegsinvalide Matthias Csmarits, ein Schutzbündler aus Klingenbach, wurden tödlich getroffen.
Da es noch kein Landesgericht im Burgenland gab, standen die Brüder Tscharmann und Pinter in Wien vor einem Geschworenengericht, das alle drei vom Vorwurf der „öffentlichen Gewalttätigkeit unter besonders gefährlichen Verhältnissen “ freisprach. Der Volkszorn richtete sich am Tag darauf, am 15. Juli 1927, gegen den Justizpalast, der in Brand gesteckt wurde. Die Polizei schoss in die Menge. Am Ende des Tages gab es 89 Tote und fast 1500 Verletzte. Historisch gesehen war das der Beginn vom Ende der Demokratie in der 1. Republik.
Kommentare