Akte Kampusch in der Diplomatenpost
Vor 14 Jahren wurde Natascha Kampusch entführt. Acht Jahre später konnte sie sich befreien, der Entführer Wolfgang Priklopil kam zu Tode. Der Polizeiapparat ermittelte intensiv, auch zwei Staatsanwaltschaften. Doch wesentliche Fragen, wie die Rolle eventueller Mittäter, konnten nicht beantwortet werden.
Zuletzt schloss ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Akten und stellte grobe Ermittlungspannen in den Raum.
FBI
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Justizministerin Beatrix Karl vereinbarten, die Causa mithilfe der weltweit besten Kriminalexperten ein letztes Mal zu evaluieren. Das Ziel: Systemfehler im Fahndungsapparat mithilfe der US-Bundespolizei FBI und des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden zu erkennen. Damit sollen einerseits die Systemfehler ausgemerzt werden, auf der anderen Seite ist aber auch eine Wiederaufnahme des Falles möglich.
Es wurde eine Evaluierungseinheit von Justiz und Polizei eingerichtet. Die Schaltzentrale befindet sich in einem Hochsicherheitstrakt des Innenministeriums. Hier arbeiten elf Spezialisten auf Hochdruck. In einem Raum, der durch zwei Sperrkreise gesichert ist, sind die Arbeitsplätze für zwei Staatsanwälte und fünf Beamte der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit eingerichtet. Es sind "frische" Leute – keiner der Beteiligten hatte zuvor jemals die Akte Kampusch in Händen. In dem Raum lagern 250 Aktenordner und Datenträger. Es ist das erste Mal, dass sämtliche Ermittlungsakten zu diese Fall an einem Ort gebunkert werden.
Hacker-freie Zone
Ein Großteil der Unterlagen befindet sich auch auf den Festplatten der Computer: "Hier kommt kein Hacker rein", sagt der Einsatzleiter. Hier gibt es keinen Internetanschluss, die Festplatten sind codiert.
Die Brisanz ihrer Tätigkeit ist allen Beteiligten klar. "Wir wollen nicht, dass unsere Identität gelüftet wird. Das würde unsere Arbeit erschweren", sagt der operative Leiter. Zum Team gehören weiters ein Verbindungsoffizier und ein Cold-Case-Management-Spezialist des FBI und zwei Beamte des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden.
Die offenen Fragen wurden in Themenkreise gegliedert. Unter anderem geht es darum, ob Wolfgang Priklopil Einzeltäter war. Warum hat die Staatsanwaltschaft einer Augenzeugin, die vom Gegenteil überzeugt ist, bisher keinen Glauben geschenkt? Diese Fragen werden im Oktober zum ersten Mal in einem Meeting mit FBI und den deutschen BKA-Experten bewertet.
Die ausländischen Experten kommen nicht unvorbereitet. Mit Diplomatenpost wurden die relevanten Teile der Akte Kampusch nach Washington und Wiesbaden übermittelt. Bei den Meetings in Wien legen die Experten aus dem Ausland dann ihre Sicht der Dinge dar: Gab es Fehler bei der Bewertung von Beweismittel oder bei Vernehmungen?
Das reduziert sich nicht auf Aktenstudium. Auch die beteiligten Polizisten und Staatsanwälte müssen wieder antreten: "Wir haben erste Befragungen schon hinter uns." Ob jene Zeugin, die zwei Täter gesehen haben will, auch befragt wird? Das werde sich erst entscheiden: "Die Frau hat ihre Aussage seit Jahren nicht geändert."
Neue Hinweise
Der Abschlussbericht ist für Ende des Jahres vorgesehen. Es könnte aber schon vorher Arbeit für die Justiz geben. Wenn etwa neue Verdachtsmomente auftauchen. Zwei neue Hinweise werden bereits auf ihre Relevanz geprüft.
Parlamentsausschuss: Brisante Fragen werden geprüft
Der parlamentarische Unterausschuss hat Pannen und offene Fragen aufgeworfen.
Frühe Hinweise auf den Entführer Acht Jahre vor der Flucht aus dem Haus in Strasshof gab es zwei direkte Hinweise auf Wolfgang Priklopil, darunter von einem Polizeihundeführer. Die Tipps wurden im Akt abgelegt und von den Ermittlern und dem Staatsanwalt nicht weiter beachtet.
Gab es Mitwisser? Zeugin Ischtar A. ist bis heute bei ihrer Aussage geblieben, dass zwei Männer an der Entführung beteiligt waren. Eine Gegenüberstellung mit Natascha Kampusch wurde nicht in einem Wortprotokoll festgehalten. Die Staatsanwaltschaft hat die Zeugin bis heute nicht als besonders glaubwürdig eingestuft.
Welche Rolle spielte der Priklopil-Freund Ernst H.? Es gab ein Zusammentreffen zwischen H., Priklopil und Natascha Kampusch. Trotzdem wurde H. von der Begünstigung rechtskräftig freigesprochen. Denn der Staatsanwalt hat kein Rechtsmittel ergriffen. Fragwürdig ist auch, was sich Kampusch und H. in den mehr als 100 Stunden andauernden Gesprächen nach ihrer Flucht zu erzählen hatten.
Ermittlungspannen rund um die Flucht Der Tatort in Strasshof wurde erst Stunden nach der Flucht versiegelt. Priklopil könnte in dieser Zeit Beweise zur Seite geschafft haben. Im Visier steht ein Laptop, der angeblich Priklopil gehört hat und bei seinem Freunde H. gefunden worden sein soll.
Die Rolle der Staatsanwaltschaft Zur Entführung und über die Zeit der Gefangennahme wich die Darstellung der Polizei 2006 von den heutigen Erkenntnissen ab und wurden von der Staatsanwaltschaft nicht hinterfragt. 2008 wurden die Ermittlungen eingestellt. Der Unterausschuss zog den Schluss, "es besteht der Verdacht, dass eine objektive Evaluierung der Ermittlungen von außen beeinflusst worden ist".
-
Hauptartikel
-
Hintergrund
-
Hintergrund
Kommentare