232.000 Euro für Folter-Opfer

Bakary J. kämpft seit elf Jahren
Bakary J.: Neues Gutachten attestiert andauernde Persönlichkeitsänderung nach Polizei-Misshandlung.

Der Bruch des Mittelgesichtsschädels samt Augen- und Kieferhöhle sowie Prellungen des Beckens, Nackens und der Schulter waren nur die äußeren – inzwischen abgeheilten – Anzeichen.

Die durch das Extremerlebnis ausgelöste posttraumatische Belastungsstörung und Persönlichkeitsänderung aber wird den 44-jährigen Bakary J. womöglich ein Leben lang begleiten. Das sagt Gerichtspsychiater und Neurologe Karl Dantendorfer in einem dem KURIER vorliegenden neuen Gutachten, welches nach einem guten Dutzend Vorgutachten im beschämenden Rechtsstreit um Schmerzensgeld hoffentlich das letzte sein wird.

Scheinhinrichtung

Am 7. April 2006 scheitert die Abschiebung des Asylwerbers Bakary J., weil er sich dagegen auflehnt. Vier Wega-Beamte verschleppen den Gambier in eine Lagerhalle, drei von ihnen foltern ihn, einer schaut zu. Sie schlagen ihn fast tot, fordern ihn auf: "Sprich dein letztes Gebet!", drücken ihre Pistolen ab, ohne dass sich ein Schuss löst. Sie veranstalten eine weitere Scheinhinrichtung, indem sie mit dem Auto auf den am Boden Liegenden zu- und den Mann anfahren. "Unglaublich, er hat überlebt", sagt ein Beamter, bevor man ihn ins Spital bringt.

Die Polizisten werden vor Gericht und intern mit Samthandschuhen angefasst, kommen mit bedingten Strafen davon. Erst sechs Jahre später werden drei Beamte aus dem Dienst entfernt. Niemand entschuldigt sich beim Opfer, und sein elfjähriger Kampf um Entschädigung ist ein Spießrutenlauf, der bis heute andauert.

Mehrere Sachverständige attestieren Bakary J. eine durch das Folter-Erlebnis ausgelöste schwere posttraumatische Belastungsstörung mit Panikattacken und eine Depression. Die Republik Österreich zahlte 110.000 Euro, der Betrag war rasch von Therapiekosten aufgezehrt.

232.000 Euro für Folter-Opfer
Susanne Kurtev
232.000 Euro für Folter-Opfer
APA20185388_08092014 - WIEN - ÖSTERREICH: Der Vater des Hauptverdächtigen im Wiener Handgranatenmord und Anwalt Nikolaus Rast (r.) am Montag, 8. September 2014, vor Prozessbeginn im Straflandesgericht Wien. Der 63-Jährige soll die Handgranate besorgt haben und muss sich daher wegen Vergehens gegen das Kriegsmaterialgesetz und gegen das Waffengesetz vor dem Straflandesgericht verantworten. FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Die Anwälte Nikolaus Rast und Susanne Kurtev klagten weiteres Schmerzensgeld ein.

Ein vom Gericht bestellter Psychiater wischte die früheren Gutachten vom Tisch und wertete die Beschwerden des Opfers lediglich als "Unbill". Er warf Bakary J. indirekt vor, die Vorfälle in der Lagerhalle durch seine "unerklärliche" Auflehnung gegen die Abschiebung erst hervorgerufen zu haben. Der Gambier sei bloß verbittert darüber, dass die Täter nicht entsprechend zur Rechenschaft gezogen wurden. Ansonsten habe der Vater zweier Kinder gar nichts, und es seien ihm "alle körperlichen Arbeiten in der normalen Arbeitszeit zumutbar". Das Gericht wies die Klage ab, doch wurde dieses Urteil aufgehoben und der Prozess begann von vorn.

Der neu bestellte Sachverständige Dantendorfer diagnostiziert bei Bakary J. eine "andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung", die "Lebensphasen überdauert" und mit der "zumindest mehrere Jahre" zu rechnen ist. Es treten laufend "flash backs mit überflutender Angst bei Wiedererleben der Todesangst" auf. Eine "vollständige Wiederherstellung des Zustandes vor dem Vorfall vom 7. April 2006" ist laut dem Gutachter nicht erreichbar, die frühere körperliche Leistungsfähigkeit ist nicht mehr gegeben.

Angst als Begleiter

In der Untersuchung kam heraus, dass Bakary J. ständig das Gefühl hat, er sei in Gefahr, man habe etwas mit ihm vor. Die Angst ist sein lebenslanger Begleiter.

Der Sachverständige schätzt die Schmerzperioden inklusive der Annahme des langsamen Abklingens über zehn bis 15 Jahre auf 50 Tage schwere, 660 Tage mittlere und 640 Tage leichte Schmerzen ein. Mit einem in Wien üblichen Schmerzensgeldtarif von 110, 220 und 330 Euro pro Tag leichter, mittlerer und schwerer Schmerzen kommt man auf insgesamt 232.000 Euro. Das wäre die höchste je zugesprochene Summe.

Der Richter muss nun eine Globalbemessung vornehmen und dabei auch die Lebensumstände berücksichtigen, dabei kann auch eine höhere Summe herauskommen.

Und wie geht es Bakary J. elf Jahre nach dem Horror? Seine Frau hat sich von ihm getrennt, weil auch sie Depressionen bekam, wenn sie sah, wie schlecht es ihm geht. Das Verfahren soll endlich zu Ende sein, wünscht sich Bakary J.

Chronologie

1997 Bakary J. flüchtet nach Österreich, heiratet, zeugt zwei Kinder.
2006 Der Asylwerber soll abgeschoben werden, weil er mit Drogen erwischt worden war. In einer Lagerhalle wird er gefoltert.
2012 Drei Beamte werden aus dem Polizeidienst entlassen. Im selben Jahr wird das Aufenthaltsverbot über Bakary J. aufgehoben.
2013 Regisseur Stefan Lukacs verarbeitet das Schicksal von Bakary J. im Kurzfilm „Void“.
2014 Drei der vier verurteilten Polizisten – bei denen sich der Staat das an Bakary J. gezahlte Schmerzensgeld im Regressweg zurückholen will – widerrufen ihre Geständnisse und behaupten, er habe sich die Verletzungen selbst zugefügt. Ihr Antrag auf Wiederaufnahme wird abgewiesen.
2015 Das Landesgericht für Zivilrechtssachen weist die Klage auf weiteres Schmerzensgeld ab.
2017 Im neu durchgeführten Verfahren nimmt Dantendorfer zwei Untersuchungen vor.

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