Wissen/Gesundheit/Gesund

"Der Mensch ist de facto bereits unsterblich"

Alle Inhalte anzeigen

122 Jahre alt wurde der Mensch mit dem bisher längsten dokumentierten Lebensalter – die 1997 gestorbene Französin Jeanne Calment. Können Menschen – theoretisch – unbegrenzt leben oder gibt es eine Obergrenze? Darüber ist sich die Wissenschaft uneins. Der Molekularbiologe Univ-Prof. Günter Lepperdinger leitet an der Universität Salzburg die Arbeitsgruppe Stammzellenalterung und ist Spezialist für Alterungsvorgänge.

Alle Inhalte anzeigen

KURIER: Wird der Mensch eines Tages unsterblich?
Günther Lepperdinger: Er ist es de facto. In der Evolution geht es nicht um das Individuum, sondern um die Art. Der Körper gibt die Information für Körperbau und -funktionen mittels Ei- und Samenzellen weiter. Damit bleibt Information unsterblich, der Körper ist nur Vehikel. Das biologische System ist durch Fortpflanzung auch dynamisch. Wenn Sie daraus ein statisches, „ewig lebendes“ System machen, könnte das bei geänderten Umweltbedingungen schnell dazu führen, dass die Art ausstirbt.

Wieso?
Wir sind dafür nicht konstruiert: Römische Brücken wurden gebaut, um Tausende Jahre Verkehrsbelastung zu überstehen. Aber ein starkes Erdbeben kann die Brücke in einem Moment zerstören, die gesamte Information ist dann weg. Ein Mensch, der theoretisch ewig lebt, kann vom Blitz getroffen werden oder einen Unfall haben. Außerdem wird bei der Fortpflanzung Information gemischt und so können sich Individuen immer gut an die momentane Zeit und den momentanen Ort anpassen. Auch das würde bei längeren Fortpflanzungsabständen wegfallen – abgesehen von allen anderen Problemen, die bei älteren Eltern trotz Hilfe durch die Reproduktionsmedizin auftauchen können.

Warum ist – zumindest derzeit – unsere Lebensspanne mit maximal 120 Jahren begrenzt?
Wenn ich gefragt werde, woran sehr alte Menschen sterben, sage ich plakativ: sie ersticken. Die Lunge besteht aus sehr feinen Strukturen. Bei alten Menschen ist die Lunge jenes Organ, dessen Funktion am stärksten abnimmt. Irgendwann bekommen die Körpersysteme zu wenig Sauerstoff, um die volle Funktion aufrechterhalten zu können. Damit fehlt aber auch den Stammzellen die Energie für Regeneration. Und es fehlt die Energie für Reinigungsprozesse in den Zellen. Hochbetagte, grundsätzlich gesunde Menschen sterben an Altersschwäche – Hauptgrund ist der Sauerstoffmangel. Wenn jetzt manche behaupten, sie wollen die Erneuerungskapazität der Stammzellen im Alter erhöhen, dann sage ich: für solche Ansätze ist es zu früh. Noch können wir die Lunge nicht ersetzen bzw. ihre Funktionsdauer verlängern.

Einer der Durchbrüche von 2016 war, dass genetisch veränderte Mäuse alternde Zellen vernichten konnten.
Maus und Mensch sind derselben Umwelt ausgesetzt, haben ähnliche Stressfaktoren. Dass trotzdem wir länger leben, hängt damit zusammen, dass wir in vielen Bereichen schon optimiert sind. Wir haben bereits Mechanismen, die man in Mäusen jetzt eingebaut hat. Für die Natur sind 40 bis 50 Lebensjahre des Menschen wichtig für die Fortpflanzung – das ist die Gewährleistungszeit. Alles danach ist geschenkt. Jede Lebenszeitverlängerung läuft über Evolution: Leben Sie um zwei Jahre länger, erhöht sich auch das Risiko, dass Stammzellen zu Krebszellen entarten – deshalb muss der Körper parallel eine Krankheitsresistenz aufbauen – dieser Prozess benötigt Generationen.

Wird dann der bisher kontinuierliche Zuwachs bei der Lebenserwartung geringer?
Obwohl die Weltbevölkerung stark zugenommen hat, ist die Zahl der Menschen, die älter als 115 oder 120 alt sind, nicht weiter gestiegen. Wenn es gelingt, die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen weiter zu verbessern, werden wir wahrscheinlich noch ein, zwei Jahrzehnte eine steigende Lebenserwartung sehen, aber dann wird die Kurve abflachen – das ist derzeit das wahrscheinlichste Szenario.

Aber wie könnte man erreichen, dass zumindest mehr Menschen 122 Jahre alt werden?
Sie könnten wie bei einem Atomkraftwerk vorgehen. Die Hülle mag 50 Jahre alt sein, aber innen reparieren sie beim Auftreten eines möglichen Fehlers sofort. Sie untersuchen also viel mehr, viel früher – eine Garantie auf langes Leben ist das aber nicht. In Wahrheit müssten Sie schon bei Gesunden mit Austausch und Reparatur beginnen. Aber dazu gibt es keine Regularien: Was therapieren wir, wenn jemand gesund ist? Auch wäre das ein teures Minderheitenprogramm. Mein Ansatz für die gesamte Bevölkerung ist: Durch mehr Wissen über Prävention und Lebensstil – damit muss man in der Volksschule beginnen – übernehmen Menschen früh Verantwortung für ihren Körper, achten auf ihn. Wozu ein ungesunder Lebensstil führen kann, sieht man in den USA: Dort ist die Lebenserwartung im Sinken.

Sehen Sie hier eine Infografik zum Thema Anstieg der Lebenserwartung:

Lesen Sie bitte morgen: Die Angst vor der Superintelligenz.

Die bisherigen Serienteile:

Teil 1: Der Mensch von morgen: Perfekt, unsterblich - zu allem bereit?

Essay von Helmut Brandstätter: Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören

Teil 2: Der Genetiker Markus Hengstschläger über die Thesen von Yuval Harari

Teil 3: Wie der Mensch den Schwangerschaftscode knacken will

Teil 4: Über die Gefahren der Mensch-Optimierung

Teil 5: Zukunft der Menschheit: Droht das Ende der Demokratie?

„Wir wollen zu Weihnachten 2017 die erste Kopftransplantation durchführen“: Das sagte der italienische Neurochirurg Serio Canavero aus Turin im Juli 2016 in einem Interview mit der futurezone. Möglicherweise könne sich der Termin aber um einige Monate verschieben.

Alle Inhalte anzeigen
Im ersten Schritt will Canavero querschnittgelähmten Menschen durch den neuen Körper wieder das Gehen ermöglichen. Langfristig sei das Ziel, „Unsterblichkeit zu erreichen, in dem wir Köpfe auf geklonte Körper verpflanzen“. Doch Kritiker sind extrem skeptisch und bezeichnen die Pläne als „Fiktion“.

„Das wird nicht funktionieren“, äußerte sich etwa der deutsche Neurochirurg Veit Braun skeptisch: Im besten Fall habe man einen Patienten mit einem funktionierenden Gehirn, der aber keine Kontrolle über den Körper habe. Viele Experten halte eine Verbindung der Nervenstränge für nicht möglich – anders Canavero. Er will das mit einer Art „Kleber“ für Nervenfasern zustandebringen.

In Großbritannien darf künftig das Erbgut von Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen „übrig“ bleiben, für Forschungszwecke verändert werden – nur in den ersten sieben Tagen ihrer Entwicklung. Die manipulierten Emybronen dürfen auch nicht implantiert werden.

Alle Inhalte anzeigen
2015 gab ein Forscherteam aus Guangzhou (China) bekannt, an nicht lebensfähigen Embryonen mit Hilfe der neuenGenschere Crispr/Cas-9ein Gen ausgetauscht zu haben: Die Embryos hatten einen Gendefekt, die Forscher entfernten den dafür verantwortlichen Abschnitt der Erbsubstanz und ersetzten ihn durch den entsprechenden Abschnitt eines gesunden Organismus. Derartige Eingriffe sollen helfen, neue Therapien gegen bisher unheilbare Erbkrankheiten zu finden.

Doch Kritiker warnen davor, dass solche (vererbbaren) Eingriffe letztlich dazu führen werden, dass auch Designerbabys mit bestimmten gewünschten Eigenschaften geschaffen werden.