Luftschnappen: Spazieren ist gut für Körper, Geist und Job
Von Belinda Fiebiger
Der Schädel raucht, die Wände rücken näher, die Luft zum Atmen scheint irgendwie knapp zu werden. Personen, die beruflich zum Stubenhocker mutiert sind, kennen das Gefühl, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt. Die Unkompliziertheit, mit der da das Spazierengehen als schnelles Gegenmittel daherkommt, ist dabei so genial wie einfach.
Man kann jederzeit starten, es benötigt kein spezielles Outfit, nicht einmal einen Plan, wohin es hin gehen soll. Einzig ein halbwegs ausgeprägter Orientierungssinn, um wieder zurückzufinden, ist dienlich.
Welchen Wert die zeitlich begrenzte Flucht ins Freie besitzt, weiß auch Business-Coach Sabine Claus. In ihrem Buch „Auf dem Weg“ (Junfermann Verlag, ca. 23 €) hat sich die Schweizerin mit den Auswirkungen des Spazierengehens beschäftigt. „Gehen belebt – die Blutzirkulation und den Gedankenfluss“, bringt sie die Sache flott auf den Punkt.
Mentales Ausstrecken
Viele kennen es: Das Sitzen vor dem Computer, am virtuellen oder realen Konferenztisch, im Auto oder in der Bahn zwingt über Stunden in eine gekrümmte Haltung. Beim selbst gewählten Freigang ist es aber längst nicht nur der Körper, der sich wieder entfaltet:
"Tritt man bei der Arbeit auf der Stelle, tüftelt an etwas und kommt nicht weiter, kann man erleben, wie beim Gehen die Gedanken wieder auf Trab kommen," so Sabine Claus. Besonders wenn der Stresspegel im Job hoch ist, findet man so zu mehr Selbstsicherheit und Ruhe zurück.
Wer aufrecht geht, wird sich über seinen Standpunkt klar, bewegt sich aus eigener Kraft nach vorne und erlebt ein Gefühl der Selbstbestimmung und Freiheit.“
Business-Coach und Buchautorin
Wobei sich an der frischen Luft auch negative Emotionen in ebendiese auflösen können: „Im gleichmäßigen Rhythmus der Schritte kommt man wieder zu sich, wenn man zuvor außer sich war“, so der Business-Coach. „Nicht umsonst hört man von aufgebrachten Zeitgenossen manchmal den Satz ,Ich muss jetzt erst mal eine Runde an die Luft’.“
Zwei Wege
Geht es ums Spazieren, schlägt Sabine Claus eine von zwei Richtungen ein, je nachdem, was sie gerade benötigt.
Zum einen nutzt die Unternehmensberaterin das Gehen, um ganz gezielt Gedanken, die einer Lösung bedürfen, zu wälzen. Wobei sie zugibt: "Oftmals ist nach wenigen Schritten der geplante Fokus verschwunden, da mich meine Umgebung in ihren Bann zieht. Wenn mir dies bewusst wird, lasse ich es geschehen." Denn oft tauche die Sache dann von allein wieder im Kopf auf "und gar nicht so selten zeigt sich dann etwas, das mich ein Stückchen weiterbringt. Bewegung und Umgebung haben quasi wie von selbst auf meine Gedanken eingewirkt."
Befindet man sich aber gerade in einer sehr intensiven Arbeitsphase oder fühlt sich stark gefordert, rät Sabine Claus dazu, Spaziergänge zu nutzen, um zu entspannen und das Kreisen der Gedanken zu stoppen. "Dann praktiziere ich entweder Gehmeditation, in der ich langsamen Schrittes auf den Atem und das Gehen achte. Oder einen sinnlichen Spaziergang: Ich richte meinen Wahrnehmungsfokus abwechslungsweise aufs Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und sogar Schmecken aus."
Auftakt für mehr
Aus gesundheitlicher Sicht erhöht regelmäßiges Spazieren die Fitness und bildet vielleicht sogar eine Vorstufe zu einem Ausdauersport.
Spaziert man in einer gewissen Regelmäßigkeit – idealerweise fünfmal die Woche jeweils 30 Minuten – ist der gesundheitliche Effekt auf den Körper tatsächlich vielfach. Es
- verbessert die Herzgesundheit
- senkt den Bluthochdruck
- kurbelt das Immunsystem und den Stoffwechsel an
- reduziert das Diabetes-Risiko
Zudem kräftigt es die Muskulatur und versorgt die Gelenke mit mehr Gelenkflüssigkeit. Nicht selten stellen Menschen, die etwa an Arthritis oder Rückenschmerzen leiden, fest, dass durch das vermehrte Gehen ihre Bewegungen geschmeidiger und die Beschwerden gelindert werden.
Wobei Sabine Claus bereits vom Wert jedes einzelnen getätigten Schrittes überzeugt ist: „Sowohl fünf Minuten um den Block als auch ein ausgedehnter Spaziergang von sieben Kilometern in die Abenddämmerung hinein haben ihren eigenen Reiz."
Das wichtigste Kriterium sei dabei die Absichtslosigkeit: "Wenn sich unterwegs etwas Überraschendes zeigt oder ereignet, fühlt man sich auf natürliche Weise bereichert. Manche nennen das Zufall. Für mich hat es vor allem mit Offenheit und Gewahrsein zu tun.“
Ob eine Begegnung mit anderen Menschen, das Entdecken eines schönen Ortes, die wohltuende Leere, die sich ausbreitet, wenn sich die Gedanken beruhigen oder die Glühbirne, die im Kopf aufleuchtet, wenn man plötzlich über die Lösung für ein Problem gestolpert ist: „Das alles sind ungeplante Geschenke, die mir vorenthalten geblieben wären, wäre ich am Schreibtisch sitzen geblieben“, so Sabine Claus.