Infektiologe: "Wer sich nicht impfen lässt, wird auf Intensivstation enden"
SARS-CoV-2 geht sprichwörtlich nicht mehr "weg". Die wichtigste Gegenmaßnahme ist die vollständige Grundimmunisierung plus empfohlene "Booster". Die Covid-19-Vakzine sind die bestuntersuchten Arzneimittel der Medizingeschichte. All dies erklärten österreichische Experten Samstagabend bei einem Gespräch des Praevenire Gesundheitsforums in Alpbach in Tirol.
"Die Pandemie ist ganz sicher gekommen, um zu bleiben. Es wird immer wieder Wellen geben", sagte Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Universität Krems. Bleibe es bei Omikron als "relativ weniger krank machende Variante" - exklusive vulnerable Personen -, werde es zu einer immer stärkeren Immunität kommen. Käme aber wieder eine gefährlichere Mutation "ums Eck'", sehe die Situation dann womöglich gleich wieder anders aus.
Bestuntersuchte Medikamente
Ähnlich äußerte sich auch Florian Thalhammer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin: "Das Virus bleibt da." Für den Wissenschafter stellen die Covid-19-Vakzine einen enormen Fortschritt dar: "Ich glaube, die Impfstoffe, die es heute gibt, sind die bestuntersuchten Medikamente." Wo hätte man schon Arzneimittel mit "einer Milliarde Probanden". Bei dem seit 1962 auf dem Markt befindlichen Antibiotikum Ciprofloxacin käme man jetzt, nach 60 Jahren, auf potenzielle Nebenwirkungen mit einer Häufigkeit von eins zu drei Millionen Anwendungen. Da seien die Beobachtungsmöglichkeiten bei Milliarden Anwendungen in Sachen Covid-19-Vakzine binnen kürzester Zeit viel, viel besser in der Lage, auch extrem seltene potenzielle Nebenwirkungen zu bemerken.
Woran es laut Thalhammer hingegen krankt: "Wir haben zu wenig Eigenverantwortung. Dagegen sollte man 'immunisieren'." Die österreichischen Empfehlungen seien glasklar. Der Infektiologe: "Wir sprechen von einer Grundimmunisierung mit drei Teilimpfungen. Eine Infektion ist eine immunologisches Ereignis, zählt aber nicht zur Impfung. Der 'vierte Stich' ist für alle Altersgruppen ab dem fünften Lebensjahr ganz klar empfohlen." Die Wirksamkeit sei mit 95 Prozent extrem hoch. "Neben der Grippeimpfung ist die Covid-Impfung 'Kaiser'." Die Influenza-Vakzine schützten nur zu 50 bis 60 Prozent.
Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe verschiedener Covid-19-Vakzine: mRNA-Impfstoffe (Pfizer/BioNTech, Moderna), Vektor-Impfstoffe (AstraZeneca), Protein-basierte (Novavax) - zuletzt wurde auch ein Ganzvirus-Totimpfstoff (Valneva) in der EU zugelassen. Es gibt also bereits große Auswahl. Das ist aber nicht das Ende. Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der AGES-Medizinmarktaufsicht: "Es werden weiter Impfstoffe entwickelt und zugelassen. Es ist ein Segen, dass wir diese Impfstoffe haben. Jeder sollte sich den 'vierten Stich' holen."
Eigenverantwortung
Wichtig ist eine objektive Beratung vor allem durch die Hausärzte. Die Frage des Impfens gegen Covid-19 sollte aber auch nicht die gesamte Arzt-Patienten-Beziehung stören, erklärte Erwin Rebhandl, Begründer einer Primärversorgungseinheit in Oberösterreich: "Wir sagen 'Es ist nicht unsere Entscheidung, ob Du dich impfen lässt. Es ist Deine Entscheidung'. Meine Erfahrung ist, dass die wirklichen Impfskeptiker mit keinem Impfstoff glücklich zu machen sind. Die lehnen die Impfung ab. Mit ihnen einigen wir uns darauf, dass wir zu diskutieren aufhören." Immerhin gibt es für Menschen eindeutig auch noch andere wichtige Gesundheitsprobleme als Covid-19, mit denen sie zum Arzt kommen (sollten).
Trotzdem, so Thalhammer: "Wer sich nicht (gegen Covid-19, Anm.) impfen lässt, wird auf der Intensivstation enden und über die Pathologie nach Hause gehen. Das muss man, glaub' ich, klar aussprechen."
Der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse, Andreas Huss, verwies auf die Tatsache, dass die soziale Krankenversicherung in Österreich gerade in der Pandemie neue Verantwortung für die Impfungen übernommen hätte. Da sei man auch über die geltende Gesetzeslage hinaus gegangen: "Impfen ist die wesentlichste Präventionsleistung im Gesundheitssystem. Die soziale Krankenversicherung fühlt sich dafür verantwortlich. Uns ist es ziemlich egal, was der Gesetzgeber dazu sagt." Ehemals wurde beim damaligen Hauptverband der Sozialversicherungsträger immer wieder strikt darauf hingewiesen, dass Impfungen primär Angelegenheit des Bundes (Prävention, Gesundheitsministerium) seien. Die Krankenkassen wären für die Krankenversorgung zuständig. Das änderte sich schließlich langsam mit der Abwicklung der Gratis-Kinderimpfungen.
In Österreich ist vor allem bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen noch erheblicher Aufholbedarf gegeben, was die Covid-19-Impfung betrifft. In der Zielgruppe der Zwölf- bis 14-Jähringen sind weniger als 30 Prozent geimpft (Stand 17. August 2022), unter den 15- bis 24-Jährigen knapp 50 Prozent.