"Das werden Computer nie können"
Von Uwe Mauch
Harry Gatterer ist Trendforscher und Experte für "New Living". Der Geschäftsführer des Österreichischen und des Deutschen Zukunftsinstituts, die beide von Matthias Horx gegründet wurden, pendelt regelmäßig zwischen den Denkfabriken und Kunden in Österreich und Deutschland. Er beschäftigt sich mit der Zukunft von Leben und Arbeit, mit neuen Lebensstilen und ihrer Wirkung auf Gesellschaft, Unternehmen, Konsum und Freizeit. Im Gespräch mit dem KURIER bezeichnet er sich als einen "kritisch denkenden Zukunftsoptimisten".
KURIER: Werden wir das Szenario, so wie es der Historiker Yuval Harari in seinem Buch "Homo Deus" in Aussicht stellt, erleben – auf der einen Seite unsterbliche "Supermenschen", auf der anderen Seite die Masse der willenlosen, digital gesteuerten Überflüssigen?
Harry Gatterer: Nein, das werden wir natürlich nicht. Ich bin da immer skeptisch, wenn Historiker in die Zukunft schreiben. Wahrscheinlich hat Harari dieses Extremszenario entworfen, um einen durchaus berechtigten Diskurs in Gang zu setzen. Um zu fragen: Ist das alles richtig, was wir tun? Als realistische Vorhersage ist sein "Homo Deus"-Szenario jedoch unbrauchbar und völlig überzogen. Ich sage auch: sich jetzt vor der Zukunft zu fürchten, von der wir noch nicht einmal wissen, wie sie wird, birgt immer die Gefahr, dass wir zu laut darüber diskutieren.
Der Zukunftsforscher Gatterer kann sich auch nicht vorstellen, dass der Mensch mithilfe von Maschinen in absehbarer Zeit Gott spielen wird können?
Der Mensch wird mithilfe der Technik, speziell der Gentechnik, manipulativ auf die Biologie einwirken. Außerdem werden wir mithilfe der neuen Technologie einen neuen Lebensstil entwickeln. Darin steckt eine Chance und immer auch ein Risiko.
Davon werden jene profitieren, die sich das leisten können.
Am Anfang, aber auch das ist nichts Neues. Die Behandlung mit Antibiotika konnten sich kurz nach deren Erfindung auch nur die Wohlhabenden leisten.
Werden Algorithmen in Zukunft unser Tun bestimmen?
Sie werden das nicht mehr können als der Pharao im alten Ägypten , der den Pyramidenbau anordnete. Das Phänomen der Bevormundung durch eine kleine Elite ist ja auch nicht ganz neu.
Anders gefragt: Werden Algorithmen unser Tun noch mehr bestimmen als heute?
Das ganz sicher, weil wir uns in Zukunft noch mehr auf sie verlassen werden. Wenn wir uns die Technologie der selbstfahrenden Autos oder unserer Apps am Mobiltelefon ansehen, ist diese Erkenntnis auch nicht überraschend. Die Kunst des Menschen wird darin bestehen, zu wissen, wann er sich von technischen Hilfsmittel steuern lässt und wann er sie besser ausschaltet. Aber das tun wir ja heute auch schon. Wir können uns entscheiden, ob wir dem Navigationsgerät glauben oder es ausschalten.
Das Szenario "The Age of Spiritual Machines" vom US-Guru Ray Kurzweil halten Sie somit auch für übertrieben?
Ja! Wir Menschen sind die einzigen Wesen auf diesem Planeten, die sogenannte unentscheidbare Entscheidungen treffen können. Das sind auch die einzigen wahren Entscheidungen, die zu treffen sind, weil dabei mehr unklar als klar ist, weil dabei Zusammenhänge herzustellen sind. Das werden Computer nie so gut beherrschen wie wir Menschen. Weil sie sich niemals Kontext-, Emotions- und Erfahrungswissen im selben Umfang aneignen werden können so wie wir.
Auch keine Angst vor der "Künstlichen Intelligenz"?
Das ist ein Schreckensgespenst, das im Moment viel zu hoch gehängt wird. Wir wissen bis heute nicht, wie menschliches Bewusstsein funktioniert. Wenn also jemand behauptet, dass er ein künstliches Bewusstsein herstellen kann, dann müsste er uns zunächst einmal erklären, wie sich das Bewusstsein überhaupt zusammen setzt. Solange er das nicht kann, kann er es auch nicht erzeugen. In diesen Szenarien sind viele Träumereien dabei. Doch solange die technologische Evolution keine Einbahnstraße ist, solange wir über ihre Konsequenzen diskutieren können, müssen wir uns nicht fürchten.
Woher kommen eigentlich all die von Ihnen als utopisch-pessimistisch beschriebenen Zukunftsdeutungen?
Grundsätzlich geht es uns heute sehr gut. Einmal abgesehen von den Breaking News: Es gab noch nie in der Geschichte der Menschheit so viel Wohlstand und Entscheidungsfreiheit. Während etwa im Jahr 1980 nur eine Milliarde Menschen in einer Demokratie lebten, sind es heute vier Mal so viele. Doch wir können die Welt nicht mehr deuten und richtig einordnen, weil wir durch das Zuviel an Informationen überfordert werden.
Was werden Maschinen für uns im Jahr 2030 besorgen?
Sie werden noch mehr in unseren Alltag eingreifen als bisher. Aber sie werden keine komplett neue Welt für uns erschaffen. Weil sie lediglich wiederholbare Prozesse besser erledigen können als wir.
Sie sind also der Meinung, dass den Maschinen klare Grenzen gesetzt sind?
Genau. Dazu ein weiteres Beispiel: Es ist uns bis heute nicht einmal gelungen, eine intelligente Ampel für den Straßenverkehr zu entwickeln, weil unsere Computer nicht über die Rechenleistung verfügen, um alle relevanten Daten ausreichend schnell zu verarbeiten. Und in einem Mercedes-Werk in Sindelfingen hat man die Roboter durch Menschen ersetzt, weil sie die gewünschten Sonderanfertigungen nicht fehlerfrei erzeugen konnten. Wir sollten daher auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Unser größtes Problem ist nicht der Computer. Viel wichtiger ist die Lösung eines anderen Problems.
Und zwar?
Werden wir die von uns selbst geschaffenen Strukturen verändern können, um der zunehmenden Komplexität der Welt erfolgreich die Stirn bieten zu können? Das ist keine Herausforderung, der man mit Reformen begegnen kann. Das ist das wahre Problem unserer Zeit.
Die bisherigen Serienteile:
Teil 1: Der Mensch von morgen: Perfekt, unsterblich - zu allem bereit?
Essay von Helmut Brandstätter: Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Teil 2: Der Genetiker Markus Hengstschläger über die Thesen von Yuval Harari
Teil 3: Wie der Mensch den Schwangerschaftscode knacken will
Teil 4: Über die Gefahren der Mensch-Optimierung
Teil 5: Zukunft der Menschheit: Droht das Ende der Demokratie?
Teil 6: Der Mensch ist de facto bereits unsterblich
Teil 7: Singularität - die Angst vor der klugen Maschine
Essay von Helmut Brandstätter: Lern´ was! Ja, aber was?
Teil 8: Leben in der Zukunft: Für immer Feierabend! Und dann?
Teil 9: Wie wahrscheinlich eine gezielte Manipulation des Gehirns ist