Mietpreise: Warum Wien anders als Berlin ist
Viele deutsche Städte haben ein Mietpreisproblem. Das zeigt sich aktuell in Berlin, wo 1.500 Bewerber für eine Zwei-Zimmer-Wohnung um 600 Euro Schlagzeilen produzieren. Dagegen regt sich Widerstand. Neidisch schielen daher deutsche Politiker und Medien nach Wien: „5 Euro pro Quadratmeter – so geht’s“, berichtete der Spiegel vor kurzem. „Günstige Mieten – in Wien ist das möglich“, schrieb die Süddeutsche Zeitung erst vor wenigen Tagen. Doch was macht Wien anders?
Vorweg: Auch in Wien sind 50 Bewerber und mehr für eine Wohnung keine Seltenheit. Der Zuzug in die Stadt ist weiter hoch, die Stadt selbst baut im Schnitt knapp 7.000 Wohnungen, dazu kommen knapp etwa 4.000 frei finanzierte Wohnungen. Langfristig ist das zu wenig.
Im Gegensatz zu vielen deutschen Kommunen wurden in Wien aber nie Gemeindewohnungen verkauft. Fast eine halbe Million Menschen wohnt in Wien um aktuell 6,60 Euro Miete pro Quadratmeter im Gemeindebau.
Geförderte Wohnungen
Dazu kommen die vielen geförderten Wohnungen, die mit 7,10 Euro im Schnitt nur unwesentlich teurer sind. In Berlin sind es im Durchschnitt aller Wohnungen 13,81 Euro.
Wobei im Gegensatz zu Deutschland die Kriterien, so eine Wohnung zu mieten, niedrig sind. Bis weit in die gehobene Mittelschicht können Menschen in Wien eine geförderte Mietwohnung bekommen. Ein Einzelner darf im Jahr nicht mehr als 46.450 Euro netto verdienen, eine vierköpfige Familie 87.430 Euro. Damit ist die soziale Durchmischung gegeben.
Maria und Stefan zogen dennoch 2016 von Wien nach Berlin. 750 Euro macht ihre Kaltmiete für eine 70-m² Wohnung am Prenzlauer Berg aus. „Wir haben Gott sei Dank einen netten Vermieter“, sagt Maria. Arbeitskollegen der beiden zahlen im gleichen Grätzel für ähnliche Wohnungsgrößen 1.300 Euro und mehr. Umgerechnet sind das mehr als 18 Euro. „Ich habe aber auch schon 60-Wohnungen um den Preis gesehen“, sagt Maria.
Das letzte Drittel
Rechnet man die Wiener in Gemeindebauten und geförderten Wohnungen zusammen, kommt man auf zwei Drittel der Wiener, die im sozialen Wohnbau leben. Durch den von Bürgermeister Michael Ludwig eingeführten Wien-Bonus werden dabei Wiener vor Zuzüglern aus den Bundesländern und dem Ausland vorgereiht. Das letzte Drittel rauft am privaten Wohnungsmarkt, der sehr ungleich verteilt ist, um Wohnungen.
Dank eines niedrigen Richtwertzinses von 5,81 Euro/m² (mit April gab es die alle zwei Jahre erfolgende Anpassung der Richtwertmiete abhängig von der Inflation, Anm.) zahlt man in Altbauwohnungen, die vor 1945 errichtet wurden, moderate Preise. Landesweit unterliegen 300.000 Mieter dem Richtwertzins, davon rund zwei Drittel in Wien.
Bei frei finanzierten Wohnungen, die neuer sind, kann es schon mal erheblich teurer werden. Insgesamt stiegen in ganz Österreich die Hauptmieten seit 2013 um 14,9 Prozent (siehe Grafik), die generelle Preissteigerungsrate beträgt in diesem Zeitraum nur 8,6 Prozent.
Branchenvertreter kalmieren stets, dass es hohe Preissteigerungen nur bei Neuverträgen gebe und ohnehin würden die meisten Wiener im geförderten Wohnbau sowie in klassischen Altbauten wohnen. Vermieten sei ein Verlustgeschäft, vor allem, wenn man die in Altbauten teuren Renoverungsarbeiten hinzurechnet.
Die Arbeiterkammer verweist hingegen laufend auf die Mieten als Preistreiber und drängt zu Maßnahmen. Von Enteignungen will Thomas Ritt, AK-Abteilungsleiter Kommunalpolitik, nicht sprechen. „Das Bodenbeschaffungsgesetz würde das bei unbebauten Grundstücken ermöglichen. Dazu müsste aber erst ein Notstand ausgerufen werden.“ Er hofft, dass die neue Möglichkeit des geförderten Wohnbaus Linderung bringt.
Leistbares Wohnen
Demnach müssen bei Neuwidmungen ab 5.000 zwei Drittel der Fläche künftig für geförderten Wohnbau reserviert werden. „Ich weiß, dass dieses Gesetz eine kräftige Maßnahme ist. Aber ich bin in die Politik gegangen, um konkrete Verbesserungen für die Wiener zu erreichen. Leistbares Wohnen ist bei uns kein Privileg für Besserverdiener“, sagt die zuständige Stadträtin Kathrin Gaal (SPÖ).
Schon 15.000 Unterschriften für Enteignungen
Obwohl Bevölkerung mehrheitlich dafür, ist Umsetzung zweifelhaft.
„Stadt für alle statt Profite“ und „Wohnen ist Grundrecht“ stand auf ihren Plakaten: Zirka 40.000 Menschen protestierten laut Veranstalter am Samstag in Berlin gegen steigende Mieten und Wohnungsnot. Gleichzeitig startete der Antrag für ein bisher einzigartiges Volksbegehren: „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ fordert eine Initiative. Das Land Berlin soll demnach Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen gegen Entschädigung enteignen. Alleine dem börsennotierten „Deutsche Wohnen“-Unternehmen gehören 112.000 Wohnungen.
Pikant: Sie waren einst im Besitz der Stadt. Um Haushaltslöcher zu stopfen, verkaufte die rot-rote Regierung 2004 die landeseigene GSW um 405 Millionen Euro, die knapp 60.000 Wohnungen haben seitdem beträchtlich an Wert gewonnen. In der SPD ist man sich des Fehlers mittlerweile bewusst; dennoch kommen für Bürgermeister Michael Müller keine Enteignungen in Frage. Auch SPD-Chefin Andrea Nahles spricht sich dagegen aus und kontert so Grünen-Chef Robert Habeck, der es für machbar hält, „wenn andere Maßnahmen keinen Erfolg zeigten“.
Mietpreisbremse
Als wirkungslos wird etwa die von der Großen Koalition eingeführte Mietpreisbremse kritisiert (bei Neuvermietungen darf der Mietpreis höchstens zehn Prozent über dem Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, Anm.). Der Ruf nach Enteignung kommt in der Bevölkerung laut Umfragen mehrheitlich gut an; die Angst vor weiter steigenden Mieten und der knapper werdende Wohnraum betrifft auch die Mittelschicht.
Der Antrag fürs Volksbegehren hat schon 15.000 Unterschriften und gute Chancen, dass er angenommen wird. Damit es zum Referendum kommt, braucht es aber weitere 180.000 gültige Stimmen. Und egal, ob die Berliner dann mit Ja oder Nein abstimmen, Senat und Abgeordnetenhaus können am Ende doch noch dagegen stimmen.