Wirtschaft/Karriere

Der Körper lügt nicht

Der Mensch lügt zwischen zwei und 200-mal pro Tag. Die meisten dieser kleinen und großen Unwahrheiten werden nie aufgedeckt. Will man oft auch gar nicht. Obwohl es schon genügen würde, den Gesprächspartner präzise zu beobachten. Patricia Staniek hat sich darauf spezialisiert, Menschen zu lesen. Sie erkennt flüchtige Gesichtsausdrücke – sogenannte Mikroexpressionen –, zieht daraus Erkenntnisse. Als Profilerin wird sie von Unternehmen zu Personalentscheidungen hinzugezogen, um Bewerber zu entschlüsseln. Denn der Fehlgriff bei der Personalauswahl kann Unternehmen Millionen kosten. Diese Woche erscheint Stanieks neues Buch: Profiling. Ein Blick genügt und ich weiß, wer du bist.

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KURIER: Wird in Bewerbungsgesprächen oft geflunkert, der Lebenslauf aufgebessert?
Patricia Staniek:
Ich erkenne dabei oft Lügen, Tilgungen und Täuschungen. Ich habe die Aufgabe, die wahren Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Bewerbers aufzudecken. Ich reiße den Menschen aber nie die Maske vom Gesicht, sondern bringe sie im Gespräch wieder auf die richtig Spur. Gerade in Bewerbungssituationen sind Menschen besonders aufgeregt – ein körpersprachliches Lügen-Signal, kann dann auch nur ein Hinweis auf einen angespannten Zustand des Bewerbers sein.

Wie erkennen Sie, ob jemand flunkert?
Wichtig ist, die Bodybasics eines Menschen zu kennen. Das ist das natürliche und entspannte Verhalten eines Menschen. Weicht er von diesem Verhalten ab, lohnt es sich, genauer hinzuschauen und zu versuchen, die mögliche Emotion herauszufiltern: Ergibt sich das Verhalten wegen der neuen, unsicheren Situation oder resultiert die Nervosität aus der Angst, bei einer Lüge erwischt zu werden.

Welche Signale weisen auf Unwahrheiten hin?
Es gibt eine Menge Signale. Etwa der Griff zur Nase, der sogenannte Pinocchio-Effekt: Beim Lügen wird ein Hormon ausgeschüttet, die Nase wird stärker durchblutet, es entstehen kleine Wasserperlen auf der Nase. Das verursacht Jucken, der Lügner will das wegwischen. Manche Lügner schlagen bei der Lüge mit dem Arm den Takt, um den Satz unfallfrei herauszubringen. Manche lassen die Hände unter dem Tisch verschwinden oder decken Teile des Gesichts ab, um den lügenden Mund zu verstecken. Normalerweise folgen die Worte dem Gesichtsausdruck, wenn jemand lügt, kann es zu Entgleisungen kommen. Aber ich warne davor, eine Lüge an einer Geste fest zu machen. Immer Stimme, Sprache und Körpersprache einbeziehen. Man muss Signale in den richtigen Kontext stellen.

Kann jeder Schwindler enttarnt werden?
Exzellente Lügner sind schwer zu enttarnen. Sie spielen die Geschichte im Kopf so oft durch, dass sie sie von der Wahrheit nicht mehr unterscheiden können. Das eigene Gehirn glaubt die Lüge irgendwann.

Was ist Ihr Ratschlag – immer bei der Wahrheit bleiben?
Ich würde bei Recruitings bei der Wahrheit bleiben, denn die Unwahrheit fliegt irgendwann auf. Man darf und soll sich bestens verkaufen, darf auch mal ein bisschen aufschneiden. Aber Ehrlichkeit und ein Plan, Defizite abzubauen, machen mehr Sinn und Eindruck als die Lüge. Im alltäglichen Leben handelt es sich nicht immer um knallharte Lügen, es kann sich um Täuschung, Selbsttäuschung und Wahrheit verdrehen handeln. Lügen ist manchmal sogar notwendig: Man kann ja nicht sagen, „Ihre Tochter hat einen fetten Hintern“ oder „Es freut mich nicht, Sie heute zu treffen“.

Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede?
Ja, Mann und Frau lügen anders. Wenn Mann lügt, versucht er, Frau direkt in die Augen zu schauen. Frauen hingegen lügen aus der Bewegung heraus – machen etwas anderes dabei. Frauen sind, was Körpersprache betrifft, sensibler. Das hat damit zu tun, dass Frauen die Körpersprache der Babys lesen müssen.

Ihr Buch thematisiert die Körpersprache: Welche Haltung wird oft falsch verstanden?
Wenn die Hände vor dem Brustkorb überkreuzt werden. Das wird immer als Abwehr verstanden. Dabei kann es nur bequem sein. Grundsätzlich sehe ich die Körpersprache als unsere ureigene Muttersprache. Der Muttersprache sollte man mehr Aufmerksamkeit schenken.


Was ist ein sicheres Zeichen der Aggression?
Der Mensch hat ein sehr großes Repertoire an Aggressionsausdrücken: Etwa der fixierende und intensive oder der rastlose Blick. Das Zusammenpressen der Lippen, das Kauen auf den Lippen, Schlag- oder Hiebandeutungen in der Gestik, die Hände verschränken und zu einer Waffe formen.

Wie kann man eine Streitsituation mit der Körperhaltung deeskalieren?
Wenn sie einander gegenüber sitzen, drehen sie den Körper zur Seite – so machen Sie auf. Neigen Sie den Kopf leicht zur Seite, dann sind Sie in einer kooperativen Haltung. Dem Gegenüber fällt es dann schwer, ungut zu sein.

Wenn man eine Verhandlung zum Abschluss bekommen möchte?
Auch hier: Achten Sie darauf, nicht gegenüber zu sitzen, sondern ums Tischeck – je näher, desto besser. Auch, wenn ich will, dass mein Team kreative Ideen entwickelt, sollte ich mich als Chef nie an den Kopf des Tisches setzen. Sondern immer unter die Mitarbeiter. Ich hebe damit meinen Vorsitz auf.

Wenn jemand nicht zuhört, wie kann man die Aufmerksamkeit erlangen?
Indem man denjenigen direkt darauf anspricht, indem man jemanden fixiert oder mit der Stimme lauter oder sehr leise wird. Wenn man leise wird, muss der andere zuhören.

Abfolge stören Wer lügt, neigt dazu, die erdachte Geschichte detailreich und in einer streng chronologischen Reihenfolge zu erzählen. Professionelle Profiler fragen nach dem Ablauf der Geschehnisse in umgekehrter Reihenfolge und springen zwischen den Ablaufpunkten hin und her. Sie hinterfragen die Antworten und achten darauf, ob sich der Lügner verstrickt und Details verändert oder verdreht.

Unter Druck setzen Unter Druck und Stress lassen sich Lügensignale nur schwer verstecken. Staniek rät, mit Stimme und Formulierung Stress auszuüben und die Person bei einer Beschäftigung zu stören, – wenn sie ohnehin schon unter Zeitdruck steht.

Sprache und Stimme Geschönte Antworten kommen oft mit Verzögerung und werden langsam gesprochen. Bill Clinton ist dafür ein gutes Beispiel. Den Satz: „I did not have sexual relations with that woman – Miss Lewinsky“, sagte er laut Profilern zu deutlich. Er wählte eine distanzierte Sprache und zog die Worte unnatürlich in die Länge.

Fragetechnik Staniek rät, Fragen wiederholt zu stellen. Damit sich der Lügner nicht angegriffen fühlt, die Fragen jedoch umformulieren. Zudem die Fragen offen stellen. Nicht „Warum?“, „Wieso?“, „Weshalb?“ fragen, denn so fühlt sich der Gesprächspartner in die Ecke gedrängt und geht auf Rückzug.

Verstummen Mitten im Gespräch zu verstummen, kann sehr irritierend und verstörend wirken. Dann den Gesprächspartner einfach nur ansehen, den Kopf leicht schütteln oder Augenbrauen hochziehen und mit fixiertem Blick von unten nach oben ansehen. Staniek: „Das reicht schon, um die Person mit der Angst, erwischt zu werden, zu konfrontieren. In den meisten Fällen wird er dann mit der Wahrheit rausrücken oder die Lüge der Wahrheit anpassen.“