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Tennis-Legende Muster über Thiem: "Die Familie kann man schlecht rausschmeißen"

Wenn Thomas Muster einmal ansetzt, könnte man Bücher schreiben. Dem Steirer hört man seit Jahren auch in der Wiener Stadthalle gerne zu, der mittlerweile 57-Jährige ist seit 2012 Turnierbotschafter der Erste Bank Open. 2011 spielte er sein letztes ATP-Match in Wien, gegen seinen legitimen Nachfolger Dominic Thiem

Was Muster über den Niederösterreicher, der nun ebenso in der Stadthalle seine Karriere beendete, sagt und warum ihm die heutige Gesellschaft auf den Keks geht.

KURIER: Sie haben jüngst gesagt, dass Dominic Thiems Karriere-Ende ein bisschen zu früh kam. Hätte er noch länger spielen sollen?

Thomas Muster: Viele haben das als Kritik von mir aufgefasst. Das war absolut nicht so gemeint, jeder muss für sich selbst wissen, wann er aufhört. Die Frage, die ich mir stelle, ist nur, warum nach seinem Sieg bei den US-Open nichts mehr gegangen ist. Er hat ja vor seiner Handgelenksverletzung auch nicht gut gespielt. Da muss man sich fragen, was habe ich erreicht, muss ich mir neue Ziele stecken? Andere haben dann weitergewonnen. Und er ist in ein Loch gefallen ...

Sind Sie damals nach dem French Open auch in ein Loch gefallen?

Ich bin in viele Löcher gefallen. Dass ich in meinen letzten Jahren auf Sand nicht mehr viel gewonnen habe, lag an einem Schlägerwechsel. Dafür habe ich dann auf Hartplatz viel gewonnen. Aber jeder kennt mich als Kämpfer, im Prinzip war ich faul, man musste mich oft auf den Platz treiben, dort habe ich dann alles gegeben. Ich habe wenig Einblicke, aber es gibt viele Komponenten, warum es nicht mehr läuft.

Nämlich?

Klar war das Handgelenk schuld, vielleicht hat er sich auch eine Schonhaltung angewöhnt. Tatsache ist, dass er viele falsche Personalentscheidungen getroffen hat. Dazu muss man die Fragen stellen: Hat er finanziell ausgesorgt? Oder wollte er mehr Zeit mit der Freundin verbringen? Es gibt viele Spieler, die das getan haben. Man muss sich fragen: Wo ist mein Lebenssinn? Das kann nur er beantworten. Ich war auch nicht stabiler, eine Karriere geht nicht spurlos an einem vorüber. Ich habe jahrelang mit Schmerzmitteln gespielt. Ich habe in den vergangenen vier Jahren jedes Match von ihm gesehen, da frage ich mich: Warum ist er so weit weg? Mir tut es leid, weil ich vor Jahren schon sagte, dass er besser ist, als ich es jemals war.

Nerven Sie die Vergleiche mit Thiem? Es gibt viele Experten, die behaupten, er sei der größte österreichische Tennisspieler.

Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Das war eine ganz andere Zeit. Außerdem, wie bewertet man dies? Sind 55 Finalteilnahmen besser als vier Grand-Slam-Endspiele? Ich habe auch 44 Titel geholt. Außerdem ist eines Fakt: Nummer eins ist Nummer eins, Nummer drei ist Nummer drei.

Sie sprachen von schlechter Personalpolitik bei Thiem. Ist damit auch die Familie gemeint? Vater Wolfgang war Trainer, Bruder Moritz Manager.

Der Rückzug zur Familie ist eher als Schutzmechanismus zu sehen. Außerdem kann man die Familie ja schlecht rausschmeißen wie Trainer oder Manager.

Dominic Thiem hatte einen anderen Spielstil als Sie. Gibt es Spieler, die Sie an sich erinnern?

Heute ist alles anders. Heute werden die Jungen mit goldenen Schuhen geboren. Und mit diesen dürfen sie ja nicht in den Dreck steigen. Heute bekommen sie alles mit, wir mussten uns die Schuhe selber reparieren. Auf den Keks geht mir heute vor allem die Political Correctness. Heute darfst du gar nichts mehr, heute darfst du nichts mehr kritisieren. Wenn ich mich an meine Zeit erinnere, wo wir uns auf den Plätzen wüst beschimpft haben, so etwas gibt es heute nicht mehr. Freilich gibt es noch Typen, aber so wie früher ist es nicht.

Brauchen wir mehr Typen wie Nick Kyrgios?

Na ja, der Erfolg muss daneben schon auch stimmen. John McEnroe hat in Wimbledon die Blumenkisten demoliert und dann aber das Turnier gewonnen.