Russen treten ohne Flagge und Hymne bei den Spielen an
335 Athletinnen und Athleten gehen für die wegen Doping-Strafen in Verruf geratene Sport-Großmacht Russland bei den Olympischen Spielen in Tokio an den Start. Das sind rund 60 mehr als 2016 in Rio. Und Stanislaw Posdnjakow, Olympiasieger im Säbel-Fechten und heute Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), ist heilfroh, dass die Sportlerinnen und Sportler mit neutralem Status antreten dürfen. Russische Flagge und Hymne sind verboten.
Entwicklungen in Russland
"Ich möchte sagen, dass sich die Anti-Doping-Situation in Russland in eine gute Richtung entwickelt", sagt Posdnjakow. In jedem Sportverband sei in diesem Jahr ein Experte für den Kampf gegen Doping eingestellt worden.
Unter den 185 Russinnen und 150 Russen, die in Tokio um Medaillen kämpfen, sind nur zehn in den Leichtathletik-Disziplinen vertreten, u.a. Darja Klischina (Weitsprung) und der gerade vom Dopingverdacht freigesprochene Sergej Schubenkow (110 m Hürden). Der russische Leichtathletik-Verband ist seit 2015 vom Weltverband suspendiert, einzelne Sportlerinnen und Sportler durften aber eine individuelle Starterlaubnis beantragen. Damit sollen saubere Athletinnen und Athleten wieder die Chance auf Wettkämpfe haben. Mehrere Anträge waren abgelehnt worden.
NOK-Chef Posdnjakow erwartet trotz allem eine schillernde Eröffnungsfeier in Tokio, bei der erstmals eine Frau und ein Mann als Fahnenträger auftreten: die Fechterin Sofia Welikaja und der Volleyballer Maxim Michailow. Vorgaben gebe es nicht für die Mannschaft, sagt der NOK-Chef. Dennoch will er Russland im inoffiziellen Medaillenspiegel auf dem dritten Platz sehen – nach Rang vier 2016. Als Leiter der russischen Delegation erwartet er 50 Medaillen – 56 waren es in Rio mit geringerer Teamstärke.
Sollten die Sportler und Sportlerinnen gewinnen, werden sie aber nicht unter russischer, sondern unter neutraler Olympia-Flagge geehrt. Auch die russische Nationalhymne darf nicht gespielt werden. Sie wird durch das Klavierkonzert Nummer 1 von Peter Tschaikowsky ersetzt.
Probleme
Ihr Training absolvierten viele auch wegen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in Tokio im äußersten Osten Russlands in Wladiwostok, das nur eine Stunde Zeitunterschied zu Tokio hat. Das Kommando sei professionell aufgestellt, sagt Sportminister Oleg Matyzin in der Pazifikmetropole. Allerdings beklagen die russischen Funktionäre auch, dass viele Athletinnen und Athleten es trotz Warnungen vor der Gefahr des Virus versäumt hätten, sich impfen zu lassen. Nun reiche die Zeit nicht mehr.
Doch die Pandemie und die Schatten des Dopings sind längst nicht die einzigen Probleme, auf die sich die Russen einstellen. Russlands Präsident Wladimir Putin warnte Ende Juni bei einem Empfang für die Mannschaft vor politischen Attacken. "Das Thema der Politisierung des Sports ist bedauerlicherweise sehr aktuell", meinte der 68-Jährige. Immer wieder macht der Kremlchef deutlich, dass er Vorwürfe aus dem Westen gegen die stolze Sportnation für politisch motiviert hält.
Die russische Zeitung "Wedomosti" berichtete nun, dass die Athleten zur Vorbereitung auf provokante Fragen ausländischer Journalisten erstmals einen Merkzettel mit vorgegebenen Antworten bekämen. Ein Standardsatz lautet, dass Sport und Politik zu trennen seien. Putin gab seinen Landsleuten beim Kreml-Empfang mit auf den Weg, dass ganz Russland mit "Wärme im Herzen" bei ihnen sei. "Ihr seid für uns immer die Besten. Ich wünsche euch von ganzem Herzen schillernde Siege, einen würdigen und einen ehrlichen Kampf."