Politik/Inland

Warum das Spiel mit den Ängsten so gut funktioniert

„Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn es brennt“, sagte Umweltaktivistin Greta Thunberg beim Wirtschaftsforum in Davos. Den einen ist die 16-jährige schwedische Klimaschutz-Aktivistin Vor-, den anderen Feindbild. Was der „Fridays for Future“-Initiatorin jedenfalls gelingt: auf sich und ihre Agenda aufmerksam zu machen. Auch mittels Angst.

Angst ist ein bewährtes Mittel der Politik. Das zeigt auch dieser EU-Wahlkampf. Vor allem auf der rechten Seite wird Angst geschürt – „ausgetauscht zu werden“, gegen Zuwanderer, oder „islamisiert“ zu werden. Mit Angst operieren aber auch Linke, mit der Warnung vor der Gier von Konzernen, vor dem Untergang des Sozialstaats oder dem „Ausverkauf des Wassers“. Der KURIER fragte Experten, warum das Spiel mit unseren Ängsten so gut funktioniert.

Der Neurobiologe sagt: Ängste sind verlernbar

Was ist Angst? Psychologisch betrachtet  eine emotionale Reaktion auf eine Gefahr – wobei diese akut oder aber auch unbestimmt sein kann. Aus biologischer Sicht wiederum ist Angst „vereinfacht gesagt eine sehr starke Emotion, die bestimmte Stresshormone aktiviert“, sagt Johannes Gräff, Professor für Neurobiologie an der ETH Lausanne.

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„Diese Angsthormone lösen einen ,fight or flight response‘ aus – man reagiert also mit  Angriff oder Flucht“, erklärt der Experte im KURIER-Gespräch. Dabei sind bestimmte Hirnregionen extrem aktiv und lösen diese Hormone aus, andere wiederum werden quasi abgeschaltet. Diese Reaktion ist bei sämtlichen Säugetieren gleich. Es ist quasi die Ur-Reaktion.

 

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„In solchen Situationen kommt es zu massiven Veränderungen im Hirn.“ Es entsteht eine sogenannte  Gedächtnisspur. Das bedeutet, dass man in ähnlichen Situationen dieselbe Angst verspürt. In Versuchen haben Gräff und sein Forscherteam Mäuse in eine Kiste gesetzt, wo ihnen ein Stromschlag versetzt wurde. Wurden sie wieder in die Kiste gesetzt, erstarrten die Mäuse vor Angst – auch wenn der Stromschlag ausblieb. Im Hirn haben bestimmte Zellen die Angst abgespeichert. Doch mit Fortdauer dieser Versuche – die Mäuse wurden immer wieder in die  Kiste gesetzt, jedoch ohne Stromschlag – änderte sich das.  Die Mäuse verbanden die Kiste irgendwann nicht mehr mit Schmerz.

Im Hirn der Mäuse fand ein Lernprozess statt. „Lange dachte man, bei einer solchen Konfrontationstherapie wird die Angst im Gehirn einfach unterdrückt. Wir haben jedoch gezeigt, dass in jenen Gedächtniszellen, in denen die Angst abgespeichert war, durch die Konfrontation mit dem angsteinflößenden Stimulus ein Umlernen stattfindet“, sagt Gräff.

Instabile Gedächtnisspur„Möglich ist das, weil jede Erinnerung durch einen angsteinflößenden Reiz die Gedächtnisspur im Hirn für eine bestimmte Zeit destabilisiert“, sagt Gräff.  „In dieser Phase kann man umlernen. Diese Labilität oder Instabilität des Gedächtnisses ist nutzbar.“

Man kann  Angst so gezielt verlernen. Gräff: „In der Expositions- oder Konfrontationstherapie setzt man  sich bewusst den Dingen aus, vor denen man Angst hat – zum Beispiel Höhe oder Spinnen – und irgendwann merkt man, dass überhaupt nichts passiert.“

Egal ob die Angst der Maus vor dem Elektroschock oder die Angst eines Menschen vor Spinnen oder Xenophobie: Es handelt sich dabei um anerzogene Angst. „Niemand hat von Geburt an Angst vor Ausländern. Das ist anerzogen“, sagt Gräff. Und damit auch verlernbar.

Die Politologen sagen: „Politische Botschaften waren früher nicht weniger emotional“

Angstmache ist in der Politik nicht neu. „Sie ist ein altbewährtes Mittel der Mobilisierung“, sagt  Politologe Anton Pelinka.  Sie könne geschürt, aber nicht erfunden werden. „Angst vor dem Fremden beispielsweise in Form von Zuwanderung   gibt es. Die Frage ist nur, ob man diese Angst durch Kampagnen, Gerüchte oder Fake News in sozialen Medien ins Irrationale übersteigert oder nüchtern zu dekonstruieren versucht.“

 

Um Angstabbau bemühen sich, so Pelinka, nur wenige. Es sind „Altpolitiker wie Heinrich Neisser oder Erhard Busek, die keine Wahlen mehr gewinnen müssen“. Und von den Aktiven? „Ansatzweise Othmar Karas und von der SPÖ wohl auch Pamela Rendi-Wagner und Andreas Schieder.“ Am ehesten sei konstruktive Politik auf der Agenda der Grünen und Neos. 
 „Je klarer, einfacher, emotionaler und abgrenzender, desto besser können sich Parteien insbesondere im Wahlkampf positionieren“, sagt die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. Geändert hat sich daran im Lauf der Zeit nichts: „Auch früher waren die politischen Botschaften  weder differenzierter noch weniger emotional oder warnend.“

Einzig die ideologischen Profile seien klarer gewesen. Früher galt es, Stammwähler anzusprechen, heute geht es um Unentschlossene und Wechselwähler.  Die Einheit einer Gruppe müsse heute täglich neu hergestellt werden. Stainer-Hämmerle: „Am einfachsten gelingt das mit Feindbildern wie ,die Fremden‘, ,die Eliten‘ oder  ,die Konzerne‘.“

Der Düsseldorfer Sozial- und Politikwissenschafter Frank Marcinkowski hat sich auf die Angst im politischen Diskurs spezialisiert. Er plädiert dafür, nie von „irrationalen Ängsten“ zu sprechen. „Ängste sind immer Produkt unserer Vorstellungskraft, selbst wenn die Quelle der Bedrohung anwesend ist. Nicht der Tiger, der vor mir sitzt, macht mir Angst, sondern die Vorstellung, was er mit mir anstellen könnte. Also eher ein Produkt der Fantasie als der Ratio. Das gilt erst recht für Bedrohungen, die nicht unmittelbar anwesend sind.“  

 

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Das heißt im Umkehrschluss: Irrationale Ängste gibt es nicht, die Einteilung in „gute Ängste“ (vor dem Klimawandel) und „böse Ängste“ (vor Fremden) führt nicht zum Ziel. Zumal man logisch in Bedrängnis gerät.

Marcinkowski: „Alle Parteien werfen der AfD vor, dass sie Ängste schürt. Gleichzeitig schüren die anderen Parteien Ängste vor der AfD.“ Herausforderung und Lösungsansatz für die Politik wäre, dass sie vermehrt Handlungsfähigkeit vermittelt. „Bei der Migrationsdebatte ist genau das ja nicht passiert. Es wurde kommuniziert: Da kommen sehr viele Menschen – und nichts daran kann man ändern. Dass das Hilflosigkeit und Angst erzeugt hat, kann nicht weiter verwundern.“

Der Werber sagt: „Angst ist sehr effektiv. Leider“

„Angst ist bei politischen Kampagnen sehr effektiv. Leider.“

Thomas Kratky macht keinen Hehl daraus: Er schätzt sie nicht besonders, die Angst in der politischen Kommunikation. Der preisgekrönte Werber hat in seiner Berufslaufbahn für verschiedene Bewegungen und Parteien gearbeitet. Angst als Motor lehnte er immer ab  –  trotz ihrer Mobilisierungskraft. „Mich faszinieren Botschaften und Kampagnen, die mit einer positiven, längerfristigen Vision verbunden sind. Wohin soll das Land, wohin soll die Gesellschaft gehen? Diese Fragen interessieren mich.“

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Kratky hat verschiedene Erklärungen, warum insbesondere Parteien, die mit Feindbildern agieren, derzeit Erfolg haben. „Angst ist ein starkes Zugpferd, weil die Menschen mit der globalisierten Welt nicht zurechtkommen. Man hat zum ersten Mal in der Geschichte alles auf seinem Schreibtisch. Das Internet zeigt dir, was das Fischsterben im Pazifik mit dir zu tun hat  –  das verunsichert.“  Die Konsequenz sei eine paradoxe Reaktion: „Je komplizierter die Welt wird, desto einfacher sollen die Lösungen sein. Und genau das bieten vor allem Rechtsaußenparteien, die seit Jahren die selben Botschaften lancieren.“

Wie könnte man die Angst, die ja gut funktioniert, aus der politischen Kommunikation herausbringen?  Das ist, versteht man Kratky richtig, nur mit sehr viel mehr Arbeit möglich. „Die Chance besteht darin, dass die Politik wieder Zukunftsstrategien entwickeln, die klar verständlich längerfristig Vorteile bringen, anstatt immer nur Politik nach Meinungsumfragen zu betreiben und auf kurzfristige Wahlerfolge zu schielen.“

Kratky bringt das Beispiel der Meinungsumfragen. „Die Digitalisierung ermöglicht ständiges Abfragen von Wünschen und Positionen. Das ist aber nicht zielführend.“ Warum? „In Spanien hat ein Bürgermeister alle Autos in seiner Stadt verboten. Hätte er vorab alle Bürger gefragt, hätten sie sicher Nein gesagt. Er aber hat ein Konzept entwickelt, dieses umgesetzt – und jetzt ist die Mehrheit froh, dass der Bürgermeister so für die Kommune entschieden hat. In der Politik muss es zunehmend darum gehen, Richtiges populär zu machen.“