Corona-Gipfel: Kurz kündigt "Öffnungsschritte in allen Bereichen ab Mitte Mai" an
In gewohnter Manier fanden heute wieder Beratungen der Regierung mit Experten, Opposition und Ländern zu den Corona-Maßnahmen statt.
Um 11 Uhr gab es Beratungen mit Experten und der Opposition, um 13 Uhr dann eine Videokonferenz den Landeshauptleuten. Ab 15.30 Uhr meldete sich die Regierung via Pressekonferenz zu Wort. Kurzfassung: Sie freut sich auf einen "Impfturbo" und geht von Öffnungen im Mai aus.
Lehrer und Polizisten Ende April geimpft
Die Beratungen mit den Bundesländern seien sehr "zügig und harmonisch" verlaufen, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er sei froh, dass mit der zusätzlichen Million an Dosen im zweiten Quartal von Biontech/Pfizer nun ein "Impfturbo" komme, so Kurz. 100.000 Dosen kommen im April, 300.000 im Mai und 600.000 im Juni. Damit können Lehrer und Polizisten voraussichtlich bis Ende April durchgeimpft sein.
Von den über 65-Jährigen seien in Österreich mittlerweile 50 Prozent geimpft. "Die Impfung schreitet nicht nur voran, sie wirkt auch", sagte Kurz und verwies auf den Tiroler Bezirk Schwaz, der bereits zur Gänze durchgeimpft wurde. "Das Ziel, dass wir im Sommer zur Normalität zurückkehren können, ist nicht nur ein Ziel, sondern wird sehr bald zur Realität werden."
Alle Branchen sollen im Mai öffnen
Diejenigen, "die den Weltuntergang vorhergesagt und einen Lockdown für ganz Österreich gefordert haben", seien widerlegt worden, so Kurz - wohl ein Seitenhieb auf SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die lokalen Lockdowns in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland seien die richtige Vorgehensweise gewesen. "Das regionale Vorgehen hat sich als absolut richtig herausgestellt", so Kurz. Und: "Durch den Impffortschritt sind die Öffnungen ab Mitte Mai möglich."
Bei allen Öffnungsschritten werde man "behutsam" vorgehen. Masken, Tests und auch der "Grüne Pass" würden dabei eine große Rolle spielen. Der Grüne Pass wird "eine ganz wesentliche Säule sein" und mit den Öffnungen ausgearbeitet sein müssen.
Die Öffnungen sollen in sämtlichen Bereichen - Kultur, Sport, Gastro und Tourismus - gleichzeitig vorgenommen werden. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) bestätigte, dass man "aufgrund der Prognosen" an Öffnungsschritte denken könne. Auf einen "genauen Tag" wolle er sich nicht festlegen. Ein konkretes Datum soll kommende Woche innerhalb der dafür eingerichteten Öffnungskommission verhandelt und bis Ende der Woche kommuniziert werden.
Warnung vor "Impfparadoxon"
Mediziner Oswald Wagner sprach von einer Situation, die sich "entspannt" habe. In ganz Österreich sehe man "deutlich fallende Infektionszahlen". Sinnvoll wäre es, betriebliche Testungen zu intensivieren, betonte Wagner. Es gebe zudem "Gruppen", die nicht zum Testen gehen und durch das betriebliche Testen erreicht werden könnten.
Man gehe zudem davon aus, dass alle, die geimpft worden sind, sich nicht mehr Freitesten müsse, so Wagner. Gleichzeitig warnte er vor einem "Impfparadoxon": Man sollte nicht zu früh öffnen, nur weil die Impfungen greifen. Das könnte eine vierte Welle auslösen.
Aktuelle Situation
Was Gesamt-Österreich betrifft, ging die Ampel-Kommission bei ihrer Sitzung am Donnerstagabend davon aus, dass der Höhepunkt der aktuellen Corona-Welle erreicht ist. Betont wurde, dass die aktuellen Maßnahmen zur Prävention - etwa Kontaktreduktion oder flächendeckende Testungen - weiter forciert werden sollen.
Im Osten ist für die Intensivstationen vorerst keine Entspannung in Sicht, auch nicht im Burgenland. Dort endet der Lockdown am Montag. Handel, Dienstleistungen und Schulen sperren wieder auf. Dass Wien und Niederösterreich den Lockdown bis 2. Mai verlängern, wurde von der Kommission ausdrücklich begrüßt.
Öffnungswünsche der Länder
Am Donnerstag hat die von der Regierung eingerichtete Öffnungskommission, die über Lockerungen mancher Corona-Maßnahmen berät, ihre Arbeit aufgenommen. Den Ländern soll nun daraus berichtet werden.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hatte sich nach der Sitzung in seiner Funktion als Städtebund-Präsident für eine österreichweit einheitliche Strategie für behutsame Öffnungen ausgesprochen, basierend auf österreichweiten Kennzahlen.
Ähnlich sah das am Freitag im Vorfeld des Corona-Gipfels auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer, der solche ab Mai einforderte. "Regional differenzierte größere Öffnungsschritte sehe ich kritisch, das würde zu einem chaotischen Gastro- und Kulturtourismus führen, gerade für Oberösterreich mit der geografischen Lage. Wir sollten als Republik gemeinsam diese Schritte gehen", erklärte er.
Auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) drängte in Richtung Öffnung. Es sei "entscheidend", dass es zu solchen Schritten komme, auch damit sich der Wirtschaftsstandort Tirol erholen könne, sagte er bei einer Pressekonferenz in Innsbruck. Er wünscht sich bei der heutigen Sitzung einen konkreten Zeitplan für die Öffnungen.
Aus Niederösterreich kam der Ruf nach einem früheren Ende der Ausreisetests.
Das Burgenland war beim Video-Gipfel durch Landesrat Leonhard Schneemann (SPÖ) vertreten. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) hatte am Mittwoch für sein Bundesland die Lockerungen für Handel und Schulen unter Sicherheitsvorkehrungen bekannt gegeben. Darüber hinaus werde es eine Intensivierung der Tests und eine wissenschaftliche Begleitung in den zwei Testregionen Parndorf und Neusiedl am See geben. Beim Bund-Länder-Gespräch will Schneemann die Linie des Burgenlands bekräftigen, hieß es zur APA im Vorfeld.
Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) meinte vor der Sitzung, es sollte möglich sein, der Bevölkerung "eine konkrete Perspektive für die kommenden Wochen und Monate" zu geben - und zwar sowohl was Lockerungen, als auch was Verschärfungen betrifft. Erneut verwies Kaiser darauf, dass der Blick nicht allein auf die Inzidenzen gerichtet werden soll, sondern auch auf die Intensivbettenauslastung, die Schwere der Krankheitsverläufe, die Erfolgsquote beim Contact Tracing oder die Durchimpfungsrate. Prinzipiell sprach sich Kaiser wieder für "vorsichtige, streng kontrollierte und kontrollierbare Öffnungen" aus. Es gelte das Motto: "Lieber draußen, getestet und kontrollierbar, als ungetestet und unkontrollierbar im privaten Innenbereich."
Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) hat sich im Vorfeld des heutigen Gipfels für Öffnungsschritte ausgesprochen – allerdings nur, wenn sie wissenschaftlich und virologisch vertretbar sind. Man begrüße jede weitere Öffnung, nicht aber um jeden Preis, sagte LH-Sprecher Christian Pucher am Freitag zur APA. "Nicht, dass uns die Infektionszahlen in einem Monat wieder um die Ohren fliegen." Bei der Online-Konferenz heute dürfte es dem Vernehmen nach um die Lage in den Bundesländern nach Ostern und die Impfungen gehen – große Aufsperr-Schritte werden im Anschluss vermutlich noch nicht kommuniziert. Haslauer erwarte sich vor allem von den verstärkten Impfungen in den nächsten Wochen bessere Voraussetzungen für größere Öffnungsschritte.
Rendi-Wagner: "Jeder macht, was er will"
Um 14.30 Uhr erklärte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im "Roten Foyer", wie sich die Lage aus ihrer Sicht darstellt. Die Bundesregierung, sagt sie, habe sich im Februar von der Kommandobrücke verabschiedet, es gebe kein bundeseinheitliches Vorgehen mehr. Die Steuerung im Krisenmanagement liege seither in den neun Bundesländern.
"Nach dem Motto: Jeder macht ein bisserl, was er will", sagt Rendi-Wagner. Sie hält das für eine grundfalsche Entscheidung - es brauche eine klare Linie für die Bevölkerung.
Da diese Situation nun aber besteht, appellierte sie an alle, sehr sorgsam mit dieser Verantwortung, die sie von der Bundesregierung übernommen haben, umzugehen, wenn es um Öffnungsschritte geht.
Immer im Blick haben müsse man die Situation auf den Intensivstationen. Wenn 30 Prozent der Kapazitäten überschritten werden, sei die Situation prekär, wie kürzlich wissenschaftlich festgestellt wurde. Rendi-Wagners Forderung ist daher, dass Öffnungsschritte erst dann geschehen, wenn der Wert darunter ist.
Zur Entscheidung des Burgenlands, wo ihr Parteikollege Hans Peter Doskozil regiert, sagte sie: "Es ist zu früh. Die Zahlen der Intensivstationen geben die Öffnung nicht her." Die Verlängerung in Wien und in Niederösterreich sei richtig und dringend notwendig.
FPÖ: "Politik schießt mit Kanonen auf Spatzen"
Komplett anders sieht das die FPÖ, die ebenfalls an der Videokonferenz teilgenommen hat. Harald Stefan sagt: "Die Corona-Maßnahmen der Regierung sind ganz offensichtlich nicht evidenzbasiert. Sie sind überschießend und nicht verhältnismäßig."
Ein Lockdown, so Stefan, sollte immer nur das letzte Mittel sein, dennoch werde diese Karte mit Vorliebe gezogen. Dass ein Lockdown keinen nennenswerten Effekt auf das Infektionsgeschehen hat, zeigten die Vergleiche zwischen der Ostregion mit einem harten Lockdown und westlichen Bundesländern.
Zudem hätten Experten der Regierung bestätigt, dass die Ansteckungsgefahr im Freien praktisch gleich Null ist. "Also warum Amateursportler, Kinder und Jugendliche an der sportlichen Betätigung gehindert werden, warum es keine Freiluftveranstaltungen gibt, Gastgärten geschlossen bleiben müssen, die Menschen mit Ausgangsbeschränkungen sekkiert werden, das ist nicht nachvollziehbar. Mehr noch: Es ist schlicht ein Widerspruch in sich. Die Politik schießt mit Kanonen auf Spatzen“, sagt der FPÖ-Mann.
Impf-Turbo
Zum heutigen Hauptthema, dem Impfen: Die Dosen von Biontech/Pfizer würden einen "weiteren Turbo bei den Impfungen" bedeuten, sagt Kanzler Kurz. "Jeder, der geimpft werden möchte, wird bis Ende Juni seine Impfung erhalten."
Kurz sieht damit die Normalität einen weiteren Schritt näherkommen, man befinde sich auf den letzten Metern im Kampf gegen die Pandemie.
Im Kanzleramt rechnet man mit rund 100.000 Dosen im April, 300.000 im Mai und 600.000 Dosen im Juni. Die ins zweite Quartal vorgezogene Lieferung soll folgendermaßen aufgeteilt werden:
- Wien: 210.000 Dosen
- NÖ: 180.000 Dosen
- OÖ: 160.000 Dosen
- Steiermark: 130.000 Dosen
- Tirol: 80.000 Dosen
- Salzburg: 60.000 Dosen
- Kärnten: 60.000 Dosen
- Vorarlberg: 40.000 Dosen
- Burgenland: 30.000 Dosen
Gedenken an die Covid-Toten
Vor den Beratungen mit Opposition und Ländern gab es eine Gedenkveranstaltung für die Toten der Corona-Pandemie. Ab 10.00 Uhr fand sich u.a. die Regierungsspitze sowie Teile des Nationalratspräsidiums in der Aula der Wissenschaften in Wien zu einem gemeinsamen Veranstaltung ein.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowie Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hielten Reden. Auf den Gebäuden der Hofburg, am Bundeskanzleramt, am Außenministerium und am Parlament werden die Fahnen auf Halbmast gesetzt.
In ganz Österreich sind seit Ausbruch der Pandemie 9.843 Menschen an Covid-19 gestorben, davon 2.122 in der dritten Welle seit Februar. Laut den vom Krisenstab des Innenministeriums gesammelten Zahlen sind mehr als zwei Drittel der Corona-Toten in der zweiten Infektionswelle verstorben.
Die meisten Todesopfer hat die Pandemie bisher in Wien gefordert (2.059), knapp gefolgt von der Steiermark (1.928) sowie Ober- und Niederösterreich (1.666 bzw. 1.664). Dahinter folgen Kärnten (770), Tirol (610), Salzburg (551), das Burgenland (310) und Vorarlberg (285 Tote).
Gemessen an der Bevölkerungszahl hatten die Steiermark und Kärnten bisher allerdings die meisten coronabedingten Sterbefälle zu verschmerzen, nämlich 155 bzw. 137 pro 100.000 Einwohner. In ganz Österreich sind seit Ausbruch der Pandemie 111 von 100.000 Einwohnern nach einer Corona-Infektion verstorben.
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