Kurz-Verfahren: "Rote Linie" der Parteien unterschiedlich bis unklar
Die Frage der Konsequenzen der Ermittlungen der WKStA gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beschäftigte Sonntag auch die Ibiza-U-Ausschuss-Fraktionsführer in der ORF-"Im Zentrums"-Diskussion. Aus Sicht von SPÖ und NEOS ist ein Rücktritt bei Anklage geboten.
Die Grünen wollen sich nicht festlegen - und der ÖVP-Fraktionschef tat dies mit dem Hinweis nicht, er rechne nicht mit Anklage. Die FPÖ wird wohl in der Sondersitzung am Montag einen Misstrauensantrag gegen Kurz stellen.
Dieser wird allerdings ebenso wenig eine Mehrheit finden wie jener gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP). Ganz fix ist es noch nicht, aber FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker ging davon aus, dass es "zwei Misstrauensanträge geben wird". Denn aus Sicht der Blauen ist "die Grenze schon längst überschritten".
Für die SPÖ noch nicht: In der ganzen Zweiten Republik sei es Konsens gewesen, dass Regierungsmitglieder zurücktreten, wenn Anklage gegen sie erhoben wird, erklärte Kai Jan Krainer die "rote Linie". Auch die ÖVP habe dies beim früheren Kanzler Werner Faymann eingefordert.
Erst nicht ganz eindeutig, auf Nachfrage dann aber doch erklärte auch Stephanie Krisper: Bei einer Anklage müsste ein Regierungschef "von sich aus sagen, dass es so nicht geht ... ja, zurücktritt".
Keine Spekulationen
Trotz Nachfragen lehnte es die Grüne Nina Tomaselli strikt ab, zu "spekulieren". Für Finanzminister Blümel gelte, was Klubobfrau Sigrid Maurer gesagt hat - dass er bei Anklage zurücktreten müsste -, auch "für uns Grüne" wäre es selbstverständlich, dass ein Minister "entsprechende Konsequenzen ziehen würde", aber was Kurz betrifft sei sie "nicht die Erziehungsberechtigte des Kanzlers und auch nicht da, um Haltungsnoten zu vergeben".
Mehrfach brachte auch sie das Grüne Credo vor, dass nur dank der Grünen Ministerin Alma Zadic die Justiz jetzt unabhängig und ohne Zurufe ermitteln könne.
Für ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger stellt sich die Frage der Konsequenzen in seiner "Gedankenwelt" gar nicht - denn er kann sich "beim besten Willen nicht vorstellen, dass es zur Anklage kommt".
Schließlich gehe es hier um "Wortklaubereien und Haarspaltereien", und der Opposition nur um "ein großes Ziel: Kurz muss weg".
Neuwahlen strebe die ÖVP "keinesfalls an", versicherte er, schließlich gelte es sich nach der Pandemie jetzt der inhaltlichen Arbeit zuzuwenden - in der "spannenden und innovativen" Koalition mit den Grünen.
Öffentlichkeit von U-Ausschüssen denkbar
Ein wenig aufhorchen ließ Hanger mit der Erklärung, dass sich die ÖVP jetzt die von ihr lange abgelehnte Öffentlichkeit von U-Ausschüssen vorstellen könnte. Dies allerdings im Rahmen einer Gesamtreform. Die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss "steht nicht zur Disposition", sagte er - will aber eine "Ausgewogenheit" zwischen Auskunftspersonen und Befragenden schaffen.
Denn Auskunftspersonen stünden unter unbedingter Wahrheitspflicht, während die Befragenden sie "fünf Stunden ins Kreuzverhör nehmen können, mit Unterstellungen und Unwahrheiten, und versuchen, sie in Widersprüche zu verheddern".
Von den NEOS gebe es längst einen Antrag dafür, die U-Ausschüsse öffentlich zu machen, merkte Krisper an - und bekräftigte, wie Krainer und Hafenecker auch, die Kritik, dass die ÖVP die Untersuchungen im U-Ausschuss zu behindern versuche - und ihre Regierungsstellen angeforderte Unterlagen lange nicht (oder wie Blümel erst bei Exekutionsandrohung des VfGH) liefern würden.
Lieber Form als Inhalt
In diesen Fragen stellte sich auch Tomaselli auf die Seite der ÖVP-Kritiker: Es sei schon klar, dass Hanger lieber über die Form als den Inhalt des U-Ausschusses rede, meinte sie etwa.
Schließlich habe sich gezeigt, dass "was HC Strache angesprochen hat (im Ibiza-Video, Anm.) auch in der Realität umgesetzt worden ist, nur nicht alles von ihm und viel professioneller". Der Vorwurf der Suggestivfragen und Unterstellungen - um dann Falschaussagen anzeigen zu können - stimme "keinesfalls", sagte sie. Die Befragungen seien "in der Regel seriös".