Politik/Inland

Streit um Ärztezentren: Kammer wehrt sich gegen Vorwürfe

Bis zum Ende der Finanzausgleichsverhandlungen, diese müssen im Jahr 2023 abgeschlossen werden, müssen konkrete Reformen des Gesundheitssystems fixiert sein. Anderenfalls bliebe weitere fünf Jahre alles, wie es jetzt ist, und das dürfe nicht geschehen, sagt Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) im Ö1-Interview, sonst würden sich die Probleme im Gesundheitssystem verschärfen.

Rauch hat angekündigt, "an den großen Schrauben" drehen zu wollen. Sollte es in den Verhandlungen zu keiner Einigung mit den Partnern, also Bund, Ländern, Gemeinden, Finanzminister, Ärztekammer und Sozialversicherung, kommen, würde er notfalls auch gegen ihren Willen Reformgesetze auf den Weg bringen, wie er im Ö1-Morgenmagazin am Freitag sagt.

Streit um Primärversorgungszentren 

Rauch übt auch Kritik an der Ärztekammer und ortet "Beharrungszustände" statt Zukunftsgestaltung. Er gibt damit auch dem burgenländischen Landeschef Hans Peter Doskozil (SPÖ) recht, dieser hat im KURIER-Interview die Macht der Ärztekammern kritisiert, die das Pouvoir haben, zu bestimmen, dass Wahlärzte keine Nacht- und Bereitschaftsdienste am Wochenende machen müssen.

Das Veto-Recht der Ärztekammer, vor allem im Bereich der Primärversorgungszentren, sollte eingeschränkt werden, sagt Rauch. Er könne nicht nachvollziehen, wieso diese von der Ärztekammer blockiert werden. Die EU habe für die Errichtung von 75 Primärversorgungszentren 100 Millionen gegeben, bisher gebe es aber nur 39. "Ich verstehe den Widerstand der Ärztekammer nicht und ich verstehe auch nicht, wieso es da ein Veto-Recht für die Ärztekammer geben soll", sagt Rauch.

Änderungen muss es auch bei der Verteilung zwischen Kassen- und Wahlärzten geben, damit jeder Menschen in Österreich Zugang zu einer guten, gleichberechtigten Versorgung habe. Das sei zwar noch gegeben, der Trend allerdings, dass Österreich zwar genug Ärzte ausbildet, diese aber den Weg in die Wahlarztpraxen wählen, "ungebrochen ist", so Rauch. 

Arbeitnehmervertreter der ÖGK, Andreas Huss, führte in einer Aussendung Negativbeispiele aus der Zusammenarbeit mit der Ärztekammer an. So verhindere die Standesvertretung den Ausbau der kindermedizinischen Ambulatorien in Wien, obwohl es Errichtungsbewilligungen gebe, und wehre sich gegen alternative Versorgungsformen wie Ambulatorien oder Kooperationen mit Krankenhäusern, auch wenn dortige Kassenstellen längere Zeit nicht besetzt werden könnten.

"Kommt immer nur ein 'Nein'"

"Die Ärztekammer nutzt hier ihre Vetorechte, um eine Angebots- und Nachfrage-Schieflage zu erzeugen und diese zu ihrem Vorteil zu nutzen", kritisierte Huss: "Hohe Nachfrage und niedriges Angebot führt zu höheren Honoraren, so die Strategie. Das erschwert es uns, die gute Versorgung für alle aufrechtzuerhalten." Natürlich könne sich Kammer ausschließlich auf die Vertretung der Interessen der Ärzte zurückziehen und jegliche Versorgungsverantwortung von sich weisen: "Dann aber bitte ohne irgendwelche Vetorechte."

Rückendeckung bekommen Rauch und Huss von Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen, pflichtete der Kritik bei. "Statt konstruktiv an der Verbesserung der Patient:innen-Versorgung mitzuwirken, kommt bei fast allen wichtigen Themen immer nur ein 'Nein' aus der Weihburggasse (dem Standort der Ärztekammer in Wien, Anm.). Eine Haltung, die auch viele Mediziner:innen im persönlichen Gespräch nicht mehr nachvollziehen können", heißt es in einer Aussendung.

"Geht nur im Gleichschritt"

Bei der Ärztekammer will man die Kritik naturgemäß nicht verstehen. Vize-Präsident Harald Schlögel: "Von einem Veto-Recht weiß ich nichts", die Ärztekammer habe lediglich die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugebenAuch den Vorwurf des Blockierens von Primärversorgungseinheiten (PVE) weist er von sich; PVE seien nicht das "Allerheilmittel", außerdem brauche es für die PVE auch das Personal, das dort arbeiten wolle, sagt Schlögl. 

Im ZiB2-Interview am Freitag spricht der Vize-Präsident von der Umsetzung der PVE als Vereinbarung zwischen ÖGK, Ländern und Ärztekammer: "Das ist so, als wenn drei Leute miteinander tanzen wollen. Das geht nur im Gleichschritt." Auch die Gesundheitskasse oder die Länder hätten schon Projekte verhindert, wie er betont. Es sei jedoch die Aufgabe der Kammer, die Ärzte zu vertreten. Insofern sage man, wo man PVE als sinnvoll erachte, und auch wo nicht. "Wir wollen gehört werden", so Schlögel. Mit Konkurrenzdenken habe das nichts zu tun, wie der Funktionär im Interview betont; es gehe nicht darum, den niedergelassenen Ärzten einen Wettbewerb zu ersparen. 

Dass die Ärztekammer immer wieder darauf hinweist, wie wichtig Wahlärzte für die gesundheitliche Versorgung sind, verteidigte Schlögel entschieden. Vor allem im städtischen Bereich seien diese unverzichtbar, wie die lange Suche nach einem Kassen-Kinderarzt in St. Pölten beweise. Am Land seien die Menschen aufgrund eines niedrigeren Einkommens auf Kassenärzte angewiesen, denen jedoch das Leben durch den Wegfall von Hausapotheken schwer gemacht werden würde. Schlögels Fazit: "Die Wahlarztproblematik wird bewusst hochgespielt, um von dem eigenen Problem abzulenken, dass zu wenig Geld für das Gesundheitssystem da ist."

Veto-Recht oder kein Veto-Recht? 

Tatsächlich ist eine Art Veto-Recht für die Ärztekammer im Gesetz durch den Gesamtvertrag zwischen ÖGK und Ärztekammer geregelt. Paragraph 6 des Gesamtvertrags für Primärversorgungseinheiten (PVE) besagt, dass die Landesärztekammern jeder Stelle im niedergelassenen Bereich zustimmen müssen. Genauer, dass jede Stelle im Einvernehmen ausgeschrieben und besetzt werden muss. Das heißt, alle nötigen Strukturen einer PVE können erschaffen werden – die Besetzung mit Ärzten kann aber von der Ärztekammer blockiert werden.