Die Rückkehr des Sebastian Kurz im U-Ausschuss
Es ist knapp nach zehn, als Sebastian Kurz mit dem ihm eigenen, fast spitzbübischen „Grüß Gott!“ ins Parlament marschiert. Der politische „Kampfanzug“ ist wie ehedem: weißes Hemd, dunkelblauer Anzug, keine Krawatte. Er habe zugenommen, raunen Beobachter, als der Ex-Kanzler das „Camineum“ betritt, wo der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss tagt. Doch streng betrachtet hat sich Kurz in all den Monaten ohne Politik optisch kaum verändert.
Was die Erwartungshaltung angeht, ist das Feld längst abgesteckt: ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger bezeichnet den Ausschusstag präventiv als „Farce“; und auch der Ex-Kanzler erklärt gleich vorweg, dass er sich wenig bis gar nichts vom Tag erwarte.
Kurz ist nicht nur ein Routinier der politischen Rhetorik; er ist zudem Auftritte im U-Ausschuss gewöhnt – immerhin ist es mittlerweile das vierte Mal, dass er hier aussagt, wobei der Terminus technicus „Befragung“ lautet. Denn im Parlament geht es um Verfehlungen der Verwaltung und um politische Verantwortung, nicht um das Strafrecht oder Tribunale – zumindest in der Theorie.
In der Praxis ist nach gefühlten zwei Minuten klar, dass der Tag ein fordernder werden wird – für alle Beteiligten. Neos-Fraktionsführerin Stephanie Krisper beginnt mit ihren Fragen. Blickkontakt mit Kurz ist ihr sichtlich unangenehm – die Abneigung beruht allerdings auf Gegenseitigkeit, wie Kurz später klarmacht.
Formal gesehen hat Krisper wie jeder Abgeordnete pro Runde sechs Minuten zum Fragen. Doch aus diesen 360 Sekunden werden mehr als drei Stunden. Das klingt unglaublich, insofern muss man das wohl erklären: Die Stoppuhr läuft nur bei inhaltlichen Fragen, nicht bei Diskussionen über die Geschäftsordnung oder die Zulässigkeit von Fragen. Doch genau das gibt es an diesem Tag zuhauf.
Entschlagung
Ein wesentlicher Grund: Kurz ist nach wie vor Beschuldigter in Strafverfahren, es geht unter anderem um den Vorwurf der Falschaussage vor dem U-Ausschuss. Als Beschuldigter hat man das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Doch weil dem so ist, steht der Ausschuss schnell vor einem technischen Dilemma: Ausgerechnet der, der am ehesten über echte oder vermeintliche Malversationen der ÖVP Bescheid weiß bzw. wissen müsste, hat in den Augen des Verfahrensrichters das Recht, sich zu entschlagen.
Zurück zu den Befragungen: Krisper versucht – wie später die Vertreter der SPÖ – eine ganze Reihe an Themen anzuschneiden.
Was wusste Kurz von der Beinschab-Affäre? Antwort Kurz: „Ich habe Beinschab nie zum Gespräch getroffen, ich kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen.“
Was sagt er zu Nebenabsprachen, wonach die ÖVP ein Nominierungsrecht für zentrale Staatsposten hatte? Antwort Kurz: Sideletter seien in allen Regierungskonstellationen Usus.
Am konkretesten wird der Ex-Kanzler bei der Frage, ob und inwieweit er politisch übersehen habe, dass sich Österreich in eine zu große Abhängigkeit von russischem Gas begeben habe. Kurz: Vor dem „Angriffskrieg“ sei Russland über Jahrzehnte hinweg ein verlässlicher Partner gewesen; die Abhängigkeit von Moskau habe vor seiner Kanzlerschaft bis zu 97 Prozent betragen; und überhaupt sei es immer einfach, die Geschichte von hinten zu lesen.
Nachdem Kurz gegangen ist – die Opposition und die Grünen wollen ihn abermals laden – wird dessen Vertrauter und Ex-VP-Generalsekretär Axel Melchior befragt. Auch bei ihm gestaltet sich das aber einigermaßen schwierig. Die ÖVP hält nämlich sogar die Eingangsfragen des Verfahrensrichters für nicht zulässig.
Das wird in einer weiteren der gefühlt unzähligen Stehungen des Tages geklärt. Dennoch möchte sich Melchior entschlagen, da es in der entsprechenden Causa eine Anzeige gegen ihn geben soll. Es folgt: Eine Debatte, ob diese Angabe als Entschlagungsgrund ausreicht, oder nicht. Sie bleibt, wie so vieles andere an diesem Tag, ungeklärt. Der Richter zieht seine Frage zurück.