Bundesheer vor Bankrott: Der letzte Warnschuss
Von Armin Arbeiter
Maximilian Felsberger will für den Kampf bereit sein, soviel steht fest. „Ich will entweder Infanterist oder Panzermann werden“, sagt er zum KURIER, und das ist zunächst für ihn nicht wirklich ungewöhnlich.
Immerhin ist der 21-Jährige Fähnrich, also angehender Berufsoffizier an der Theresianischen Militärakademie. Und es müsste schon einiges schief laufen, damit der junge Tiroler in drei Jahren nicht als Offizier ausmustert.
Weitgehend offen ist freilich, ob Felsberger auch tatsächlich bestmöglich auf einen Ernstfall vorbereitet sein wird. Denn sollte die nächste Bundesregierung wirklich umsetzen, was das Bundesfinanzrahmengesetz – also das Budget – vorsieht, dann sieht es mit dem Training der angehenden Fähnriche mau aus (Grafik).
Werden sie und ihre Kameraden nach der Ausbildung in geschützten Fahrzeugen von A nach B transportiert? Eher nicht.
Wird Felsberger in einem Leopard-Kampfpanzer ausreichend viele Trainingsstunden absolvieren, um in der Echt-Situation auch zu bestehen? Wohl kaum.
Denn die finanzielle Situation des Heeres ist trist – und wird spätestens 2030 blamabel.
Mann klarer Worte
„Im Grunde wäre 2030 keine Waffengattung des Bundesheers mehr einsatzfähig“, sagt Verteidigungsminister Thomas Starlinger bei der Präsentation seines Zustandsberichts „Unser Heer 2030“.
Starlinger ist ein Mann der klaren Worte, er will nichts beschönigen, nichts zudecken. Und damit sich auch Nicht-Soldaten vorstellen können, was passiert, wenn nichts passiert, erzählt er gleich von einem totalen Blackout, ausgelöst durch Cyberangriffe: „Stellen Sie sich vor, alles ist dunkel. Auf der Straße gilt das Recht des Stärkeren.“
In den nächsten zehn Jahren, sagt Starlinger, würden solche Szenarien wahrscheinlicher. Er sagt Sätze wie „Die Welt wird gefährlicher.“ Doch wer sich darauf verlässt, dass die Armee in solchen Krisen die Bevölkerung schützen und die Ordnung aufrecht erhalten kann, den enttäuscht der Minister: „Das ist nur noch beschränkt möglich.“
Miliz nicht ausgerüstet
Was nötig wäre, ist schnell erzählt: Insgesamt 55.000 Soldaten müssten auf Basis eines Milizsystems für die Aufgaben der Landesverteidigung zuständig sein. Das schätzen die Experten im Ministerium.
Das Problem: Schon jetzt ist die Miliz weitgehend ausgehungert: Es fehlen Nachtsichtgeräte und Fahrzeuge, um im Ernstfall rasch vor Ort zu sein. Starlingers Fazit: „Dass die Miliz weder ausgerüstet noch ausgestattet wird und dann in den Einsatz müsste, halte ich für verantwortungslos und unmoralisch.“
Das fehlende militärische Gerät ist die eine Sache.
Die andere ist, dass auch der Katastrophenschutz leidet: Denn in den vergangenen Jahren hat sich ein erheblicher Investitionsrückstau aufgebaut.
Was aber heißt das in der Praxis? „Einen Katastrophenschutz wie beim Hochwasser 2002 könnten wir heute nicht mehr leisten“, sagt der Minister.
Allein die Pioniertruppe, die unter anderem beschädigte Brücken reparieren oder im Katastrophenfall sogar neue legen sollte, würden in den nächsten zehn Jahren mehr als eine Milliarde Euro benötigen, um nach den Vorgaben der Verfassung einsatzfähig zu sein. Brückensysteme gäbe es schon vor 2022 keine mehr – vorausgesetzt, es gibt kein frisches Geld.
Insgesamt betrachtet heißt das: In Sachen Katastrophenhilfe ist das Heer derzeit nur zu 75 Prozent einsatzfähig; 2030 könnten es nur noch 30 Prozent sein.
Keine Drohnenabwehr
Angesichts dieser Zahlen ist es nicht überraschend, dass das Heer auch bei neuen Bedrohungen wie Drohnen-Angriffen nur bedingt handlungsfähig erscheint. „Die Drohnenabwehr ist eine ganz große Baustelle“, sagt Starlinger. „Außer ein paar Sensoren haben wir nichts.“
Auch hier ein paar Zahlen: Von rund 300 Schutzobjekten, die als kritische Infrastruktur im Krisenfall geschützt werden müssten, könnte man mit der derzeitigen Ausrüstung nur ein halbes (!) Objekt schützten.
Nur Schwarzmalerei? Mitnichten. Immerhin hat der Angriff auf die saudische Ölraffinerie erst diese Woche gezeigt, dass Drohnen in der modernen Kriegsführung und im Terrorismus eine realistische Bedrohung darstellen. Und damit Minister Starlinger auch wirklich verstanden wird, sagt er: „Es wäre ein Leichtes, einen Drohnenangriff auf die Raffinerie in Schwechat oder auf Gasverteilerstationen in Baumgarten zu fliegen.“
Zurück zum alten System
Für Starlinger gibt es nur einen Weg, um die Schwierigkeiten zu überwinden: Mehr Budget und das alte System müssen wieder her.
Soll heißen: Nach ihrem sechsmonatigen Grundwehrdienst sollen die Rekruten zwei Monate an Milizübungen teilnehmen. „Sie sind nach sechs Monaten ausgebildet und gerade einsatzfähig“, sagt der Minister.
Die düsteren Prognosen sorgen in anderen Ministerien für Unmut: Starlinger betreibe zu viel Budgetpolitik und verkenne seine Rolle, heißt es bisweilen.
Und was ist mit Felsberger und seinen Kameraden? „Ich bin extrem motiviert“, sagt der angehende Offizier. „Vermutlich ist es heute noch wichtiger als vor zehn Jahren, starke Führungskräfte zu haben. Immerhin haben Instabilität und Terrorgefahr zugenommen.“ Fähnrich Felsberger ist also optimistisch. Das ist nicht viel. Aber für angehende Offiziere immerhin etwas.
Starlingers zehn "Prinzipien"
Verteidigungsminister Thomas Starlinger stellt im Zustandsbericht zehn Prinzipien auf, durch die sich das Bundesheer weiterentwickeln könnte:
- Die Schutzoperation (etwa Schutz kritischer Infrastruktur, Anm.) ist die zeitgemäße Form der militärischen Landesverteidigung. Sie ist unsere Antwort auf hybride Bedrohungen.
- Österreich muss militärisch wieder ein verlässlicher Partner in Europa werden.
- Luftraum und Cyberspace müssen permanent geschützt werden. Sie sind Teil der Souveränität Österreichs.
- Die Rahmenbedingungen für die österreichische Sicherheit verschlechtern sich zunehmend. Wir müssen auch im militärischen Bereich wieder vermehrt in die Sicherheit investieren.
- Unsere Streitkräfte funktionieren auch unter Extrembedingungen. Dazu sind Autarkie, Durchhaltefähigkeit und Widerstandskraft zwingende Voraussetzungen.
- Unsere Soldaten verdienen den bestmöglichen Schutz im Einsatz. Moderne Schutzwesten, Kampfhelme, Nachtsichtgeräte und gepanzerte Fahrzeuge sind dazu überlebensnotwendig.
- Unsere Miliz ist Voraussetzung für eine funktionierende Landesverteidigung – ihre Einsatzfähigkeit muss wieder hergestellt werden. Die Voraussetzung dafür ist ein Wehrdienst von zumindest acht Monaten und verpflichtende Truppenübungen.
- Die Schutzoperation erfordert ein zeitgemäßes, durchsetzungsfähiges Bundesheer.
- Ohne dringend notwendige Investitionen kann das Bundesheer die Bevölkerung nicht mehr schützen. Dies erfordert eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsbudgets mit einer Balance zwischen Personal, Betrieb und Investitionen.
- Unser Bundesheer benötigt zur Erfüllung der Schutzoperation mindestens ein Prozent des BIP (derzeit ca vier Mrd. €) . Für die Abwehr konventioneller Gegner wären zwei Prozent erforderlich.