Politik/Ausland

Kurz drängt EU zu "grünem Pass", Anschober zurückhaltend

Israel hat es vorgemacht: Mit einem „Grünen Pass“, also einem digitalen Impfnachweis auf dem Handy, ist im Land fast alles wieder möglich. Auch das Reisen – denn Griechenland und Zypern haben Abkommen geschlossen, wonach geimpfte israelische Bürger ab Mitte März wieder ohne Quarantäne in die beiden südosteuropäischen Länder einreisen und urlauben dürfen.

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Ein ähnlicher Grüner Pass schwebt auch Bundeskanzler Sebastian Kurz für Europa vor. Mit solch einem Impfnachweis könne man "frei reisen, geschäftlich uneingeschränkt unterwegs sein, Urlaub machen und Gastronomie, Kultur, Veranstaltungen und anderes endlich wieder genießen", sagte er im Vorfeld der am Donnerstagnachmittag beginnenden Videokonferenz der EU-Staats- und Regierungschefs. Ein Impfpass als eine Art Ticket zurück in ein normales Leben wird neben den Engpässen bei den Impfstoffdosen heute das am heißesten diskutierte Thema beim Gipfel sein.

Es brauche "einen Grünen Pass für jeden, der geimpft ist, oder gerade Corona hatte und dadurch immun ist, oder einen neuen Test gemacht hat", sagte Kurz. Er werde diesen Vorschlag beim EU-Gipfel einbringen und hoffe auf eine europäische Lösung. Sollte das nicht gelingen, werde man das Projekt "national angehen".

"Wir brauchen innerhalb der Europäischen Union die Reisefreiheit wieder zurück", betonte Kurz. Ein EU-weit geltender Grüner Pass könne "eine gute Basis dafür darstellen, dass wir ordentlich durch den Sommer kommen". Israel habe bereits ein ähnliches System, insofern "erwarte" er sich, "dass wir das auch in Europa umsetzen". Technisch sei es leicht machbar. Es solle eine digitale Lösung sein: jeder solle sich mit dem Handy ausweisen können.

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Kanzler Kurz für europäischen Impfnachweis

Kurz reiht sich damit in die Riege der Regierungschefs von Griechenland, Portugal und Spanien ein, die schon seit Längerem vehement einen europäischen Impfnachweis einfordern. Bereits Ende Jänner wurden in Brüssel Richtlinien verabschiedet, wie so ein Impfnachweis technisch aussehen könnte – digital und in Papierform. Experten in Estland erarbeiten zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Plan, bis Ende Mai soll er fertig sein. Einige skandinavische Länder legten mittlerweile schon selbst los: Schweden und Dänemark planen einen digitalen Impfpass bis zum Sommer.

Deutschland bremst

Doch es gibt auch Bremser: Frankreich hat Bedenken. Deutschland fürchtet eine Zwei-Klassen-Gesellschaft – auf der einen Seite die Geimpften mit den wieder gewonnenen Freiheiten und auf der anderen Seite die Menschen ohne Impfung gegen das Coronavirus.

Wenig Einigkeit herrscht unter den europäischen Regierungschefs weiterhin auch bei den Grenzkontrollen oder gar Sperren. Trotz der Rüge der EU-Kommission wird Deutschland seine fast durchgehende Sperre gegen Tirol bis 3. März aufrecht halten. Kurz ist darüber nach wie vor verärgert: Er pocht auf einheitliche Standards für Reisen und den Güterverkehr innerhalb der EU. „Der Binnenmarkt muss weiterhin funktionieren trotz der Pandemie, um unseren Wohlstand und Arbeitsplätze zu erhalten. Dafür braucht es einheitliche Standards für Pendler, den Güterverkehr und Reisen“, sagte der Kanzler. Auf dem Papier hatten sich die EU-Staaten eigentlich geeinigt: Auf „alle nicht notwendigen Reisen“ solle verzichtet werden – aber ebenso auf einseitige Grenzsperren.

Geteilt wird hingegen die große Sorge vor den Virus-Varianten und der Gefahr einer drohenden dritten Pandemiewelle. Umso heftiger drängen die Regierungschefs auf schnellere Lieferung der Impfstoffe und vor allem Erhöhung der Produktionskapazitäten. Die Zulassung eines vierten Corona-Impfstoffes in der EU – jener von Johnson & Johnson – wird noch für März erwartet.

Anschober zurückhaltend

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erklärte sich am Mittwochabend auf Puls24 pro europäischen Impfpass. Die Frage - der Pass als "Türöffner für eine Ungleichbehandlung in der Gesellschaft, so wie es in Israel der Fall ist" -, sei eine "hochpolitische, ethische Frage" und eine "spannende Diskussion", die zu führen sei.

Anschober ergänzte, "ob wir das wollen, hängt auch davon ab, wie groß der Anteil der Geimpften tatsächlich ist". Im APA-Interview hatte Anschober zuvor erklärt, eine Entscheidung über Erleichterungen für Geimpfte - wie etwa in Israel - werde in Österreich nicht vor April fallen.

Hacker: "Ein echter Tabubruch"

Ähnlich zurückhaltend äußerte sich auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zur Frage nach möglichen Freiheiten für Geimpfte. "Wenn ich jetzt hören, dass vier Prozent der Bevölkerung geimpft sind, (...) wir alle wollen uns impfen lassen. Solange nur vier Prozent die Möglichkeit dazu haben, weil die Organisation so schleppend ist und es die Impfstoffe noch nicht gibt, dann stellt sich die Diskussion nicht", erklärte sie im Puls24-Interview. Denn das wäre eine Schlechterstellung jener, die sich zwar impfen wollen, aber es nicht konnten. Außerdem müssten die wissenschaftlichen Daten eindeutig belegen, dass ein Geimpfter das Virus nicht weitergebe.

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sagte in Puls 24 man müsse eine "tiefgreifende Diskussion" führen, ob es Einschränkungen für Nicht-Geimpfte geben dürfe, weil es viele ansteckende Krankheiten gebe, bei denen "nie jemand auf die Idee kommen" würde, so etwas zu tun. "Es ist ein echter Tabubruch", sagte Hacker.

FPÖ poltert

Von der oppositionellen FPÖ kam scharfe Kritik für den Vorstoß des Kanzlers. "Testzwang, Impfzwang, Kennzeichnungszwang. ÖVP-Kanzler Kurz kommt aus dem Träumen der Volksüberwachung nicht mehr heraus", teilte die FPÖ-EU-Sprecherin Petra Steger am Mittwochabend in einer Aussendung mit. Als "geradezu grotesk" wertete die Nationalratsabgeordnete die Argumentation von Kurz, dass er so zu einem Maximum an Freiheit gelangen wolle, zumal es sich um eine "Corona-Vollüberwachung" handle.