Vergewaltigte 14-Jährige musste in Polen Abtreibung erkämpfen
Von Jens Mattern
Der polnische Gesundheitsminister sprach am Dienstag ein scheinbares Machtwort. „Es gibt hier nichts zu diskutieren“, erklärte Adam Niedzielski zum Fall einer schwangeren 14-Jährigen. Das geistig behinderte Mädchen aus der strukturschwachen Region Podlasie war von ihrem Onkel vergewaltigt worden. Doch in mehreren örtlichen Kliniken lehnten die Ärzte eine Abtreibung ab – aus Gewissensgründen.
Der Gesundheitsminister verwies auf die polnische Rechtssprechung. Demnach haben Frauen nach einer Vergewaltigung oder bei schwerer Gefahr für Gesundheit und Leben der Schwangeren ein Anrecht auf einen Abort in einem staatlichen Krankenhaus. Doch die Jugendliche konnte erst abtreiben lassen, nachdem sich ihre Tante bei der Frauenrechtsvereinigung „Federa“ gemeldet hatte. Diese konnte dann einen Termin in einer Klinik in Warschau organisieren.
Der Fall schlug in Polen kleinere mediale Wellen, als man annehmen würde. Viele Gegner der seit 2015 regierenden nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) scheinen sich mit dem Status quo abgefunden zu haben. Polen hat Anfang 2021 das Abtreibungsrecht noch einmal verschärft – auch schwer beschädigte Föten müssen seitdem ausgetragen werden.
Einfluss der Kirche
Die polnische Regierung unter Mateusz Morawiecki ist stark mit der katholischen Kirche verbunden, der über 90 Prozent der Bevölkerung angehören. Die katholischen Geistlichen geben klare Wahlempfehlungen, im Gegenzug erwarten erzkatholische Organisationen wie „Ordo Iuris“ Gegenleistungen, etwa in Form von Paragrafen, die Abtreibungen erschweren. Im Jahr 2021 sollen nach Angaben von „Federa“ nur 107 offizielle Abtreibungen in Polen stattgefunden haben, zwei Jahre zuvor waren es rund zehn Mal so viele.
Laut Berichten polnischer Medien gebe es in Woiwodschaften (Bundesländern, Anm.), die von der PiS regiert werden, seit 2020 gar keine Abtreibungen mehr. Denn Ärzte können dank einer Gewissensklausel den Abbruch ablehnen, so geschehen bei der besagten 14-Jährigen. Allerdings müssten sie eigentlich auf ein anderes Krankenhaus verweisen, wo der Abort umgesetzt werden kann, was nicht geschehen ist.
Immer mehr Frauen auf den Kleiderbügel angewiesen
In den Krankenhäusern fürchtet sich das medizinische Personal vor dem Protest katholischer Organisationen, die sich auch gegen die letzten beiden Klauseln wenden, bei der eine Abtreibung legal ist. Auch die Organisation „Federa“ hält die Gewissensklausel für „politisch motiviert“ und fordert ihre Abschaffung. Umfragen zufolge sind inzwischen rund 70 Prozent der Polen für die Möglichkeit einer Abtreibung bis hin zur 12. Schwangerschaftswoche.
Um heimliche Abtreibungen zu verhindern, erließ die Regierung im Oktober eine Registrierungspflicht für Schwangere. Immer mehr Polinnen lassen trotzdem für teures Geld illegal im Inland oder im Ausland abtreiben. Jenen Frauen, die sich das nicht leisten können, bleibt oft nur der Kleiderbügel als letzte Abtreibungshilfe. Er ist daher zum Symbol der polnischen Frauenrechtlerinnen geworden.