Lange war das Verhältnis mit dem östlichen Nachbarn entspannt, die russische Invasion in der Ukraine hat die Regierung in Helsinki jedoch bewogen, im Juni die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen. Diese Übung ist ohne NATO-Soldaten geplant, doch in Zukunft wird es noch mehr Kooperation mit dem Westen geben. Mit der Ukraine teilen die Finnen eine ähnliche Erfahrung – am 30. November 1939 griff die Rote Armee Finnland an. Im sogenannten „Winterkrieg“ konnte sich das kleine Land lange erfolgreich verteidigen, bis Helsinki im März 1940 zu Gebietsabtretungen bereit war.
„Gleich knallt es“
Bei einer möglichen russischen Aggression in naher Zukunft gebe es jedoch einen Unterschied – der finnische Feldwebel wartet auf einen Panzerangriff, allerdings: „Die heutigen Panzer sind viel größer als damals, diese Bäume hier stellen kein Hindernis dar.“ Somit kann Russland an jeder Stelle der 1.340 Kilometer langen zumeist bewaldeten Grenze zuschlagen. Es gebe allerdings eine Parallele zu der finnischen Taktik von vor 83 Jahren. „Wir attackieren, ziehen uns zurück und wiederholen das“, so Lokkala, dies werde auch jetzt geübt.
Noch ehe die „Gelben“ die finnischen Jäger fordern, erscheint der Oberbefehlshaber der Streitkräfte des nordischen Landes, Staatspräsident Sauli Niinistö, zur Manöverinspektion. Er ist wie seine Entourage aus Offizieren in einen weißen Kampfanzug gehüllt und stellt unvermittelt Fachfragen an die Soldaten. „Gleich knallt es“, meint er abschließend.
Die Konfrontation dürfen die Pressevertreter jedoch nicht erleben, sie werden mit dem Bus zu den im Wald gelegenen Holzbaracken des Sotinpuro-Übungsgeländes gefahren. Dort erscheint auch Niinistö, für ihn wurde im Offizierskasino ein Hintergrund aus weißer Tarnfarbe mit grauen Sprenkeln für die Pressekonferenz aufgehängt.
„Sisu“ – mentale Stärke
Auf die Frage des KURIER, ob er beim Militär wie in der Zivilbevölkerung ein erhöhtes Bewusstsein über eine russische Invasion feststelle, verweist Niinistö auf eine „andersartige Geisteshaltung in Finnland“, die sich über Jahrzehnte entwickelt habe. „Das bedeutet, dass Sicherheit die wichtigste Sache ist. Wir hatten ein Problem in der Vergangenheit. Und diese Frage, so denke ich, hat sich nicht verändert, sie ist nur sichtbarer geworden, durch die russische Invasion in der Ukraine.“
Der 74-jährige Konservative gilt als beliebt. Und es scheint, als ob finnische Pressevertreter, Präsident und Soldaten eine Einheit bilden. Wohl typisch für das Land.
Als typisch finnisch gilt auch das Wort „Sisu“, welches besonders wichtig für die Armee sei. Markku Karponen, ein Bär von einem Mann und Offizier der Reserve, meint beim gemeinsamen Eintopf-Essen, dass es eine mentale Stärke bedeute, man gebe nicht auf. Karponen gibt bei dem Manöver einen besonderen „Nachrichtenoffizier“ – er streut „Fake News“ über Positionen und Koordinaten, die Soldaten müssten diese dann als solche erkennen. Der Mittfünfziger hat als Reservist als Major den höchsten Rang in den finnischen Streitkräften erreicht. Warum tut er das? „Alles für mein Land“, meint er und hält dabei seine Faust vor die Brust.
Auch Frauen unter den Streitkräften
„Ich will mein Land verteidigen“, sagt auch Reservistin Katariina Räsänen. Die 23-jährige Unteroffizierin liegt mit ihrem Sturmgewehr im Anschlag auf dem verschneiten Waldboden. Auch Frauen können den Streitkräften beitreten, sie durchlaufen die gleiche Ausbildung, wie die der wehrpflichtigen Männer.
20 Prozent der weiblichen Freiwilligen brechen ab, weil sie es körperlich nicht durchstehen. „Es ist hart“ gesteht die Studentin der Ingenieurwissenschaften. Ab und an donnert es – Artillerie-Manövermunition, dazu knattert ein Maschinengewehr irgendwo im kalten Forst.
„Albtraum“
Der Bus bringt die Journalisten schließlich zurück in die Provinzstadt Nurmes. Am Ortseingang liegt der Soldatenfriedhof. Ein Feld beherbergt die Gefallenen des Winterkrieges (1939-1940) und eines die Toten der folgenden Kriegshandlungen (1941-1945). „All das waren Einwohner der Stadt“, sagt eine ältere Frau. Und sie ist hier die erste Person, die es offen ausspricht: „Ja, ich habe Angst vor Putin.“
„Einen Albtraum“ nennt ein älterer Verkäufer mit dem Vornamen Teppo im Sportladen eine mögliche Invasion aus Russland – nachdem er zuerst über das baldige Eisfischen und die Eisdicke auf dem Pielinen-See gesprochen hat. „Unsere gute Armee und die NATO-Mitgliedschaft bildet bald eine Mauer gegen die Russen“, hofft er.
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