Kein russischer Vormarsch, aber viele tote Zivilisten
Von Johannes Arends
Tag 21 im Krieg zwischen Aggressor Russland und der Ukraine. Drei Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine scheint sich erstmals die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung abzuzeichnen. Von russischer Seite hieß es, wenn die Ukraine eine Neutralität nach dem Vorbild Österreichs oder Schwedens akzeptieren würde, würde man sich einem eventuellen Frieden annähern.
Doch laut Experten ist das eine Option mit vielen Tücken.
Während Vertreter beider Seiten also weiter verhandelten, tobte der Krieg im Land am Mittwoch weiter. Zwar konnten die russischen Truppen ukrainischen Angaben zufolge nirgendwo weiter vorrücken, in den umkämpften Gebieten gab es aber wieder Schusswechsel, Bombardements – und Tote. Unter dem Artilleriebeschuss leiden vor allem Zivilisten: Seit Kriegsbeginn sollen zwei Drittel der russischen Raketen Wohngebiete getroffen haben, heißt es aus Kiew. Russland bestreitet den Beschuss ziviler Ziele.
Doch schon in der Früh gab es aus Kiew Berichte über neuerliche Explosionen in Wohngebieten, im Verlauf des Vormittags soll es zu weiteren Raketeneinschlägen gekommen sein, vor allem im Westen der Hauptstadt. Auch in der schwer bombardierten Millionenstadt Charkiw ging der Beschuss weiter.
Zivilisten auf offener Straße hingerichtet
Eine außergewöhnliche Gräueltat soll sich in Tschernihiw ereignet haben, knapp 120 km nördlich von Kiew: Russische Soldaten sollen dort mindestens zehn Zivilisten auf offener Straße erschossen haben, die sich für Nahrungsrationen angestellt hatten. Der ukrainische TV-Sender Suspilne veröffentlichte Fotos von dem Vorfall. Eine unabhängige Überprüfung ist nicht möglich.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte veröffentlichte am Nachmittag allerdings die Zahl jener Zivilsten, deren Tod seit Kriegsbeginn nachgewiesen werden konnte: Dokumentiert sind 726 zivile Opfer, darunter 42 Kinder und Jugendliche. Die Leiterin der Behörde, Michelle Bachelet, betonte allerdings, dass die Dunkelziffer wohl deutlich höher liege.
Odessa wohl nächstes großes Ziel
Im Süden des Landes bleibt die Lage ebenfalls umkämpft. So gab es neuerlich Kämpfe in den Städten Mikolajiw, Saporischschja, vor allem aber in der seit Tagen belagerten Hafenstadt Mariupol. Russische Soldaten sollen dort ein Krankenhaus unter ihre Kontrolle gebracht haben und rund 400 Patienten und Mitarbeiter als Geiseln halten.
Mariupol gilt als eine der am schwersten getroffenen Städte, die Evakuierung der Einwohner gestaltet sich als enorm schwierig. Am Dienstag hatten noch 20.000 Zivilisten das Gebiet verlassen können, am Mittwoch war es dann erneut „unmöglich, Menschen gefahrlos herauszuholen“, erklärte die ukrainische Vize-Regierungschefin Irina Wereschtschuk.
Als nächstes großes Ziel des russischen Vormarschs gilt die Schwarzmeer-Metropole Odessa, in deren Luftraum am Nachmittag zwei russische Kampfflugzeuge abgeschossen worden sein sollen. Vor der Küste sollen sich zudem Kriegsschiffe in Stellung bringen. Sollte Odessa an die russische Armee fallen, hätte sie die gesamte Küste erobert.