Nach Attentat: Slowakischer Regierungschef Fico ist ansprechbar
Der angeschossene slowakische Regierungschef Robert Fico ist ansprechbar, berichtete der designierte Staatspräsident Peter Pellegrini am Donnerstag. Er selbst habe mit Fico sprechen können, sagte er nach einem Besuch im Krankenhaus in Banská Bystrica, wo der schwer verletzte Politiker betreut wird. Pellegrini bestätigte, dass der Zustand Ficos "nach wie vor ernst" sei.
Mit dem Attentat sei eine "rote Linie" überschritten worden, erklärte der gewählte Staatspräsident. "Der Regierungschef ist dem Tod um Haaresbreite entgangen, es hätte genügt, wenn die Schusswunde oder mehrere Schusswunden ein paar Zentimeter weiter gelegen seien, und wir müssten heute vielleicht über ganz andere Dinge reden."
Die Situation des Regierungschefs sei weiter sehr kritisch. "Ich habe mit ihm nur einige Minuten gesprochen, weil die Ärzte mich um einen kurzen Besuch gebeten haben." Vor Fico "liegen schwierige Stunden und Tage", sagte Pellegrini. "Es war ein sehr persönliches Gespräch, er war sehr müde. Es war nicht möglich, mit ihm länger oder über Politik zu sprechen."
Pellegrini, ein politischer Verbündeter Ficos, sagte weiter, er hoffe, dass der Regierungschef in den nächsten Tagen wieder Entscheidungen werde treffen können. Bis dahin werde ihn einer seiner Vizepremiers vertreten, so Pellegrini. Er übernimmt Mitte Juni das Amt des Staatsoberhaupts von der scheidenden Präsidentin Zuzana Čaputová.
Die Slowakei im Schockzustand
Das Attentat vom Mittwoch hatte das EU- und NATO-Land Slowakei in einen Schockzustand versetzt und löste international Bestürzung aus. Der 71-jährige Schütze soll ein Einzeltäter sein. Die scheidende Staatspräsidentin Čaputová und ihr gewählter Nachfolger Pellegrini luden am Donnerstag die politischen Parteien zu Beratungen ein.
"Lassen Sie uns aus dem Teufelskreis des Hasses und der gegenseitigen Beschuldigungen aussteigen", appellierte Čaputová. Der Anschlag sei zwar eine individuelle Tat gewesen. "Aber die angespannte Atmosphäre des Hasses war unser gemeinsames Werk."
Die Tat soll politisch motiviert sein
Bei der live im Fernsehen übertragenen Rede traten Čaputová und Pellegrini demonstrativ gemeinsam auf. Pellegrini rief die politischen Parteien auf, ihren Wahlkampf vor der Europawahl am 9. Juni vorerst auszusetzen oder zumindest einzuschränken, bis sich die Lage beruhigt hat.
Innenminister Matúš Šutaj Eštok beschrieb den Attentäter als "einsamen Wolf, der sich zuletzt im Präsidentschafts-Wahlkampf radikalisiert hat". Die Tat sei politisch motiviert, der 71-Jährige aber kein Mitglied irgendeiner politischen Gruppierung, so der Minister am Donnerstag nach der Sitzung des Sicherheitsrats in Bratislava. Dem Mann werde Mordversuch vorgeworfen.
Fico wurde von vier Kugeln getroffen
Medienberichten zufolge soll Juraj C. in der Vergangenheit für einen privaten Sicherheitsdienst gearbeitet und deshalb einen Waffenschein besessen haben. Die Tatwaffe habe er legal besessen. Er soll auch als Schriftsteller tätig gewesen sein und mehrere Gedichtbände veröffentlicht haben.
Ficos Leben sei nach wie vor noch nicht gerettet, so der Innenminister. "Wir können noch nicht sagen, dass wir gewinnen oder dass die Aussichten positiv sind", betonte er. Das Krankenhaus in Banská Bystrica, wo der Regierungschef am Mittwochabend notoperiert worden war, hatte zuvor mitgeteilt, Fico sei zunächst außer Lebensgefahr, sein Zustand aber weiter ernst.
Verteidigungsminister Robert Kaliňák sagte nach der Sondersitzung des Sicherheitsrats, Fico sei von vier Kugeln getroffen worden. Die Verletzungen seien sehr schwerwiegend. "Den Ärzten ist es gelungen, den Zustand zu stabilisieren", sagte Kaliňák. Fico sei aber noch nicht außer Lebensgefahr. "Wir haben eine schwere Nacht hinter uns", meinte der stellvertretende Regierungschef. Kaliňák gilt als enger Vertrauter Ficos und ist auch in der Linkspartei Smer sein Stellvertreter.
Experten übten Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen
Die Behörden prüfen, ob die Personenschützer Fico nicht ausreichend geschützt haben. Entsprechende Ermittlungen "wegen Behinderung der Aufgaben eines Amtsträgers" seien bereits am Mittwoch eingeleitet worden, sagte eine Behördensprecherin der Nachrichtenagentur TASR am Donnerstag.
Mehrere slowakische Experten hatten Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen geübt. Sie rügten unter anderem, dass die Leibwächter unmittelbar nach dem Attentat chaotisch vorgegangen seien.
Fico war am Mittwoch um etwa 14.30 Uhr von dem Attentäter angeschossen worden, als er sich nach einer Kabinettssitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlová ins Freie begab, um wartende Anhänger zu begrüßen. Nach Augenzeugenberichten soll der Täter den Politiker laut zu sich gerufen und dann aus unmittelbarer Nähe fünf Schüsse auf ihn abgegeben haben.
"Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu"
Der TV-Nachrichtensender TA3 und andere Medien bekamen eine Videoaufnahme aus der Polizeistation zugespielt. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßliche Attentäter: "Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu."
Als Beispiel nannte er mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Medienreform, gegen die seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren.
Fico hatte erst vor Kurzem der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat komme.
Geplante politische Aktionen abgesagt
Innenminister Šutaj Eštok kündigte verstärkten Polizeischutz für Politiker, aber auch Journalisten an. Zugleich rief er Medien, Politiker aller Lager und die Öffentlichkeit auf, mit der "Hetze gegen politische Gegner in sozialen Medien" aufzuhören. In ähnlichem Sinn hatte sich davor auch schon Präsidentin Zuzana Čaputová geäußert.
Der liberale Oppositionsführer Michal Šimečka sagte am Mittwochabend alle geplanten politischen Aktionen für unbestimmte Zeit ab. Das betreffe auch eine für Mittwochabend geplante Demonstration gegen die Regierung in Bratislava, sagte er vor Journalisten im Parlament. Eine am Mittwoch laufende Parlamentssitzung wurde schon davor für unbestimmte Zeit unterbrochen.
Seit Oktober amtiert Fico zum bereits vierten Mal seit 2006 als Premier. In Koalition unter anderem mit der rechtsnationalistischen, kremlnahen SNS vertritt er eine russlandfreundliche Politik und versucht, die Medienlandschaft umzubauen.
Wiederholt stellte er sich im Wahlkampf gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine, gegen eine Fortsetzung der EU-Sanktionen gegen Russland, die viele Slowaken als Ursache für teure Energie und ständig steigende Preise sehen. Wiederholt versicherte er, er werde das Land vor einer erneut aufkommenden Migrationswelle schützen. Fico werde die Slowakei unausweichlich auf Orbán-Kurs bringen, warnten seine Widersacher. Andere Beobachter argumentieren, Fico sei vor allem ein Pragmatiker, dem voll bewusst sei, wie wichtig die Verankerung des Landes in EU und NATO sei.
Reaktionen
Präsidentin Zuzana Čaputová verurteilte den "brutalen und rücksichtslosen" Angriff auf den Premierminister aufs Schärfste. "Ich bin schockiert. Ich wünsche Robert Fico viel Kraft, um sich in diesem kritischen Moment von dem Angriff zu erholen."
"Das Attentat auf den Premierminister ist eine Bedrohung für alles, was die slowakische Demokratie bisher ausgezeichnet hat", sagte der künftige slowakische Präsident Peter Pellegrini. "Ich bin entsetzt darüber, wozu der Hass auf eine andere politische Meinung führen kann. Wir müssen nicht mit allem einverstanden sein, aber es gibt viele Möglichkeiten, unsere Meinungsverschiedenheiten auf demokratische und legale Weise auszudrücken."
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schrieb auf der Plattform X (früher Twitter): „Der Anschlag auf das Leben meines slowakischen Kollegen Robert Fico schockiert mich zutiefst. Erst vor wenigen Tagen haben wir telefoniert und intensiv über Sicherheitsthemen gesprochen. Ich wünsche ihm rasche und vollständige Genesung! Hass und Gewalt dürfen in unseren Demokratien nicht Platz greifen und müssen mit aller Entschlossenheit bekämpft werden!“
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat den "abscheulichen Angriff" scharf verurteilt. "Solche Gewalttaten haben keinen Platz in unserer Gesellschaft und untergraben die Demokratie, unser höchstes gemeinsames Gut."
"Gewalt kann nicht toleriert werden", kommentierte der tschechische Premierminister Petr Fiala die Schüsse auf Robert Fico. Er sagte, die Nachricht von den Schüssen sei schockierend und wünschte Fico, dass er so schnell wie möglich wieder gesund wird.
"Die Nachricht von den Schüssen auf den slowakischen Premierminister Robert Fico ist schockierend. Ich wünsche dem Ministerpräsidenten, dass er bald wieder gesund wird. Gewalt darf nicht toleriert werden, sie darf keinen Platz in der Gesellschaft haben", sagte Fiala.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte das Attentat im Nachbarland aufs Schärfste. "Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit Gewalt in keinem Land, in keiner Form oder Sphäre zur Norm wird", teilte Selenskyj via X mit. Die Ukraine sei solidarisch mit der Slowakei und wünsche Fico rasche Genesung. Russlands Präsident Wladimir Putin ließ über Telegram wissen: "Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen."