Ostukraine-Krieg: Putin und Selenskyj erstmals am Verhandlungstisch
Bei seinem flotten Gang in den Élysée-Palast zeigt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das Victory-Zeichen. Wenig später ist er am Ziel, als er Kremlchef Wladimir Putin das erste Mal überhaupt persönlich gegenübersitzt - an einem Tisch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem Gastgeber Emmanuel Macron.
Putin nickt ihm freundlich zu. Lange musste der 41-jährige Ukrainer auf diesen Moment warten. Der 67-Jährige Putin ließ sich viel Zeit, geriet zuletzt aber ob Selenskyjs frischer und zupackender Art im Ukraine-Konflikt in Zugzwang.
Der Ex-Komiker Selenskyj wollte nun endlich "den Menschen" Putin sehen, wie er noch am Freitag in einer Talkshow sagte. Telefoniert hatten die beiden schon, einen Gefangenenaustausch und weitere Friedensschritte durchgezogen.
Sogar mit "kahlköpfigen Teufel" verhandeln
Nun am Verhandlungstisch wolle er ein Gefühl dafür bekommen, ob "wirklich alle schrittweise diesen tragischen Krieg beenden möchten". Selenskyj sagte schon früh, dass er sogar mit dem "kahlköpfigen Teufel" verhandeln würde, um den Konflikt zu lösen. Ob er damit auf den in Karikaturen bisweilen so dargestellten Putin anspielte, blieb offen.
Frankreichs Präsident Macron und Merkel standen dem unerfahrenen Ukrainer zur Seite bei dem Treffen mit dem Voll-Profi Putin. Allen war klar, dass der Schlüssel für eine Lösung des Ukraine-Konflikts im Kreml liegt.
Lange gratulierte Putin dem Politneuling mit dem Rekordergebnis von 73 Prozent nicht einmal zur Wahl. Er frotzelte noch im Sommer mit Blick auf Selenskyjs erfolgreiche Fernsehrolle als Präsident, dass es etwas anderes sei, ein Staatsoberhaupt zu spielen als das Amt wirklich auszuüben. Vergiftet hörte sich damals auch sein Kompliment an, Selenskyj sei ein talentierter Komiker, der es verstehe, sein Publikum einzuwickeln.
Inzwischen aber äußert sich Putin immer wieder anerkennend. "Mir scheint, dass er ein sympathischer Mensch ist und aufrichtig", sagte Putin im Herbst. Er glaube, dass Selenskyj die Situation wirklich zum Besseren verändern wolle. Dafür brauche es Mut und Stärke, sagte Putin auch mit Blick auf Proteste in der Ukraine.
Bereits rund 13.000 Tote
Vor allem kämpferische Nationalisten warnen Selenskyj immer wieder vor "roten Linien", vor zu großen Zugeständnissen an Russland und die Regionen Luhansk und Donezk. Sie sehen die Gefahr, dass die seit mehr als fünf Jahren dauernden Kämpfe umsonst gewesen sein könnten. Rund 13.000 Menschen starben nach UN-Schätzungen bei den Gefechten zwischen ukrainischen Regierungstruppen und aus Russland unterstützten Separatisten.
Es war aber auch Putin, der Selenskyj Mut zusprach, sich den Nationalisten zu widersetzen – immerhin habe sein überzeugendes Wahlergebnis gezeigt, dass die Menschen eine Lösung des Konflikts verlangten. "Er sollte Kompromisse finden und mit allen reden", riet Putin im Oktober zurückgelehnt in einen Sessel bei einer Diskussionsrunde.
Doch für Putin ist der Medien-Profi Selenskyj längst zur Herausforderung geworden. Diente Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko mit seiner anti-russischen Rhetorik noch als ideale Hassfigur in dem Konflikt, so ist der Ex-Komiker ein Sympathieträger, dessen Art auch bei vielen Russen ankommt.
Putin ist keineswegs als starker Mann nach Paris gekommen. Russland steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, die Menschen klagen über extrem hohe Preise. Die Akzeptanz in Russland für die Kriege in Syrien und in der Ukraine ist gering. Zudem drücken die Sanktionen der USA und der EU im Zuge des Ukraine-Konflikts auf die Entwicklung in Russland. Umfragen attestieren dem Kreml eine breite Unzufriedenheit mit Putins Politik. Russland braucht Fortschritte im Konflikt, damit die Sanktionen irgendwann fallen.
Zwar hätte Selenskyj den Gipfel gern noch um US-Präsident Donald Trump und den britischen Premier Boris Johnson erweitert. Immerhin haben die Amerikaner und die Briten das ukrainische Militär im Krieg gegen die prorussischen Separatisten massiv unterstützt. Aber Trump mit seinem Impeachment-Verfahren und London mit dem Brexit und der Wahl am Donnerstag haben andere Sorgen. Zudem wollten sich Merkel und Macron und schon gar nicht Putin noch von außen reinfunken lassen. Sie wollen den Konflikt selbst lösen.