Ohne Heizung, Strom und Wasser: Was der Winter für den Ukraine-Krieg bedeutet
Die russische Armee hat die Energieversorgung der Ukraine massiv beschädigt. Viele Haushalte sind bei eisigen Temperaturen zeitweise oder sogar komplett ohne Heizung, Strom und Wasser.
Moskau rechtfertigt dies damit, dass die Infrastruktur vom ukrainischen Militär genutzt werde. Derweil steht der Winter vor der Tür. Wie werden sich Stromnotstand und Kälte auf die weitere Entwicklung auswirken? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Welche Auswirkungen wird der Winter auf die Kriegsführung haben?
Im Winter wird die derzeitige operative Pause durch den Herbstschlamm vermutlich beendet. Für die Ukraine, die auf schnelle Vorstöße setzt, ergeben sich wieder bessere Voraussetzungen, ihre Taktik umzusetzen.
Während die Russen immer noch überlegene Feuerkraft haben, sind die Ukrainer in der Manövrierfähigkeit überlegen. Wichtig wird allerdings sein, welche Seite ihre Soldaten und Technik besser für den Winter ausgerüstet hat. Die meisten Beobachter sehen die Ukraine hier vorn.
Der US-Geheimdienst geht davon aus, dass sich das Kampfgeschehen in der Ukraine verlangsamt fortsetzen wird.
"Wir sehen bereits eine Art reduziertes Tempo des Konflikts und wir erwarten, dass sich das in den kommenden Monaten fortsetzen wird", sagte Avril Haines, Direktorin des nationalen Geheimdienstes am Samstag auf dem jährlichen Reagan National Defense Forum in Kalifornien.
Wie kann die Ukraine die Front im Winter versorgen?
Kälte ist der Feind des Soldaten. Verletzungen und Ausfall der Technik werden allein aufgrund der Wetterbedingungen zunehmen. Auch die Versorgung ist schwerer: Die Soldaten brauchen mehr Verpflegung, mehr Brennstoff, wärmere Kleidung als im Sommer. Aufrufe - auch an den Westen - zur Lieferung von Winterkleidung und Brennstoff gab es. Es ist aber noch unklar, ob die Vorbereitung ausreichend war.
Im Gegensatz zum schlammigen Herbst bietet tiefgefrorenes Gelände immerhin die Möglichkeit, auch abseits der Straßen die Truppen zu versorgen. Große Transporte über die Eisenbahn sind aber durch die russischen Raketenschläge eingeschränkt.
Kann Russland aus der gezielten Bombardierung von Energieobjekten tatsächlich militärischen Nutzen schlagen?
Ein zynisches Kalkül der Luftschläge besteht darin, die ukrainische Bevölkerung gegen die Regierung aufzubringen, was sich auch auf die Kampfmoral der kämpfenden Soldaten auswirken soll. Der Dauerbeschuss zielt zudem darauf ab, die Ressourcen der ukrainischen Luftabwehr zu schwächen, die sich auf viele Punkte konzentrieren muss.
Daneben schaffen die Blackouts auch bei der Versorgung der Armee und der Truppenverlegung Schwierigkeiten. Die Bahn ist teilweise lahmgelegt. Die Produktion von Munition und Kriegswaren wird ebenfalls behindert. Allerdings haben während des Kriegs die Bedürfnisse der Front Vorrang. Die wenigen vorhandenen Stromkapazitäten werden für kriegswichtige Einrichtungen reserviert. Der Nutzen eines solchen Bombardements ist also aus rein militärischer Sicht begrenzt.
Wie ist die Energiesituation zum Winterbeginn?
Nach der Serie russischer Raketenangriffe auf das Stromnetz kämpft die Ukraine mit massiven Stromausfällen. Viele Haushalte erhalten nur noch maximal acht Stunden Strom täglich. Laut Netzbetreiber Ukrenerho fehlt landesweit mehr als ein Viertel und in Kiew mehr als ein Drittel der nötigen Strommenge. Importe aus dem Westen decken dabei höchstens zehn Prozent des Bedarfs.
Zugleich versucht Ministerpräsident Denys Schmyhal zu beruhigen: 14 Milliarden Kubikmeter Erdgas und 1,3 Millionen Tonnen Kohle an Reserven reichten aus, um das Land mit Elektrizität und Fernwärme zu versorgen. Über 50 Prozent des Strombedarfs werden ohnehin durch die Atom- und Wasserkraftwerke gedeckt.
Kann sich das Land mit Lebensmitteln versorgen?
Bisher haben die Attacken nicht zu Versorgungslücken geführt. Geschäfte und Märkte sind bis auf die frontnahen Gebiete gut gefüllt. Aufgrund von Arbeitslosigkeit und einer Inflationsrate von 26,6 Prozent im Oktober können sich aber immer weniger Ukrainer Lebensmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs leisten. Besonders hart trifft es einkommensschwache Gruppen.
Die Durchschnittsrente der etwa elf Millionen Rentner liegt bei umgerechnet 120 Euro. Die Mehrzahl von ihnen muss jedoch mit monatlich nicht mehr als 75 Euro überleben und ist auf Hilfen von Verwandten oder Hilfsorganisationen angewiesen.
Wird es eine neue Treibstoffkrise in der Ukraine geben?
Wegen der ständigen unvorhersehbaren Stromausfälle nutzen Ukrainer massiv Stromgeneratoren. Die Regierung hat den Import durch eine Zollbefreiung stimuliert. Im Nahverkehr wurden die Oberleitungsbusse und Straßenbahnen durch dieselbetriebene Busse ersetzt. Die Eisenbahn setzt vermehrt Dieselloks ein. An den Tankstellen kam es erneut ähnlich wie zu Kriegsbeginn und im Frühling zu langen Schlangen.
Die Nachfrage nach Benzin und Diesel ist kurzzeitig um über 30 Prozent gestiegen. Dem von Treibstoffimporten abhängigen Land drohen bei neuen Luftschlägen auf das Stromnetz erneut leere Tankstellen. Das dürfte auch Auswirkungen auf die allgemeine Versorgungslage haben.
Ist eine neue Flüchtlingswelle zu erwarten?
Im Hinterland haben sich die Bewohner bereits auf Raketenangriffe und Stromausfälle eingestellt. An der Front ist vorerst nicht mit russischen Durchbrüchen zu rechnen, die eine neue Fluchtwelle auslösen könnten. Sollten neue russische Luftschläge aber zu irreparablen Blackouts und Heizungsausfällen führen, könnten viele Ukrainer in die EU fliehen - insbesondere, wenn das aktuelle Frostwetter in der Ukraine länger anhält.
Ende kommender Woche sollen die Temperaturen aber deutlich ins Plus steigen. Die Winter in den vergangenen Jahren waren zudem selbst im Januar und Februar recht mild. Kiew hat dazu landesweit mit der Einrichtung von Aufwärmpunkten in Schulen, Kindergärten und großen Zelten begonnen, die auch mit Stromgeneratoren und teils Internet ausgerüstet wurden.