Politik/Ausland

Mehrere Tote bei russischen Angriffen im Süden und Osten

Tag 39 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Die russischen Truppen haben am Sonntag ihre Angriffe auf den Osten und Süden der Ukraine fortgesetzt. Ziel war auch die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer. Aus dem Verteidigungsministerium in Moskau hieß es, von Schiffen und Flugzeugen aus seien eine Ölraffinerie und drei Treibstofflager bei Odessa beschossen worden. Beim Beschuss der Millionenstadt Charkiw im Osten des Landes gab es regionalen Behörden zufolge sieben Tote.

Die zweitgrößte Stadt des Landes, Charkiw, war von den Invasoren schon weitgehend zerstört worden. Justizangaben zufolge kamen dort sieben Menschen durch Artilleriebeschuss ums Leben. Der Gouverneur von Charkiw hatte zuvor von "einigen" Toten und 23 Verletzten gesprochen. Bei einem russischen Angriff auf ein Krankenhaus im östlichen Rubischne starb ein Mensch, drei weitere seien verletzt worden, teilte der Gouverneur der Region, Serhij Gajdaj, am Abend mit.

Auch in der südukrainischen Stadt Mykolajiw starb ein Mensch bei einem russischen Angriff. 14 weitere Menschen seien verletzt worden, darunter ein 15-Jähriger, teilte der Gouverneur Vitali Kim auf Telegram mit. Auch in der Schwarzmeerstadt Otschakiw habe es einen Bombenangriff gegeben, fügte er hinzu. Dort habe es ebenfalls Tote und Verletzte gegeben, die genaue Zahl sei unklar.

Angriff auf Odessa

Ziel eines Luftangriffs war zuvor auch die Millionenstadt Odessa gewesen. Wie der Stadtrat mitteilte, kam es daraufhin zu Bränden in mehreren Stadtteilen. Auf Fotos war Rauch über Odessa zu sehen. Dem Stadtrat zufolge wurden einige Raketen von der Luftabwehr abgefangen.

Am Sonntagnachmittag berichtete die ukrainische Regierung, dass eine russische Rakete auch in der Stadt Wassylkiw bei Kiew eingeschlagen habe. Das regionale Regierungsgebäude sei getroffen worden, es habe einige Verletzte gegeben, hieß es.

Die Angriffe in Mykolajiw und Wassylkiw wurden am Abend auch vom Verteidigungsministerium in Moskau bestätigt. Es sei auch ein Treibstofflager im nordwestlichen Riwne mit Raketen attackiert worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Nach ukrainischen Militärangaben gingen die Kämpfe auch im Osten weiter. Die Beschuss von Städten im Gebiet Luhansk dauere an. Es gebe Kämpfe bei Popasna und Rubischne.

Indes meldete Russland neuerlich eine Explosion auf seinem Territorium. "Es gab einen Knall, Trümmer fielen auf den Boden", schrieb der Verwaltungschef des Stadtbezirks Jakowlewski, Oleg Medwedew, am Sonntag im Nachrichtenkanal Telegram. Es habe keine Verletzten gegeben. Erst vor wenigen Tagen hatte es nahe der Stadt Belgorod einen Angriff auf ein Öllager gegeben, der nach russischer Darstellung von ukrainischen Kampfhubschraubern verübt worden sein soll.

Nach russischen Angaben wurden in der Nacht auf Sonntag in der Ukraine insgesamt 51 Militäreinrichtungen getroffen, darunter vier Kommandoposten und zwei Raketenabwehrsysteme. Diese Angaben ließen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen. Moskau behauptet, nur militärische Ziele im Nachbarland anzugreifen. Dagegen wirft die Ukraine Russland vor, auch zivile Infrastruktur und Wohngebiete unter Beschuss zu nehmen.

2.694 Menschen gelang nach ukrainischen Angaben am Sonntag die Flucht aus umkämpften Städten. In der umkämpften und inzwischen auch schwer beschädigten Stadt Mariupol halten sich nach Schätzungen noch etwa 100.000 Einwohner auf. In den vergangenen Tagen hatte es schon mehrere Versuche gegeben, Mariupol zu erreichen. Russland wirft dem Roten Kreuz vor, die Evakuierung schlecht vorbereitet zu haben.

Kein echter Rückzug

Bei dem Zurückweichen russischer Truppen bei Kiew handelt es sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge nicht um einen echten Rückzug. Es sei eher eine Neupositionierung, der weitere Angriffe folgen könnten. Der Krieg müsse enden, sagt Stoltenberg bei CNN. Es liege in der Verantwortung von Russlands Präsident Wladimir Putin, dies zu tun.

Warnung vor Minen im Schwarzen Meer und im Asowschen Meer

Der britische Geheimdienst berichtete unterdessen, eine Landung per Angriff russischer Truppen über See sei unwahrscheinlich. Russlands Seestreitkräfte würden sich dabei einem hohem Risiko aussetzen, da die ukrainische Armee genügend Zeit zur Vorbereitung gehabt habe. Der Geheimdienst warnte zudem vor Minen im Schwarzen Meer und im Asowschen Meer. Diese seien wahrscheinlich russischen Ursprungs.

Selenskij erwartete russische Angriffe im Donbass und im Süden

Nach dem Abzug russischer Truppen aus der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew hatte Präsident Wolodimir Selenskij nunmehr russische Angriffe im Donbass und im Süden des Landes erwartet. "Was ist das Ziel der russischen Armee? Sie wollen sowohl den Donbass als auch den Süden der Ukraine erobern", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft in der Nacht auf Sonntag.

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Selenskij sagte in seiner Videobotschaft, um den russischen Plänen entgegenzuwirken werde die Abwehr der ukrainischen Streitkräfte in östlicher Richtung verstärkt. "Und das wohl wissend, dass der Feind Reserven hat, um den Druck zu verstärken." Zugleich verfolgten ukrainische Einheiten die nördlich von Kiew und bei Tschernihiw zurückweichenden russischen Truppen, sagte Selenskij. Auch sorge der Kampf um die "heroische" Hafenstadt Mariupol dafür, dass große russische Verbände gebunden seien.

EU-Ratspräsident wirft Russland Massaker in Butscha vor

EU-Ratspräsident Charles Michel hat am Samstag Russland für Gräueltaten in der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew verantwortlich gemacht. Der belgische Politiker warf den russischen Truppen am Sonntag bei Twitter vor, in der Vorortgemeinde Butscha ein Massaker angerichtet zu haben. Die EU werde beim Sammeln von Beweisen helfen, um die Verantwortlichen vor Gericht stellen zu können. Zugleich kündigte er weitere EU-Sanktionen gegen Russland und Unterstützung für die Ukraine an.

In Butscha waren nach dem Rückzug der russischen Armee zahlreiche Tote gefunden worden. Auch auf den Straßen lagen Leichen. Nach Angaben der Behörden wurden inzwischen 280 Menschen in Massengräbern beerdigt. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak teilte auf Twitter ein Foto, auf dem erschossene Männer zu sehen waren. Einem waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Echtheit konnte nicht unabhängig geprüft werden.

Ukraine meldete Befreiung der ganzen Hauptstadtregion Kiew

Die Ukraine hat am Samstag nach eigenen Angaben die gesamte Hauptstadtregion Kiew befreien können. Man habe die Kontrolle über "die gesamte Region Kiew", teilte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Samstagabend mit. Im nordwestlichen Kiewer Vorort Butscha wurden indes Hinweise auf ein grauenhaftes Kriegsverbrechen durch die Invasoren entdeckt. 280 Leichen seien in einem Massengrab beigesetzt worden, teilten die Behörden mit.

Russland kündigt Fluchtkorridoren für Ausländer an

Russlands Militär kündigte unterdessen für Sonntag die Öffnung von Fluchtkorridoren für Ausländer in den Hafenstädten Mariupol und Berdjansk am Asowschen Meer an. Wie Generalmajor Michail Misinzew laut Agentur Tass sagte, könnten Ausländer das umkämpfte Mariupol in Richtung Berdjansk verlassen. Auch in der Hafenstadt Berdjansk lebende ausländische Staatsbürger dürften das Gebiet verlassen - entweder auf dem Landweg über die Krim oder zu den ukrainischen kontrollierten Gebieten.

Bei diesen Ausländern handelt es sich überwiegend um Besatzungsmitglieder von Frachtschiffen, die in den beiden Häfen seit Kriegsbeginn blockiert sind. Die ukrainische Führung wurde aufgefordert, die Sicherheit der Fluchtkorridore zu garantieren.

Gespräche auf Präsidentenebene für Russland noch zu früh

Russland hat Hoffnungen der Ukraine auf ein baldiges Spitzentreffen der beiden Präsidenten Wladimir Putin und  Selenskij zur Beendigung des Kriegs gedämpft. Es gebe noch viel zu tun, sagte der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski am Sonntag der Nachrichtenagentur Interfax. Zuvor hatte der ukrainische Chefunterhändler David Arachamija im ukrainischen Fernsehen von einem möglicherweise baldigen Treffen der beiden Staatschefs gesprochen.

London sagt Kiew weitere Unterstützung zu

Der ukrainische Präsident Selenskij hat vom britischen Premier Boris Johnson die Zusage für weitere Unterstützung im Kampf gegen die russische Armee erhalte. "Eine sehr spürbare Unterstützung", sagte Selenskij dazu in der Nacht auf Sonntag. "Wir haben uns über eine neue Unterstützung für die Verteidigung der Ukraine unterhalten, ein neues Paket", fasste der ukrainische Staatschef das Gespräch mit Johnson zusammen. Details nannte er aber nicht.

Aus der Downing Street verlautete zu dem Telefonat, dass Johnson "Unterstützung für die Verteidigungsbemühungen zugesagt" habe. "Beide waren sich einig über die Bedeutung weiterer Sanktionen, um den wirtschaftlichen Druck auf Putins Kriegsmaschinerie zu erhöhen, solange sich noch russische Truppen auf ukrainischem Gebiet befinden", zitierte die Agentur PA einen Sprecher der Downing Street.

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