Ukraine meldet Befreiung der gesamten Region rund um Kiew

Ukraine meldet Befreiung der gesamten Region rund um Kiew
Ukrainische Truppen rücken bei Kiew gegen die Russen vor. Luftangriffe auf die Städte Mariupol, Charkiw und Tschernihiw

Tag 38 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Gut fünf Wochen nach Kriegsbeginn hat die Ukraine nach eigenen Angaben die gesamte Hauptstadtregion Kiew befreien können. Man habe die Kontrolle über "die gesamte Region Kiew", teilte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Samstagabend mit.

Das russische Militär konzentriert seine Angriffe nach ukrainischen Angaben jetzt auf die östlich gelegenen Gebiete der Ukraine. Es gebe Luftangriffe auf die Städte Mariupol, Charkiw und Tschernihiw, sagte der Präsidentenberater Olexij Arestowytsch am Samstag im ukrainischen Fernsehen. Neben der Rüstungsindustrie seien auch Wohngebiete betroffen. Das ließ sich nicht unabhängig überprüfen. Russland bestreitet, zivile Ziele anzugreifen.

Der „Feind“ versuche, Tschernihiw in ein zweites Mariupol zu verwandeln, meinte Arestowytsch. Die Hafenstadt Mariupol ist in den vergangenen Wochen schwer zerstört worden. Tschernihiw sei aber noch über den Landweg zu erreichen. „Die Einwohner können die Stadt verlassen.“

Das russische Militär hat nach eigener Darstellung in der Ukraine einen Militärflugplatz in dem Gebiet Poltawa angegriffen. Dabei seien Kampfhubschrauber und Flugzeuge zerstört worden, teilte das russische Verteidigungsministerium am Samstag in Moskau mit. Außerdem seien in der zentral gelegenen Region Depots für Treibstoff und Waffen getroffen worden. In der Nähe der Bahnhöfe in Losowa und Pawlohrad seien zudem gepanzerte Fahrzeuge, Munition und Treibstofftanks zerstört worden. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Kämpfe im Süden und Osten erwartet

Im Osten und Süden der Ukraine drohen nach Einschätzung des ukrainischen Präsidentenberaters Olexij Arestowytsch schwere Kämpfe. Ukrainische Truppen hätten rund um Kiew mehr als 30 Ortschaften zurückerobert und hielten den russischen Truppen im Osten stand. „Wir dürfen uns keine Illusionen machen“, sagt er im ukrainischen Fernsehen. „Es stehen im Süden, um Mariupol und im Osten noch schwere Gefechte bevor.“

Nach eigenen Angaben beobachtet die ukrainische Regierung einen "schnellen Rückzug" der russischen Streitkräfte im Norden des Landes. Die Angreifer würden in den Regionen von Kiew und Tschernihiw zurückfallen, sagte Michailo Podoljak, ein Berater von Präsident Wolodimir Selenskij, am Samstag. Moskaus Ziel sei dabei offensichtlich: Es wolle seine Truppen "nach Osten und Süden zurückziehen und dort die Kontrolle über große besetzte Gebiete behalten".

Moskau wolle "im Osten und im Süden Fuß fassen, um seine Bedingungen hart zu diktieren", so Podoljak. Die Ukraine brauche nun "schwere Waffen", um in besetzte Gebiete in diesen Regionen vorzustoßen "und die Russen so weit wie möglich zurückzudrängen". Für die bedrängte Zivilbevölkerung in umkämpften Städten der Ukraine sind am Samstag sieben Fluchtkorridore eingerichtet worden. 

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Selenski rechnet mit heftigen Angriffen im Osten

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij rechnet mit heftigen russischen Angriffen im Osten des Landes. "Russische Soldaten werden in den Donbass geholt. Genauso in Richtung Charkiw", erklärte der Staatschef in einer Videoansprache in der Nacht auf Samstag. "Im Osten unseres Landes bleibt die Lage sehr schwierig."

Britischer Geheimdienst: Ukrainische Truppen rücken vor

Nach britischen Geheimdienstinformationen rücken ukrainische Truppen in der Nähe der Hauptstadt Kiew weiter auf russische Truppen vor, die auf dem Rückzug sind. Nach einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums von Samstag in London dauern auch Versuche der Ukrainer an, am nordwestlichen Rand der Hauptstadt von Irpin in Richtung Bucha und Hostomel vorzustoßen.

Vom wichtigen Frachtflughafen Hostomel, der seit Beginn des Krieges am 24. Februar umkämpft ist, hätten sich die Russen inzwischen zurückgezogen, hieß es weiter. Auch entlang der östlichen Achse seien mehrere Dörfer von ukrainischen Einheiten zurückerobert worden, ebenso wie eine wichtige Straße in der Stadt Charkiw im Osten des Landes.

Russische Truppen aus Sperrzone zurückgezogen

Laut ukrainischem Generalstab wurden auch die russischen Truppen aus der Sperrzone um das ehemalige Kernkraftwerk Tschernobyl und aus den angrenzenden Gebieten in Belarus zurückgezogen. Sie sollten augenscheinlich in das russische Gebiet Belgorod verlegt werden, von wo der Vorstoß nach Charkiw erfolgt. Das britische Militär ging aber davon aus, dass die Explosionen in einem Tanklager und einem Munitionsdepot in Belgorod die Versorgung der russischen Truppen vor Charkiw bremsen.

Städte unter Beschuss

In der Nacht auf Samstag griffen russische Truppen erneut mehrere Großstädte im Süden des Landes mit Raketen an. In der Stadt Dnipro seien zwei oder drei schwere Explosionen zu hören gewesen, berichtete das ukrainische Portal "Ukrajinska Prawda". Attackiert wurde u.a. auch die Stadt Poltawa im Zentrum des Landes. Russland gab wenig später den Beschuss von zwei Militärflugplätzen nahe Dnipro und Poltawa bekannt.

Laut dem Regionalgouverneur der Region Poltawa wurden in der gleichnamigen zentralukrainischen Stadt Infrastruktureinrichtungen getroffen. Auch die Stadt Krementschuk sei angegriffen worden, schreibt Dmitri Lunin. Es habe zunächst keine Angaben über mögliche Opfer gegeben.

Beschossen wurde auch die Umgebung der Stadt Krywyj Rih. Dabei sei eine Tankstelle in Brand geraten, teilte der Chef der örtlichen Militärverwaltung, Olexander Wilkul, mit. Seinen Angaben nach setzten die russischen Kräfte Mehrfachraketenwerfer vom Typ Grad (Hagel) ein. Wilkul sagte weiters, der Kreis Krywyj Rih und das Verwaltungsgebiet Dnipropetrowsk insgesamt seien stabil in der Hand der ukrainischen Armee.

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Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurden bei den neuen Raketenangriffen mehrere Dutzend Militärobjekte zerstört. Demnach wurde nahe der Handels- und Industriestadt Krementschuk, rund 300 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kiew, Samstagfrüh ein Benzin- und Diesellager vernichtet.

Zudem seien zwei Militärflugplätze nahe der Stadt Poltawa und in der Nähe von Dnipro außer Gefecht gesetzt worden. Insgesamt seien innerhalb eines Tages 67 militärische Objekte zerstört worden, darunter auch Munitionslager, sagte Generalmajor Igor Konaschenkow. Zudem seien zwei Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 sowie 24 Drohnen abgeschossen worden. Wie alle Berichte aus den Kampfzonen waren die Angaben nicht unabhängig überprüfbar.

Ukrainische Luftwaffe intakt

Trotz der Raketenangriffe - zum Teil von Flugzeugen aus - behauptet die ukrainische Luftwaffe nach eigenen Angaben die Kontrolle über den Luftraum des Landes. "Der Feind hat den ukrainischen Himmel nicht kontrolliert und kontrolliert ihn nicht", betonte Generalleutnant Mykola Oleschtschuk. Russland habe seit Kriegsbeginn versucht, die ukrainische Luftwaffe auszuschalten. Dies sei aber nicht gelungen. Mittlerweile greife die russische Luftwaffe weniger mit Flugzeugen an, sondern bombardiere aus der Distanz mit Raketen.

Papst überlegt Besuch in Kiew

Papst Franziskus hat unterwegs zu einem besuch auf der Insel Malta den Krieg in der Ukraine verurteilt, direkte Kritik an Russland aber vermieden. Zudem überlegt er nach Kiew zu reisen.

USA wollen weitere Waffen liefern

Das US-Verteidigungsministerium will der Ukraine inzwischen weitere Waffen im Wert von 300 Millionen Dollar (270 Millionen Euro) zukommen lassen. Unter anderem soll das neue Paket verschiedene Drohnen, Raketensysteme, gepanzerte Fahrzeuge, Munition, Nachtsichtgeräte, sichere Kommunikationssysteme, Maschinengewehre, medizinische Güter und die Bereitstellung von kommerziellen Satellitenbildern umfassen, wie das Pentagon am Freitagabend mitteilte.

Offenbar wollen die USA zusammen mit Verbündeten auch Panzer aus sowjetischer Produktion an die Ukraine liefern. Diese sollten die Verteidigung in der Donbass-Region stärken, schreibt die "New York Times" unter Berufung auf einen US-Beamten. Die Panzer sollten bald dorthin gebracht werden. Das US-Verteidigungsministerium lehnte einen Kommentar ab, das US-Präsidialamt gab zunächst keine Stellungnahme ab.

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