Lage in Israel droht weiter zu eskalieren
Nach tagelangem gegenseitigen Beschuss zwischen der radikalislamischen Hamas und der israelischen Armee wächst international die Angst vor einem erneuten Krieg im Nahen Osten.
Aus dem Gazastreifen wurden erneut Hunderte Raketen auf Israel abgefeuert, auch aus dem Libanon sind israelischen Angaben zufolge drei Raketen auf den Norden des Landes gefeuert worden.
Messerattacke auf Soldaten
In mehreren israelischen Städten gab es Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und arabischen Bewohnern. Israelische Soldaten haben nach Angaben der Armee im Westjordanland eine Messerattacke vereitelt. Ein Angreifer sei an einem Militärposten an der Gemeinde Ofra im Norden von Ramallah aus einen Wagen gestiegen und habe versucht, auf einen Soldaten einzustechen, teilte das Militär am Freitag mit. Der Soldat habe auf den Mann geschossen und ihn „neutralisiert“.
Ministerpräsident Benjamin Netanyahu stimmte die Bürger des Landes unterdessen auf einen längeren Einsatz im Gazastreifen ein. Eine ägyptische Vermittlungsmission lehnte er ab.
Keine Bodentruppen
Israel hat in der Nacht auf Freitag Angriffe auf den Gazastreifen weiter verschärft. "Luft- und Bodentruppen greifen gegenwärtig im Gazastreifen an", teilte die israelische Armee bei Twitter mit. Später gab die israelische Armee bekannt, doch nicht in den Gazastreifen vorgedrungen zu sein. Im Gazastreifen seien "keine Soldaten", entsprechende vorherige Angaben seien auf ein internes Kommunikationsproblem zurückzuführen, teilte die Armee in der Nacht auf Freitag mit.
Israelische Korrespondenten für militärische Angelegenheiten gaben an, dass es sich nicht um eine Bodeninvasion handle und dass die Truppen von der israelischen Seite der Grenze aus Artillerie abfeuerten. Bewohner des nördlichen Gazastreifens, in der Nähe der israelischen Grenze, sagten, sie hätten keine Anzeichen von israelischen Bodentruppen innerhalb der Enklave gesehen. Sie berichteten aber von schwerem Artilleriefeuer und Dutzenden von Luftangriffen.
Angriff auf Hamas-Tunnelsystem
Israels Armee hat nach eigenen Angaben bei einem komplexen Angriff ein Tunnelsystem der islamistischen Hamas im Gazastreifen beschossen. Daran beteiligt seien 160 „Luftfahrzeuge“ gewesen, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus am Freitagmorgen. Unterstützung hätten sie von israelischer Seite unter anderem von Panzern erhalten. Ihr Einsatz dauerte demnach rund 40 Minuten.
Ziel sei ein Tunnelsystem der Hamas in dem Küstengebiet gewesen. Es werde „Metro“ genannt, sagte Conricus. Dabei handele es sich um eine Art „Stadt unter der Stadt“. Die Hamas habe Jahre in den Bau des Tunnelsystems investiert. Der Grad der Zerstörung sei noch unklar. Zur Unterstützung feuerten unter anderem Panzer von israelischer Seite auf Ziele im Gazastreifen.
"Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen"
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte zu den Angriffen: "Ich habe gesagt, dass Hamas einen sehr hohen Preis zahlen wird." Man werde die Angriffe "mit großer Intensität fortsetzen", sagte er in einer Videobotschaft. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen und diese Operation wird so lange wie nötig weitergehen."
Das israelische Fernsehen berichtete, es sei der heftigste und breiteste Angriff im Gazastreifen seit Beginn der Eskalation am Montag. Die Armee rief Israelis in den Grenzorten, die bis zu vier Kilometer entfernt vom Gazastreifen leben, dazu auf, sich bis auf Weiteres in Schutzräume zu begeben.
Verteidigungsminister Benny Gantz hatte zuvor angesichts der Eskalation die Mobilisierung von weiteren 9.000 Reservisten genehmigt. Vor zwei Tagen hatte die Armee bereits 5.000 Reservisten mobilisiert. Nach Medienberichten bereitete sich die Armee auf eine mögliche Bodenoffensive vor.
Militante Palästinenser setzten am Donnerstag ihre heftigen Raketenangriffe auf israelische Bevölkerungszentren fort. Auch am Abend wurden erneut zahlreiche Städte beschossen, darunter Ashkelon, Ashdod und Modiin. Auch in die Richtung des internationalen Flughafens bei Tel Aviv wurden Raketen abgefeuert. In einer Ortschaft im Süden des Landes wurde nach Angaben von Rettungskräfte eine 87-Jährige auf der Flucht in einen Schutzraum tödlich verletzt.
Im Gazastreifen starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 120 Menschen seit der Eskalation der Gewalt, darunter 31 Kinder. In Israel wurden nach offiziellen Angaben bisher acht Menschen bei Raketenangriffen getötet.
Wien zeigt Solidarität mit Israel
In Wien hissten unterdessen am Freitag das Bundeskanzleramt und das Außenministerium die israelische Fahne als Zeichen der Solidarität. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verurteilte die Angriffe auf Israel aus dem Gazastreifen „auf das Schärfste“. Israel habe „das Recht auf Selbstverteidigung gegen diese Angriffe“. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) betonte, für die „über tausend Raketen, die bisher von der Hamas und anderen Terrorgruppen aus Gaza auf Israel abgeschossen wurden“, gebe es keine Rechtfertigung.
UN-Sicherheitsrat tagt
Der UN-Sicherheitsrat wird sich am Sonntag mit dem eskalierenden Nahost-Konflikt befassen. Die virtuelle Sitzung sei auf Antrag von China, Norwegen und Tunesien auf Sonntag um 16.00 Uhr MESZ angesetzt worden, teilten Diplomaten bei den Vereinten Nationen in New York am Donnerstag mit. Auch die USA, die die Absage einer für Freitag geplanten Sicherheitsratssitzung bewirkt hatten, seien einverstanden.
Es ist die dritte Sitzung des UN-Gremiums zur Eskalation der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern binnen einer Woche. Bei den zwei vorherigen Sitzungen hatte es keine Einigung auf eine gemeinsame Erklärung gegeben. Dies lag Teilnehmern zufolge an den USA, die eine Verurteilung ihres Verbündeten Israel ablehnten.
Nach den ersten zwei Nahost-Sicherheitssitzungen diese Woche hatten zehn Ratsmitglieder, darunter Tunesien, Norwegen und China, eine öffentliche Sitzung für Freitag beantragt. Nach Angaben aus Diplomatenkreisen sollten auch Vertreter Israels und der Palästinenser daran teilnehmen. Der Antrag scheiterte demnach aber am Widerstand der Vereinigten Staaten. US-Außenminister Antony Blinken sprach sich für eine Sitzung Anfang kommender Woche aus, um der Diplomatie etwas Zeit zu verschaffen.