EU-Gipfel: Multi-Milliardenpoker mit Maske
In Brüssel werden schon Wetten abgeschlossen: Wie lange dauert es, bis sich 27 europäische Staats- und Regierungschefs auf ein „Ja“ zum größten Hilfspaket der EU-Geschichte einigen? Zwei Tage oder mehr? Braucht es nach diesem Wochenende gar einen zweiten Gipfel?
Kanzler Sebastian Kurz hat sein Rückflugticket nach Wien jedenfalls vorerst offengelassen. Dabei klang Kurz am Freitag wesentlich optimistischer als die meisten anderen Gipfelteilnehmer. „Es gibt Differenzen, aber die sind nicht unüberwindbar“, sagte der Kanzler.
Zum ersten Mal seit fünf Monaten haben die EU-Granden am Freitag wieder zu einem echten Treffen zusammengefunden – und das an Angela Merkels 66. Geburtstag. Manch einer überreichte der deutschen Kanzlerin ein Geschenk, doch Begrüßungsküsschen mussten in Coronazeiten ausfallen. In den Gängen und Liften des Ratsgebäudes herrscht strenge Maskenpflicht, überall wird auf 1,5 Meter Distanz gedrängt. Journalisten sind ausgesperrt.Nicht nur die seltsame Szenerie ließ die Spannung steigen. Alle Gipfelteilnehmer wissen: Europas Wirtschaft hinkt schwer, und es bedarf massiver Hilfe, um sie wieder vorwärtszubringen.
Mit überraschend konzilianten Tönen ging Kurz ins Treffen. Bei einigen seiner Forderungen sieht er sich bereits bestätigt: Das Volumen des siebenjährigen EU-Haushaltes wird niedriger ausfallen, als es die EU-Kommission ursprünglich geplant hatte. Und sicher ist mittlerweile auch: Österreich wird einen jährlichen Rabatt von rund 237 Millionen Euro auf seine Beitragszahlungen erhalten. Damit könnte Kurz gelingen, was er immer propagiert hatte: Die künftigen Zahlungen Österreichs ans gemeinsame EU-Budget dürften (inflationsbereinigt, gemessen am BIP) nicht steigen.
Möglich war dies dank des gemeinsamen Drucks der „sparsamen vier“: Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande haben stets klar gemacht: Der EU-Haushalt dürfe nicht ausgeweitet werden, ihre jeweiligen Beiträge dürften nicht steigen.
Der viel größere Knackpunkt beim Gipfel aber sind die Verhandlungen um den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbau-Fonds. Zwei Drittel davon sollen als nicht rückzahlbare Zuschüsse vergeben werden. Die größte Summe würde Italien erhalten. Denn weitere Kredite, so die Sorge, könnte Rom nicht mehr bedienen und letztlich die ganze Eurozone gefährden.
Ruppiger Rädelsführer
Gegen das Vorhaben, Milliarden zu verschenken, liefen die „sparsamen vier“ Sturm. Bis jetzt. Kurz pochte nur auf eine „Redimension der Zuschüsse“. Die Rolle des ruppigen Rädelsführers der „sparsamen vier“ hat ohnehin längst Mark Rutte übernommen.
Der niederländische Premier geht am lautesten auf Konfrontation mit den Staaten des Südens, die Zuschüsse statt Kredite verlangen. Und Rutte fordert: Alle EU-Staaten sollen ein Veto-Recht darüber haben, ob ein Land die angeforderte Hilfe erhält. Österreich zieht hier nicht mit.
Italien will sich bei seinen Bedingungen nicht dreinreden lassen und Ungarns Premier Viktor Orbán stellte seinerseits Bedingungen: Er werde seine Zustimmung zu den EU-Milliarden nur geben, wenn die EU ihre Untersuchungen wegen ungarischer Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit einstellt.
„Die ungarische Position überrascht mich nicht“, sagt Kurz ungerührt und verweist lieber auf die „Frage, wofür das Geld verwendet wird?“ Es müsse in Zukunftsinvestitionen gehen, in Reformen. Denn ein absolutes No-Go für die „sparsamen vier“ ist der Gedanke, dass mit Steuergeld ihrer Bürger Haushaltslöcher anderer Staaten gestopft werden.