Politik/Ausland

Ex-Kanzler Schröder: Kreml nutze Gas nicht als politisches Druckmittel

"Gerhard Schröder im Ausnahmezustand." So beschreibt der stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz das Gespräch mit dem deutschen Ex-Kanzler, das in der aktuellen Ausgabe des Magazins veröffentlicht wurde. Das Gespräch hat knapp eine Woche nach Schröders Besuch in Moskau stattgefunden. Auch darum sei es gegangen, sagt Schmitz: "Schröder habe richtigstellen wollen, was er in Russland getan hatte: nämlich keinen Urlaub, sondern Energiepolitik." Er sei ein Mann, "der angespannt ist, der aber trotzdem noch eine sehr klare Meinung hat."

Schröder will "noch mal nützlich sein"

Klar sei sich Schröder etwa, was seine Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin angeht. "Ich habe mehrfach den Krieg verurteilt, das wissen Sie. Aber würde eine persönliche Distanzierung von Wladimir Putin wirklich irgendjemandem etwas bringen?"

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"Muss ich denn über jedes Stöckchen springen, das mir hingehalten wird? So bin ich nicht. Ich habe da Entscheidungen getroffen, und dazu stehe ich, und ich habe klargemacht: Vielleicht kann ich noch mal nützlich sein. Warum soll ich mich also entschuldigen", fügte Schröder hinzu. Schröder dürfte demnach auf Verhandlungen mit Russland hoffen und der Meinung sein, aufgrund seiner Nähe zu Putin dazu beitragen zu können.

So soll er auch bei seinem Moskau-Besuch mit ihm gesprochen haben - übrigens nicht in Absprache mit der deutschen Bundesregierung: "Der Kreml will eine Verhandlungslösung", erklärte er und verwies etwa auf die Rolle der Türkei bei dem jüngsten Getreideabkommen. "Vielleicht kann man das langsam zu einem Waffenstillstand ausbauen."

Auf die Frage, ob Putin seinen Fehler einsehe, erklärte Schröder: "Es gibt in Russland wirkliche Einkreisungsängste, die aus der Geschichte gespeist sind. Und die haben ja leider auch ihre Berechtigung."

Kein politisches Spiel beim Gas

Auch zum Thema Gasdrosselung hat der 78-Jährige eine Meinung: Eine politische Motivation für die gedrosselten Gas-Lieferungen sie nach Schröders Darstellung nicht zu erkennen. Bei Gesprächen mit Verantwortlichen für die Energiewirtschaft in Moskau habe er erfahren: "Es gibt keine politische Ansage des Kreml, den Gasfluss zu drosseln." Gleichzeitig spricht er sich für die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2. "Sie ist fertig. Wenn es wirklich eng wird, gibt es diese Pipeline, und mit beiden Nord-Stream-Pipelines gäbe es kein Versorgungsproblem für die deutsche Industrie und die deutschen Haushalte."

Dies sei mit Blick auf mögliche Gasengpässe  die "einfachste Lösung". Nicht vergessen: Schröder ist Präsident des Verwaltungsrats bei Nord Stream 2.

"Wenn man Nord Stream 2 nicht benutzen will, muss man die Folgen tragen. Und die werden auch in Deutschland riesig sein", sagte Schröder. Jeder, der mit Gas heize, bekomme das schon jetzt zu spüren. "Für uns, die wir hier sitzen, ist das unangenehm, aber es ist zu schaffen. Aber für ganz viele Leute, die mit jedem Cent rechnen müssen, wird das richtig hart. Und dann wird man in Deutschland fragen: Warum verzichten wir eigentlich auf das Gas aus der Pipeline Nord Stream 2? Warum?"

Schröder macht Siemens für das Fehlen einer Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 verantwortlich. "Die Turbinen, die man braucht, um das Gas überhaupt in die Pipeline zu bringen, kommen von Siemens und müssen regelmäßig gewartet werden", sagte er. "Aber Siemens hat die gerade viel debattierte Turbine aus der Wartung in Kanada nach Mülheim an der Ruhr gebracht. Warum sie dort ist und nicht in Russland, verstehe ich nicht."

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Schröder saß zum Zeitpunkt der russischen Invasion in Führungsgremien der Gaspipeline-Betreiberfirma Nord Stream und des russischen Energiekonzerns Rosneft. Im Mai gab Schröder nach öffentlichem Druck seinen Posten im Rosneft-Aufsichtsrat auf und lehnte später die Nominierung für einen Sitz im Aufsichtsrat des russischen Gasriesen Gazprom ab. Zuletzt warf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem Altkanzler vor, Deutschland mit seinen russischen Aktivitäten geschadet zu haben.

In den kommenden Tagen will die Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Region Hannover über einen möglichen Parteiausschluss Schröders entscheiden. Die rechtlichen Hürden für eine Parteistrafe oder gar einen Ausschluss sind allerdings sehr hoch.

Dass gegenwärtig nur ein Fünftel der normalen Gasmenge durch die Pipeline fließen - pro Tag 30 Millionen Kubikmeter - sei technisch bedingt, erklärte Schröder weiter. "Es wären schon 60 Millionen, also doppelt so viel, wenn nur Turbine Nummer 2 verfügbar wäre. Das liegt in der Verantwortung von Siemens, wenn ich das richtig sehe." Die Turbine befand sich Stand Dienstagabend in Deutschland. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sollte sie im Laufe des Mittwochs bei Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr besichtigen. Der Industrie-Konzern hat wiederholt die russische Darstellung zurückgewiesen, für Verzögerungen verantwortlich zu sein.

Pizza und "Gerd-Tasse"

stern-Chefredakteur Schmitz ist sicher, Schröder rechne künftig mit mehr Zuspruch für seine Position aus der Bevölkerung. Das Gespräch mit stern und RTL/ntv war das erste Interview, das komplett freigegeben wurde; seit Russlands Angriff auf die Ukraine hat Schröder deutschen Medien immer nur einzelne Zitate aus Gesprächen freigegeben. "Wir haben ihn sehr kritisch befragt", betont Schmitz, "aber es ging auch darum zu sagen, Schröder kann seine Sicht der Dinge darlegen."

Zur Stärkung des mehrstündigen Gesprächs wurde übrigens Pizza bestellt - mit Schröders Begründung, seine Frau sei noch in Südkorea, er habe nichts zu Hause. Und der Lieblingsjapaner habe geschlossen. Obendrauf gab es noch eine "Gerd-Tasse" mit Schröders Konterfei für die Journalisten. Ein Geschenk mit Kultstatus, schließlich wurde die Tasse unlängst aus dem Sortiment des SPD-Shops entfernt. So-yeon Schröder-Kim habe den Restbestand aufgekauft und im Keller gelagert, so Schröder.