"Danke, Chefin" - Annegret folgt Angela
Und dann gab’s plötzlich zu wenig Stimmzettel. Als die Spannung kaum noch zu überbieten war, musste noch schnell Wahlmaterial nachgedruckt werden: Die Stichwahl zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz um die Nachfolge Angela Merkels als Vorsitzende der CDU verzögerte sich erneut. Zuvor hatte es auf dem Parteitag in Hamburg einen ersten Wahlgang gegeben, der noch alles offen ließ: 450 der 999 abgegebenen Delegiertenstimmen entfielen auf AKK, 500 hätte sie für eine absolute Mehrheit gebraucht. Merz kam auf 392 Stimmen, Jens Spahn auf 157. Zusammen lagen die beiden konservativen Kandidaten klar voran.
Doch dann, knapp nach 17 Uhr, schlug das Pendel um: 517 Stimmen für Merkels Favoritin Kramp-Karrenbauer, 482 für Merz. Die neue Parteichefin war gekürt.
Zuvor wurde aber noch die scheidende verabschiedet. So oft wie diese Partei in der Vergangenheit über Angela Merkel hergezogen war, gestern war davon nichts zu spüren. Stehender Applaus, einige Fans halten Plakate in die Höhe: „Danke Chefin“. Merkel setzt ein paar Mal zu ihrer Abschiedsrede an, ihre Worte gehen im Applaus unter. Kurz muss sie schlucken. Als der Applaus nicht enden will, greift sie zum Mikrofon und sagt nüchtern: „Leute, denkt daran, wir haben noch viel vor.“
Das, was die CDU an diesem Dezember-Freitag vorhat, ist nicht weniger als die Nachfolge für ihre Langzeit-Vorsitzende zu finden. 18 Jahre führte Angela Merkel die Partei, jetzt treten gleich drei Kandidaten an: die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, der von Merkel einst verdrängte frühere Fraktionschef Friedrich Merz und die selbst ernannte Junghoffnung Jens Spahn. 1600 Reporter aus der ganzen Welt haben sich zur Wahl eingefunden, 1001 Delegierte sind zuhör- und stimmberechtigt – und begutachten, als sie in den Plenarsaal kommen, belustigt die Tischwahlkabinen und überlegen, sie später gar zu versteigern. Es ist ja auch ein historischer Tag.
Merkel: "Bin nicht über jedes Stöckchen gesprungen"
Merkel selbst scheint das nicht groß aufzuwühlen. Sie lässt die letzten 18 Jahre Revue passieren. Beginnt mit der CDU-Spenden-Affäre: Sie musste übernehmen, als die Partei „moralisch und finanziell vor dem Aus stand,“ zwei Mal erwähnte sie das Wort – eine von vielen so verstandene Retourkutsche an Wolfgang Schäuble. Er war in die Affäre verstrickt und hatte mit seiner Empfehlung für Friedrich Merz Merkel noch einmal herausgefordert. Sie habe nach dem CDU-Skandal erstmal „zur Sache“ finden müssen – „typisch Merkel“, sagt sie und ergänzt: „knochentrocken“. Im Saal wird gelacht.
Gegen Ende ihrer Rede wird sie doch sehr persönlich: Sie habe anderen viel zugemutet, aber „ihr auch mir“. Ob sie damit ihre Kritiker meint, die sie oft unterschätzt haben? „Ich habe das Florett gewählt oder es vorgezogen, zu schweigen, ich bin nicht über jedes Stöckchen gesprungen“, sagt sie, und: „Wir Christdemokraten grenzen uns ab, aber niemals grenzen wir aus“ – vielleicht ein Hinweis an den Kandidaten Merz, aber der ist es ohnehin nicht geworden.
Seine Rede war zwar die längste von allen drei, blieb aber etwas unter den Erwartungen. Erst als er die AfD attackiert und andere politische Gegner ausmacht, wie SPD, FDP oder Grüne, reißt er seine Anhänger vom Sessel. Jens Spahn, dem ja wenig Chancen zugerechnet wurden, gab sich selbstbewusst, ohne gleich unsympathisch zu wirken. Auch er lese Umfragen, erklärte er mit Blick auf seine niedrigen Werte. „Aber es fühlt sich richtig an hier zu stehen.“ Dafür bekam er viel Beifall. Neben ihren Kontrahenten wirkte AKK rhetorisch zwar unterlegen, konnte aber besser verdeutlichen, wie sehr sie dieses Amt will. Zudem gab sie dem Publikum eine kurze Vorschau, wie ein ausbalanciertes Zusammenspiel mit der Kanzlerin aussehen kann. "Wir brauchen eine gute Regierung, die Menschen das Gefühl gibt, dass ihre Probleme ernst genommen werden", sagte sie mit Blick auf Merkel gerichtet.
Neun Minuten und 24 Sekunden langer Applaus gelten dann gestern noch einmal der scheidenden Vorsitzenden. Die setzt sich schnell wieder auf ihren Platz, soll ja keiner die Tränen sehen.