Politik/Ausland

Großbritannien: Mehr als 10.000 Tote, Erste Engpässe in der Intensivmedizin

Während der britische Premierminister Boris Johnson aus dem Spital entlassen wurde, sorgt ein BBC-Bericht über Engpässe bei der Versorgung von Intensivpatienten für Verunsicherung.

Demnach hat das Land mit ersten Engpässen bei Medikamenten zu kämpfen: Einige Präparate wären nur mehr „in geringem Ausmaß verfügbar“, in gewissen Regionen sei die Versorgung mit Anästhesiemedikamenten problematisch, heißt es seitens des Royal College of Anaesthetists gegenüber dem Sender.

Mittlerweile sind in Großbritannien mehr als 10.000 mit dem Coronavirus infizierte Menschen nach der offiziellen Statistik in Großbritannien gestorben. Es wird aber mit einer großen Dunkelziffer gerechnet; vor allem viele Todesopfer in Seniorenheimen sind noch nicht erfasst. Nach den offiziellen Angaben vom Sonntag sind rund 10.500 mit Sars-CoV-2 infizierte Menschen ums Leben gekommen, die meisten lebten in England.


 

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Wichtige Medikamente fehlen

In den Midlands, also in Mittelengland, müsste man bereits Alternativen zu den herkömmlich verwendeten Medikamenten einsetzen. Es fehle etwa an Propofol, einem Betäubungsmittel, und dem Schmerzmittel Alfentanil. „Auch Noradrenalin, das zur Behandlung von lebensbedrohlich niedrigem Blutdruck eingesetzt wird, ist kaum mehr vorhanden. Wir verwenden diese Medikamente nur mehr bei Personen, die sie sehr dringend brauchen, bei den anderen setzen wir ältere Präparate ein“, so Ron Daniels, leitender Arzt für Intensivmedizin in den West Midlands, gegenüber dem Sender.

Zu starke Konzentration auf Beatmungsgeräte

Dadurch werde wahrscheinlich die Behandlungsqualität für alle Patienten sinken – nicht nur für jene, die an Covid-19 erkrankt sind, so der Mediziner. Für ihn konzentriere man sich zu sehr auf den Ausbau der Beatmungsmöglichkeiten und zu wenig auf die Medikamentenversorgung. „Ohne die Medikamente, die Blutzirkulation und Blutdruck aufrecht erhalten, müssen die Ärzte Alternativen zu finden“, sagt auch Chaand Nagpaul, der Ratsvorsitzende der British Medical Association, gegenüber der BBC. „Das beeinflusst, wie lange Patienten an den Beatmungsgeräten sind, die ja auch Mangelware sind. Damit werden auch ihre Chancen auf Heilung beeinträchtigt.“

Bereits am 2. April hatten die vier führenden staatlichen Universitäten und Gesundheitsorganisationen ihren Mitarbeitern mitgeteilt, dass ab sofort Alternativen zu den normalerweise eingesetzten Medikamenten benutzt werden sollen –  wegen des hohen Bedarfs durch die Coronavirus-Pandemie. Auch die British Generic Manufacturers Association, also der Verband der Medizinprodukte-Hersteller, weiß um die Engpässe: Der Bedarf an Medikamenten sei um das Drei- bis Vierfache gestiegen, so der Chef des Verbands,  Warwick Smith, zur BBC.

Die Regierung teilte auf Anfrage der BBC mit, dass man sich bewusst sei, dass es „einen erhöhten Bedarf für gewisse intensivmedizinische Medikamente gibt." Man werde sich um Nachschub kümmern. 

Zweite und dritte Welle befürchtet

Bisher wurden in Großbritannien 9.875 Todesfälle aufgrund einer Covid-19-Erkrankungen registriert. Damit gehört das Land zu den hauptbetroffenen in Europa; und die Lage könnte sich noch deutlich verschlimmern: Nach Einschätzung der britischen Wellcome-Stiftung könnte Großbritannien das am schlimmsten von der Corona-Pandemie getroffene Land innerhalb Europas werden. Im Vereinigten Königreich werde die Todesrate möglicherweise die höchste sein, so der Direktor der Stiftung, Jeremy Farrar.

Nach dem jetzigen Ausbruch rechnet der Experte, der auch die britische Regierung berät, mit einer zweiten und dritten Welle. Er hoffe auf einen Impfstoff bis Herbst, dann müsse noch die Produktion für die Impfung vieler Millionen Menschen hochgefahren werden. "Ich würde hoffen, dass wir das in zwölf Monaten schaffen, aber das ist an sich schon ein beispielloser Ehrgeiz", so Farrar.

Höhepunkt noch nicht erreicht

Die Zahl der in den britischen Statistiken erfassten Todesfälle bei mit dem Coronavirus infizierten Menschen drohten noch am Sonntag die 10.000er-Marke zu überschreiten. Experten gehen aber davon aus, dass die tatsächliche Zahl weitaus höher liegen dürfte, vor allem weil viele Opfer in Altersheimen noch nicht eingerechnet worden sind.

Großbritannien hat den Höhepunkt der Pandemie noch nicht erreicht. Es wird daher vermutet, dass die Ausgangsbeschränkungen verlängert werden. Im Land mangelt es vor allem an Tests, Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS (National Health Service) ist chronisch unterfinanziert und marode.

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