Brexit: Parlamentspräsident Bercow tritt ab
Das Gesetz gegen den No-Deal-Brexit ist am Montag in Kraft getreten. Das teilte der Sprecher des britischen Oberhauses mit. Königin Elizabeth II. habe das Gesetz gebilligt. Das Gesetz war vergangene Woche im Eiltempo durch beide Kammern des britischen Parlaments gepeitscht worden.
Zuvor hatte Premierminister Boris Johnson angekündigt, das Parlament in eine fünfwöchige Zwangspause zu schicken, die noch am Montagabend beginnen sollte. Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, kündigte indes an, spätestens zum 31. Oktober von seinem Amt zurückzutreten. Sollte davor bereits eine Neuwahl ausgerufen werden, wolle er nicht mehr antreten.
Das Gesetz sieht vor, dass der Premierminister eine Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist beantragen muss, wenn bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen ratifiziert ist. Johnson lehnt eine Verlängerung jedoch kategorisch ab. Lieber wolle er "tot im Graben" liegen. Über das Gesetz will er sich trotzdem nicht hinwegsetzen. Spekuliert wird, dass die Regierung versuchen wird, anderweitig ein Schlupfloch zu finden. So hatte "Daily Mail" berichtet, dass Johnson formal in einem Schreiben zwar die EU um eine Verlängerung des Brexit um drei Monate bis Ende Jänner 2020 ersuchen könnte, aber kurz darauf in einem weiteren Brief die Bedeutung eines späteren Brexit herunterspielen und revidieren könnte.
Bercow hatte sich in der Auseinandersetzung um den Brexit zwischen Regierung und Parlament immer wieder für die Rechte der Abgeordneten eingesetzt. Er handelte sich damit den Vorwurf der Brexit-Anhänger ein, parteiisch zugunsten der EU-Befürworter zu sein.
Das Parlament wird erst wieder am 14. Oktober zusammentreten - also nur etwas mehr als zwei Wochen vor dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Johnson wollte am Montag noch vor Beginn der Zwangspause das Unterhaus ein weiteres Mal über eine Neuwahl abstimmen lassen. Doch es galt als extrem unwahrscheinlich, dass er die dafür nötige Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten bekommt. Die Oppositionsparteien hatten dem Vorstoß schon im Vorfeld eine Absage erteilt. Bereits in der vergangenen Woche war Johnson mit einem ersten Antrag auf eine Neuwahl im Unterhaus durchgefallen.
"Will einen Deal erreichen"
Bei einem Besuch in Irland sagte Johnson am Montag ausdrücklich, dass er einen geregelten Brexit seines Landes zum 31. Oktober wolle. "Ich will einen Deal erreichen", so Johnson bei dem Treffen mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar in Dublin. Dies solle ohne die Einrichtung einer festen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland möglich sein. Wie das umgesetzt werden soll, verriet Johnson nicht.
Brüssel und Dublin fordern eine Garantie dafür, dass Kontrollposten an der Grenze zu Nordirland nach dem Brexit vermieden werden. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Bis eine andere Lösung gefunden wird, sollen für Nordirland weiter einige EU-Regeln gelten und ganz Großbritannien in der EU-Zollunion bleiben.
Diese "Backstop" genannte Lösung lehnt Johnson jedoch strikt ab. Er sieht in der Klausel ein "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Varadkar betonte jedoch am Montag: "Für uns gibt es keinen Deal ohne Backstop."
Varadkar warnte, ein EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen sei alles andere als ein "klarer Bruch". Was auch immer passiere - beide Seiten müssten schnell wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. "Die ersten Punkte auf der Tagesordnung werden sein: Rechte von Bürgern, ein finanzieller Ausgleich und die irische Grenze", so Varadkar. Für alle diese Punkte seien im Austrittsabkommen, das Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelt hatte, Lösungen gefunden worden.
Etwa 100 Demonstranten protestierten vor dem Parlamentsgebäude in Dublin gegen Johnsons Brexit-Kurs. "Keine Zölle, keine Grenze, kein Brexit", sangen einige von ihnen. Sie glauben nicht, dass Johnson tatsächlich einen geregelten Ausstieg aus der EU anstrebt. "Der lügt doch", sagte eine Demonstrantin aus der Grafschaft Cork.
Die Polizei in Nordirland teilte unterdessen mit, ein am Samstag in einem Grenzort gefundener Sprengsatz sei der katholisch-republikanischen Splittergruppe "Neue IRA" zuzuordnen. Die funktionsfähige Mörsergranate sollte nach Angaben der Ermittler wohl auf ein Polizeirevier abgefeuert werden, der Granatwerfer habe aber vermutlich versagt. Gefunden wurde sie auf einer Mauer nahe der Polizeidienststelle. Sie konnte erfolgreich entschärft werden. Verletzt wurde niemand. Ähnliche Vorfälle hatte es in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach gegeben.
Heftige Kritik
Aus dem Europaparlament kommt heftige Kritik an Johnsons Brexit-Kurs. Er versuche, aus einem konstruierten Konflikt zwischen dem britischen Parlament und den Menschen politisches Kapital zu schlagen, sagte die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. "Diese demagogische Hetze destabilisiert das gesamte demokratische System Großbritanniens." Reintke plädierte für einen weiteren Aufschub des Brexits, wenn die Briten dies beantragten. Ein EU-Austritt ohne Vertrag wäre ihrer Ansicht nach vor allem für Irland ein zu hoher Preis.
Auch der CDU-Europaabgeordnete David McAllister äußerte sich höchst besorgt. "Die politische Lage auf der Insel ist derzeit so angespannt wie nie zuvor, der Machtkampf zwischen dem britischen Unterhaus und dem Premierminister nimmt neue Dimensionen an", erklärte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der dpa.
EU-Abgeordnete wollen sich am Mittwoch auf den Entwurf einer Brexit-Resolution verständigen und diese nächste Woche verabschieden. Am Donnerstag informiert EU-Chefunterhändler Michel Barnier die Fraktionsvorsitzenden des Parlaments über den Stand der Gespräche mit London.