Brexit-Boris will es Brüssel zeigen
Von Armin Arbeiter
100 Tage bleiben dem künftigen britischen Premierminister ab heute, Montag, bis Großbritannien planmäßig aus der EU ausscheiden soll. Zu 99 Prozent wird dieser Premierminister Boris Johnson heißen – bis zum Abend soll feststehen, wen die 160.000 Tory-Mitglieder zum Nachfolger Theresa Mays gekürt haben.
Siegt Johnson, sei ein geregelter Brexit machbar, ist er überzeugt. Für einen der größten Knackpunkte, den „Backstop“, hatte er in der Montagsausgabe des Telegraph einen Lösungsansatz parat: „Wenn es vor 50 Jahren schon möglich gewesen ist, zum Mond zu fliegen, dann können wir auch das Problem des reibungslosen Handels an der nordirischen Grenze lösen“, schrieb er.
Harte Verhandlungen
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleibt, bis das Problem auf andere Art gelöst ist. Johnson sieht in der Klausel ein „Instrument der Einkerkerung“ Großbritanniens. Er will den Backstop streichen und die irische Grenzfrage erst nach dem Austritt in einem künftigen Freihandelsabkommen mit der EU lösen.
Dafür müsste er jedoch das Austrittsabkommen mit Brüssel neu verhandeln – und dort ist die Position klar: Das wird nicht passieren. Nach außen hin ist Johnson guter Dinge, hat angekündigt, die mehr als 43 Milliarden Euro „Scheidungsgeld“ erst an die EU zu überweisen, wenn es ein neues Abkommen gäbe. Gleichzeitig wäre es bei einem Boris Johnson nicht verwunderlich, wenn er plötzlich Neuwahlen ausriefe. Der 55-Jährige ist berüchtigt dafür, seine Position zu ändern, wenn es für ihn Erfolg versprechend ist: Etwa als er nach monatelangem Widerstand gegen das Austrittsabkommen bei der dritten Abstimmung im Unterhaus plötzlich die Seiten wechselte und Mays Deal unterstützte. Nur um rasch danach wieder dagegen zu sein.
Kampf gegen Brüssel
Positioniert sich Johnson in einem möglichen Wahlkampf gewohnt EU-kritisch, könnte es ihm tatsächlich gelingen, Stimmen aus der Brexit-Partei von Nigel Farage zu gewinnen. Im rhetorischen Kampf gegen Brüssel hat er jahrzehntelange Erfahrung – angefangen mit seiner Zeit als EU-Korrespondent des Telegraph von 1989 bis 1994. Damals behauptete er unter anderem, dass die EU eine Standardgröße für Kondome einführen wolle. Viele seiner Artikel hatten mit der Wahrheit wenig bis gar nichts zu tun, trotzdem erreichte Johnson damit große Popularität im bereits damals EU-skeptischen Königreich.
Sein weiterer Lebenslauf kann sich sehen lassen: 2001 Tory-Abgeordneter im Unterhaus, 2008 Bürgermeister von London, von 2016 bis 2018 Außenminister. Obwohl er bis jetzt in jedem seiner Ämter für Aufreger gesorgt hat, scheinen es ihm die Menschen immer wieder zu verzeihen: Nach seinen acht Jahren als Bürgermeister waren 52 Prozent der Londoner davon überzeugt, dass Boris Johnson einen guten Job gemacht habe. Dass er Millionen an öffentlichen Geldern in den Sand setzte, unter anderem für die Planung eines Flughafens in einem Naturschutzgebiet – er wurde nie gebaut –, scheinen ihm die Londoner verziehen zu haben. Für die Fahrradstationen im öffentlichen Verkehr sind sie ihm weiterhin dankbar.
Wird Johnson Premier, so hat er bereits einige Maßnahmen und Pläne angekündigt: Etwa ein „australisches“ Einwanderungsmodell für Migranten: Hat jemand ein Jobangebot oder kann er gut Englisch, soll ihm der Vorzug gegeben werden. Oder eine Anhebung der Grenze des Höchststeuersatzes von 50.000 Pfund auf 80.000. Gleichzeitig aber sollen Arbeiter mehr Geld steuerfrei verdienen können. Kompensieren könnte das laut seinen Plänen eine Zucker-Steuer. Aber wer weiß schon, was Boris Johnson morgen einfällt.