Taliban schicken "Hunderte Kämpfer" ins widerständige Panjshir-Tal
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan wollen die Taliban nun auch das als Widerstandshochburg bekannte Panjshir-Tal unter ihre Kontrolle bringen. "Hunderte Kämpfer" seien auf dem Weg dorthin, nachdem örtliche Regierungsvertreter sich geweigert hätten, die Region friedlich zu übergeben, twitterten die Taliban am Sonntag. Ein Anführer der Tadschiken in Panjshir will die von ihm kontrollierten Gebiete nicht an die Taliban abtreten, berichtet der TV-Sender Al-Arabiya.
Ahmad Massoud rief zur Bildung einer umfassenden Regierung auf, die Afghanistan unter Beteiligung der Taliban regieren solle. Ein Krieg sei aber "unvermeidlich", wenn die Taliban den Dialog verweigern sollten, wurde Massoud vom in Dubai ansässigen Al-Arabiya zitiert. Regierungstruppen aus verschiedenen Regionen seien im Panjshir-Tal nordöstlich der afghanischen Hauptstadt Kabul zusammengezogen. In einem Telefongespräch mit Reuters sagte Massoud, er hoffe auf friedliche Gespräche mit den Taliban. "Wir wollen den Taliban klar machen, dass nur Verhandlungen uns weiterbringen. Wir wollen nicht, dass ein Krieg ausbricht."
Allerdings seien seine Kämpfer zum Widerstand bereit, sollten die Islamisten eine Invasion seiner Gebiete starten. Massoud erklärte vergangene Woche, Teile der afghanischen Armee und deren Spezialkräfte hätten sich ihm angeschlossen. Massouds Vater hatte Angriffe der Taliban während deren Herrschaft von 1996 bis 2001 abgewehrt.
Es solle eine Truppe von 9.000 Kämpfern entstehen, sagte der Sprecher der Anti-Taliban-Einheiten, Ali Maizam Nazari, der Nachrichtenagentur AFP zur geplanten Truppenentsendung nach Panjshir. Bei einem Militärtraining der Gruppe waren am Samstag dutzende Rekruten und mehrere gepanzerte Geländewagen zu sehen.
Im Widerspruch dazu steht, dass die Taliban laut dem russischen Botschafter in Kabul zur Verhandlung mit ihren Gegnern in der letzten noch nicht eroberten Provinz Panjshir bereit sein sollen. Dmitri Schirnow sagte im russischen Staatsfernsehen, die Taliban hätten ihn gebeten, den Anführern und den Menschen im Panjshir-Tal eine Botschaft zu überbringen. Die Taliban hofften, "eine friedliche Lösung für die Situation zu finden, zum Beispiel durch eine politische Vereinbarung. Die Taliban wollen kein Blutvergießen und sind zum Dialog bereit."
Die Provinz Panjshir konnte von den Taliban auch während ihrer ersten Herrschaft zwischen 1996 und 2001 nicht erobert werden. Das lag neben dem erbitterten Widerstand der Nordallianz auch an der geografischen Lage - der Eingang zum Tal ist eng und gut zu verteidigen. Während die Islamisten in den vergangenen Monaten alle anderen Provinzen unter ihre Kontrolle brachten, gab es nur vereinzelte Angriffe auf Panjshir.
Ahmad Shah Massoud, der legendäre verstorbene Führer der Nordallianz, die in den 1990er-Jahren gegen die Islamisten kämpfte, stammte aus Panjshir. Er war zwei Tage vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ermordet worden. Sein Sohn Ahmad Massoud schrieb am vergangenen Mittwoch in einem Gastbeitrag in der "Washington Post": "Der Widerstand der Mujaheddin gegen die Taliban beginnt jetzt. Aber wir brauchen Hilfe." Er bat die USA und ihre demokratischen Verbündeten um Waffen, Munition und Nachschub. "Sie sind unsere einzige verbleibende Hoffnung."
Massoud warnte die Taliban am Sonntag vor einer Offensive im Panjshir-Tal. "Die Taliban werden nicht lange überleben, wenn sie diesen Weg weiter beschreiten", sagte er auf Al-Arabiya. "Wir sind bereit, Afghanistan zu verteidigen, und wir warnen vor einem Blutvergießen."